© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/04 23. Januar 2004

Opfer ohne Lobby
DDR-Unrecht: Grüne zweifeln an der Finanzierbarkeit angemessener Opferrenten / Bereits in den Neunzigern scheiterte die Entschädigung an Theo Waigel
Ekkehard Schultz

Das Ringen um eine angemessene Entschädigung für die Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland geht in eine nächste Runde. Für den 16. Januar 2004 war die zweite und dritte Beratung von Gesetzentwürfen der CDU/CSU sowie der FDP zur Einführung einer Pension bzw. Rente für SBZ- beziehungsweise DDR-Opfer angesetzt. Diese wurde nunmehr auf den 29. Januar verlegt.

Im Vorfeld des 50. Jahrestages des 17. Juni 1953 im vergangenen Jahr hatten die Verbände der Verfolgten und Inhaftierten der SED-Diktatur nochmals besonders lautstark auf die höchst unbefriedigende wirtschaftliche Lage vieler Mitglieder im heutigen Deutschland hingewiesen. Auf Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen forderten sie eine "Entschädigung, die den Namen verdient" und damit die Verfolgten auch moralisch in der Gesellschaft rehabilitiert. Zudem wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß zahlreiche Opfer nach wie vor von Sozialhilfe abhängig sind. Eine besondere Enttäuschung bei den Betroffenen habe ferner die Verabschiedung des "Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes" im Mai 2001 durch die rot-grüne Regierungskoalition gebracht. Damit wurden Ansprüche aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR zugunsten bestimmter Personenkreise in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik überführt. Davon profitierten vor allem Repräsentanten des SED-Regimes, die andere Menschen unterdrückt haben. Auch Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit erhielten hohe Rentennachzahlungen sowie eine Aufstockung ihrer monatlichen Bezüge. Der ökonomische und soziale Abstand zwischen den Tätern und Opfern der kommunistischen Diktatur hat sich dadurch weiter vergrößert.

Anfang Juni des vergangenen Jahres legte die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf über ein drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vor. Der Entwurf sieht die Auszahlung einer nach Haftmonaten gestaffelten monatlichen Opferpension ab 1. Januar 2004 vor. Sie soll bei einer zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung von insgesamt mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren 150 Euro, von zwei bis fünf Jahren 300 Euro, von fünf bis neun Jahren 400 Euro und bei mehr als neun Jahren 500 Euro betragen. Adäquate Auszahlungen sollen Opfer mit einer bescheinigten Verfolgungszeit beziehungsweise verfolgungsbedingter Unterbrechung der Ausbildung von mehr als zwei Jahren erhalten. Die Zahl der Anspruchsberechtigten wird von der CDU/CSU-Fraktion auf etwa 150.000 geschätzt.

Einen Monat später legte die FDP-Fraktion einen eigenen Gesetzentwurf für ein drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vor. Es sieht eine pauschale Opferrente in Höhe von 500 Euro für alle Verfolgten ab einer Haftdauer von sechs Monaten vor. Allerdings soll die Auszahlung der Leistungen erst ab der Vollendung des 60. Lebensjahres erfolgen. Die Gesamtzahl der Anspruchsberechtigten ist dadurch niedriger und wird auf ca. 80.000 bis 90.000 geschätzt.

Opferpension beziehungsweise Opferrente sollen grundsätzlich nicht auf andere soziale Leistungen angerechnet werden. Beide Entwürfe sehen ferner eine Erhöhung der einmaligen Kapitalentschädigung pro Haftmonat von bislang 600 Mark auf 500 Euro vor.

Bundespräsident Rau setzte sich für Entschädigung ein

Bei der ersten Beratung des CDU/CSU-Gesetzentwurfes am 6. Juni 2003 im Bundestag hatten Vertreter der SPD und der Grünen aus ihrer Ablehnung dieser Pläne keinen Hehl gemacht Der SPD-Abgeordnete Karsten Schönfeld warf den Unionsparteien vor, das Thema "parteipolitisch zu mißbrauchen". Die Bundesrepublik habe "alle Opfer von Verfolgung - sowohl zur NS-Zeit als auch in der DDR - mit den gleichen Rechten ausgestattet", darunter die "Rückübertragung und Rückgabe von Vermögenswerten, Erstattung von Geldstrafen und Verfahrenskosten, Kapitalentschädigung für Freiheitsentzug, Unterstützungsleistungen und Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung". "Eine Opferpension für die Verfolgten des SED-Regimes wäre demgegenüber ungerecht", so Schönfeld.

