© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/04 23. Januar 2004

"Wege, die nie zum Ziel führen"
Interview: Der konservative Journalist Friedrich Karl Fromme über Pressefreiheit, Liberalismus und Konservatismus im deutschen Zeitungswesen
Moritz Schwarz

Herr Dr. Fromme, die deutsche Presselandschaft steht unter enormem wirtschaftlichen Druck. Die "Frankfurter Rundschau" müßte eigentlich dichtmachen, der Springer-Verlag betreibt die "Welt" nur noch aus Image-Gründen, Holtzbrinck hat es nicht geschafft, den "Tagesspiegel" zu sanieren, sogar die "FAZ" ist in Nöten, und vom Schicksal zahlloser regionaler Blätter wollen wir lieber gar nicht sprechen. Als Reaktion auf die Situation droht ein Medien-Konzentrationsprozeß: Absterben und Zusammenlegen. Ist in Deutschland die Pressefreiheit langfristig in Gefahr?

Fromme: Klar ist, daß unsere Zeitungskrise eigentlich eine wirtschaftliche Krise ist, die sich in einem starken Rückgang des überregionalen Anzeigen- sowie des Stellenmarktes zeigt. Denken Sie zum Beispiel an die FAZ, die einstmals am Samstag 120 Seiten mit Anzeigen für gehobene Stellenangebote enthielt, heute gelten dagegen schon vierzig bis fünfzig Seiten als großer Erfolg. Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist nicht der Inhalt, aber eine unentbehrliche Voraussetzung für praktizierte Pressefreiheit. Anpassung an das wirtschaftlich anscheinend Gebotene liegt nahe; beide Seiten, Verlag wie Redaktion, müssen sich ihrer Verantwortung für die laut Bundesverfassungsbericht für die Demokratie "schlechthin konstituierende" Pressefreiheit bewußt bleiben.

Die Krise hat ein Novum gebracht, die "Frankfurter Rundschau" erhält staatliche Mittel, um sie vor der Pleite zu retten. Wie beurteilen Sie eine solche Maßnahme angesichts der Funktion, die Zeitungen nach dem Unabhängigkeitsideal der Pressefreiheit eigentlich haben - Stichwort "Vierte Gewalt" im Staat?

Fromme: Es ist eine ernsthafte Probe der liberalen Gesinnung unserer Politiker, ob es ihnen tatsächlich gelingt, Vergünstigungen zu gewähren, ohne Gegenleistung zu erwarten. Aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, bleibt dennoch das Problem, daß unwillkürlich der - eigentlich ja menschlich anständige - Reflex wirkt, die Hand, die einen füttert, beißt man nicht. Ich bin also wenig begeistert von der Maßnahme für die Frankfurter Rundschau. Wenn ich allerdings auf der anderen Seite an all die Existenzen, die von einem Aus der Zeitung betroffen wären, denke ... Immerhin kann bei diesem einen Fall schließlich noch nicht davon gesprochen werden, daß damit die Politik das Zeitungswesen in Deutschland übernommen hätte. Im übrigen habe ich vom Konzept der "Vierten Gewalt" nie viel gehalten, weil die Zeitungen in der Realität dem nicht gerecht werden. So viel Gewalt hat eine Zeitung gar nicht. Kurt Tucholsky zum Beispiel hat am Ende seines Lebens enttäuscht notiert, daß es ihm mit all seinem "Geschreibsel" nicht einmal gelungen sei, auch nur einen einzigen Polizisten von seiner Ecke wegzubringen.

So einflußlos ist die Presse nicht, und im 19. Jahrhundert war sie gar der Motor des politischen Liberalismus.

Fromme: Diese Idee findet sich in der heutigen Wirklichkeit wohl kaum noch wieder. Die Zeitungen sind in der Lage, wenn sie gleichsam mit einer Stimme sprechen, der Politik Themen vorzugeben, sie können politisch handelnde Personen "wegbringen", aber die Richtung bestimmen können sie nicht.

Ist das vielleicht Teil des Problems, daß die heutige Presse ganz überwiegend nicht mehr in der große Tradition der Zeitung als politischer Institution steht, nicht mehr weltanschaulich Position bezieht und ordnungspolitisch für etwas streitet?

Fromme: Mit einer solchen Exponierung könnte heute wohl keine große Zeitung mehr existieren. Wo ist denn zum Beispiel die konservative Partei und die konservative Klientel, von der etwa eine durch und durch konservative Zeitung heute leben könnte?

Das heißt, die ideelle Krise unseres Zeitungswesens ist eigentlich nur Ausdruck der ideellen Krise unserer Politik?

Fromme: Ich bedaure das, aber die Welt ist nun einmal, wie sie ist.

Ein knapper Kommentar zu einem großen Problem. Politik streitet heute um Prozente statt um - sieht man einmal von den Grünen ab - ordnungspolitische Standpunkte. Handelt es sich denn dabei genaugenommen überhaupt noch um Politik?

Fromme: Politik besteht heute eben nicht mehr in Eroberungen und der Erlangung von Weltmacht, sondern in der Regelung kleinerer Prozesse und Probleme. Damit müssen sich auch die Zeitungen abfinden. Ich halte nichts davon, sich die großen weltpolitischen Konflikte von einst zurückzuwünschen.

Der Streit um ordnungspolitische Vorstellungen und Imperialismus haben nicht das geringste ...

Fromme: Ich wollte mit dem überspitzten Beispiel nur etwas deutlich machen.

Nach Ihrer Argumentation hätten wir auch bequem im restaurativen 19. Jahrhundert stehenbleiben können.

Fromme: Die Lösung der vielen Einzelfragen, mit denen wir heute konfrontiert sind, stellt angesichts der Komplexität der heutigen Verhältnisse durchaus eine Herausforderung dar. Natürlich ist das ein vergleichsweise bescheidener Ansatz gegenüber den Idealen der Zeit, aus der die Idee der Pressefreiheit stammt, das gebe ich zu - aber Bescheidenheit ist auch eine Tugend des Konservatismus.

Kann das 19. Jahrhundert nicht durchaus als Beispielmodell für unsere reformbedürftige Gegenwart dienen, auch damals war die Gesellschaft festgefügt? Erst durch Errungenschaften wie das Pressewesen als Plattform öffentlicher Diskussion entstand eine politische Dynamik - und damit das, was wir heute Gesellschaftspolitik nennen. Wenn sich die Presse heute bereitwillig nur auf Fragen innerhalb der bestehenden Verhältnisse beschränkt, verrät sie dann nicht ihren eigenen Gründungsethos?

Fromme: Das kann man nicht ganz verneinen, aber dennoch ziehe ich es vor, auf den Tag zu reagieren. Ich glaube, das ist es, was den Zeitungen heute zukommt. Schließlich muß den Philosophen auch noch etwas zu tun übrigbleiben.

Aus dem oben beschriebenen Prozeß ist im 19. Jahrhundert als Produkt das entstanden, was wir heute politische Freiheit nennen. Bewirkt die mangelnde Bereitschaft der meisten Zeitungen in unserem Land, sich an einem ordnungspolitischen Diskurs zu beteiligen, nicht, daß die Freiheit zwangsläufig zu versiegen droht?

Fromme: Die Frage ist in pauschaler Form kaum zu verneinen. Andererseits aber wäre ein Bejahen ein Ausdruck allgemeiner Verzweiflung, der ich mich - trotz meiner Neigung zum Skeptizismus - nicht ergeben will.

Heute nennen sich fast alle großen Zeitungen im Land mit Vorliebe "liberal", das klingt bequem und modern. Werden sie aber diesem eigentlich hohen Anspruch tatsächlich gerecht?

Fromme: Der Liberalismus ist nun einmal eine Weltauffassung, die sich in dem Moment selbst erübrigt, in dem sie Allgemeingut wird. Denken Sie an die Partei, die bei uns die Liberale sein will und bei der man den Eindruck hat, sie ruft dieses Wort um so lauter und verzweifelter aus, je unklarer es ist, was darunter noch zu verstehen sei.

Auch die übrigen Parteien klammern sich an ihre Etiketten als Unterscheidungsmerkmale. Halten denn diese, was ihre weltanschaulich klingenden Namen versprechen?

Fromme: Es stimmt, daß dieser Vorwurf nicht allein die liberale Partei trifft. Was bitte ist am derzeitgen sozialdemokratischen Führungspersonal noch sozialdemokratisch? Und was ist am derzeitigen christlich-demokratischen Führungspersonal noch christlich?

Beziehungsweise konservativ?

Fromme: Mich hat zum Beispiel einigermaßen enttäuscht, daß der christlich-soziale Kandidat der letzten Bundestagswahl schon im Wahlkampf zugegeben hat, daß er im Falle eines Wahlsiegs an der sogenannten Homo-Ehe-Regelung nichts ändern werde. Und das vor dem Hintergrund der damals angestrengten Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz der Regierung. Was für ein sonderbarer Widerspruch! Auch die christlich-bürgerliche Partei glaubt offenbar nicht einmal mehr an ihre eigenen Politikvorstellungen.

Hatten Sie nicht eben noch die Betonung ordnungspolitischer Fragen abgelehnt?

Fromme: Da sehen Sie, wie schwierig die Dinge sind. Ich wollte nur deutlich machen, wie vordergründig die politische Etikettierung der Parteien geworden ist.

Bei der letzten Bundestagswahl zeigte sich, daß durch das Preisgeben ordnungspolitischer Überzeugungen offenbar ein ideelles Vakuum entsteht, das nach einiger Zeit zu einer zunehmenden "Amerikanisierung" der Politik mit Fernseh-Duellen und Gefühls-Wahlkampf führt. Statt um Überzeugungen geht es ums Image. Welche Gefahren erwachsen aus der Preisgabe des Politischen für die Demokratie?