Auch Hans Joachim Hacker (SPD) warf den Unionsparteien vor, mit dem Gesetz "eine Spaltung der Opfer des NS-Regimes und der SED-Opfer herbeiführen" zu wollen. Silke Stokar von Neuforn (Grüne) machte dagegen in erster Linie wirtschaftliche Gründe geltend, die gegen den Gesetzentwurf sprächen. Die Auszahlung einer Opferpension sei "nicht finanzierbar". Gleichfalls räumte sie die immer noch prekäre ökonomische Situation vieler Opfer ein. "Wir werden permanent die Härtefälle überprüfen, weil wir dafür sorgen wollen, daß die Opfer nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind", so Stokar. Der Antrag wurde dem Innen-, dem Rechts- sowie dem Finanzausschuß des Bundestages zur weiteren Beratung und Diskussion übertragen.

Daß das Thema einer Entschädigung für SBZ- und DDR-Opfer trotzdem auch in den kommenden Monaten nicht vollkommen aus der öffentlichen Diskussion in Deutschland verschwand, war in dieser Situation Bundespräsident Johannes Rau zu verdanken. In seiner Rede im Rahmen einer gemeinsamen Gedenkstunde von Bundestag und Bundesrat am 17. Juni forderte Rau mit Blick auf deren Situation, daß sich der Umgang mit den SED-Verfolgten ändern müsse. Fünfzig Jahre nach dem Aufstand müßten sowohl die Opfer des 17. Juni 1953 als alle anderen, die in der DDR Unrecht erlitten hätten, Anerkennung erfahren, mahnte der Bundespräsident. "Manches geschieht dafür, dennoch begegne ich immer wieder Opfern des DDR-Regimes, die nicht bekommen haben, worauf sie auch nach meinem Eindruck billigerweise einen Anspruch haben sollten", erklärte Rau.

Nur geringe Erhöhung der Ausgleichszahlungen

Eine erste Reaktion auf die Forderungen des Bundespräsidenten war ein gemeinsamer Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, der die Verlängerung der Antragsfristen für kommunistisches Unrecht in der Zeit von 1945 bis zum 2. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 2007 verlängerte. Ferner sah er die Erhöhung der Ausgleichsleistungen nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz von 153,30 auf 184 Euro monatlich, für betroffene Rentenbezieher von 102,26 auf 123 Euro vor. Der Bundestag verabschiedete das vorliegende Gesetz am 27. November 2003 mit großer Mehrheit, auch der Bundesrat stimmte in seiner letzten Sitzung des vergangenen Jahres dem Entwurf zu.

Ein kleines positives Zeichen wurde auch auf der Konferenz der Brandenburger Landesdelegierten der Grünen am 8. November 2003 gesetzt. Darin sprachen sich die Delegierten neben der Einführung einer monatlichen Pauschalsumme als Ausgleichszahlung für erlittenes Unrecht für eine Erhöhung der Entschädigungssumme pro Haftmonat und eine Beweislastumkehr bei Haftfolgeschäden aus. Zu den Gesetzentwürfen der CDU/CSU und FDP wurden allerdings keine Stellungsnahmen abgegeben. Den Forderungen aus Brandenburg stimmte auch die Bundesdelegiertenkonferenz der Partei zu, die vom 28. bis 30. November in Dresden tagte.

Ein tatsächlicher finanzieller Fortschritt für die meisten Betroffenen wurde mit derartigen minimalen Verbesserungen sowie mit Absichtsklärungen freilich nicht erreicht. Die Erhöhung der Ausgleichsleistungen zum Beruflichen Rehabilitierungsgesetz fiel nicht nur sehr gering aus, sondern berühte zudem nur einen geringen Teil der SED-Opfer. Einer der Hauptinitiatoren des CDU/CSU-Gesetzentwurfes, Arnold Vaatz, sprach daher auf einer Tagung der Konrad-Adenauer Stiftung am 26. November in Berlin sein tiefes Bedauern darüber aus, daß die kommunistisch Verfolgten im heutigen Deutschland "in entscheidungsrelevanten Gremien kaum eine Lobby" hätten.

Welche Berechtigung Vaatz' Worte haben, läßt sich nicht zuletzt daran ermessen, daß sich gerade in den letzten Tagen die Anzeichen dafür mehrten, daß die Entwürfe zur Opferpension bzw. -rente nicht nur bei Vertretern der Regierungskoalition sowie der PDS, sondern auch innerhalb der Unionsparteien selbst auf Ablehnung stoßen würden. Wohl nicht zu Unrecht: Schließlich war die Durchsetzung einer angemessenen Entschädigung schon einmal gescheitert, in den neunziger Jahren, und zwar am Widerstand des damaligen Finanzministers Theo Waigel.


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