Fromme: Tut mir leid, ich sehe eine ganz andere Gefahr, nämlich daß der Sinn demokratischer Entscheidungen - friedliche Einigung über Veränderungen des Gemeinwesens zu erzielen - gegenüber dem Verlangen nach Ideen, Visionen und Ideologien ins Hintertreffen gerät. Ich fürchte, daß in Zukunft wieder das, was die Demokratie redlich erwirtschaftet, nicht mehr an realistischen Maßstäben, sondern an fiktiven, erhabenen Zielen gemessen und deshalb leichtfertig unterbewertet wird.

Wie steht es mit modernen Phänomenen wie zum Beispiel der Political Correctness?

Fromme: Ich kann der These nicht widersprechen, daß zahlreiche der liberalen Blätter in Deutschland ihre Liberalität durch Political Correctness substituiert haben. Der Feind der Pressefreiheit im 19. Jahrhundert war der Fürst. Den Fürsten gibt es heute nicht mehr, dessen Rolle haben - so könnte man sagen - heutzutage die Sachwalter der Political Correctness übernommen.

Auch bei den "konservativen" Blättern scheint ein Substitut nachweisbar: Alles dreht sich nur noch um Marktwirtschaft.

Fromme: Das sehe ich nur zum Teil so. Von Fall zu Fall findet man in den betreffenden Blättern eine Kommentierung, die dieser Kritik entspricht, das nächste Mal aber trifft diese Kritik nicht.

Sehen Sie in Deutschland denn noch konservative Zeitungen?

Fromme: In gewisser Weise schon.

Das klingt unentschlossen. Welche wären das?

Fromme: In gewissem Maße die Welt und eben die Zeitung, bei der ich einmal tätig war, wenn auch abgeschwächt oder gemildert durch "Liberalität". Und da wären noch zahlreiche Provinzzeitungen, denen trotz aller Tendenzen zur Banalisierung und Popularisierung, doch oft ein gewisse konservative Grundeinstellung eigen ist.

Die "Welt" ist schon seit Jahren darum bemüht, ein liberales Image zu erlangen, und die "FAZ" folgt bekanntlich dem sogenannten schwarz-rot-goldenen Konzept, etwas "schwarz" im Politikteil, "rot" im Feuilleton und liberal im Wirtschaftsteil. Als eindeutig konservatives Profil kann man das nicht bezeichnen.

Fromme: Dieses schwarz-rot-goldene Profil hat in der FAZ schon lange Tradition. Aber bitte verstehen Sie, wenn ich mich nicht weiter zu meinem ehemaligen Haus äußern möchte, dem ich mich immer noch verbunden fühle.

Auffällig ist, daß linke und "liberale" Zeitungen eine solche "Unreinheit" eher selten aufweisen.

Fromme: Dem kann ich nicht widersprechen.

Woran liegt das?

Fromme: Vermutlich am stärkeren Einschuß von Liberalität im Konservatismus als bei den anderen Weltauffassungen. Diese liberale Seite zeigte der Konservatismus übrigens schon im 19. Jahrhundert, denken Sie an die Romane Theodor Fontanes oder auch die Memoiren anderer als "stockkonservativ" geltender Persönlichkeiten.

Das heißt, dem Konservatismus ist eigen, daß er sich beständig selbst liberalisiert. Muß dies, wenn man sich auf dieses Verständnis von Konservatismus verläßt, nicht unweigerlich einmal zur Selbstauflösung führen?

Fromme: Nein, denn es gibt Wege, die auf rätselhafte Weise nie zu einem Ziel führen, die man immer weiter beschreiten kann, ohne voranzukommen.

Was wäre demzufolge eine Zeitung, die die Gesellschaft wieder mit prononciert konservativen Ansichten und Thesen herausfordert - ein Anachronismus?

Fromme: Ich würde sie als erfrischende Bereicherung des Spektrums empfinden.

Solch eine Zeitung würde allerdings von der vorherrschenden political correctness bekämpft.

Fromme: Das ist zu erwarten, und es ist betrüblich.

Erläge dieses konservative Projekt dem Widerstand, was wäre das für ein Signal für die Verhältnisse in unserer Gesellschaft?

Fromme: Es wäre ironischerweise ein konservatives Signal.

Inwiefern?

Fromme: Ein solch konservatives Projekt ist doch in unserer heutigen Zeit ein Novum, ergo wäre sein Scheitern ein Sieg der Kräfte der Beharrung. Daß dieser negative Konservatismus der selbstgefälligen Beharrung heute ausgerechnet von den angeblichen Kräften des Fortschritts kommt, ist die traurige Ironie an der Geschichte.

 

Dr. Friedrich Karl Fromme, geboren 1930 in Dresden, war von 1964 bis 1997 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ab 1974 als Leiter der Redaktion Innenpolitik und Koordination. Er studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht, Soziologie und promovierte bei Theodor Eschenburg in Tübingen über das Thema "Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz".

 

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