© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/04 30. Januar 2004

Bundespräsident
Angst vor der Volkswahl
Dieter Stein

Die Wahl des neuen Bundespräsidenten wird zunehmend zur Farce. Offen und ehrlich haben die Parteien die Kandidatenkür taktischen Erwägungen untergeordnet. Rot-Grün hat keine eigene Mehrheit für einen Kandidaten der Regierung, also geht es Schröder und Fischer nun vorrangig darum, der Union die Möglichkeit zu versalzen, einen starken Mann der Opposition durchzusetzen. Die FDP wiederum will primär Eigenständigkeit demonstrieren und ihre Rolle als Zünglein an der Waage auskosten. Also präsentiert Westerwelle zwei personelle Optionen: Wolfgang Gerhardt, als Kandidat einer Mehrheit aus Union und FDP; falls dieser von Merkel und Stoiber nicht akzeptiert wird, dann Cornelia Schmalz-Jacobsen als Kandidatin für eine Mehrheit aus Rot-Grün und FDP.

Die Union wiederum will sich bis nach der Hamburg-Wahl Zeit lassen, um einen eigenen Kandidaten nicht frühzeitig aufzureiben. So läßt Merkel Wolfgang Schäuble und Klaus Töpfer zappeln, die vom einen oder anderen Lager derzeit protegiert werden.

Schlußendlich geht es aber zuallerletzt um eine Person, die Deutschland angemessen repräsentiert und die Rolle eines Präsidenten ausfüllt. Das Amt ist degradiert worden zu einer Komparsenrolle im System des Parteienstaates, der hübsche Termine wahrzunehmen hat.

Daß das so ist, dafür ist auch das Verfahren seiner Nominierung und Wahl verantwortlich. Egal, welcher Kandidat gefunden wird, er ist von den Apparaten der Macht ausgeworfen worden und ist auch diesen für die Wahl verpflichtet: den Parteien.

Wäre der Bundespräsident direkt gewählt, so könnte er, obwohl ihm keine exekutiven Kompetenzen zustehen, mit der vollen Wucht der Volkswahl ein moralisches Korrektiv zum Parteiengezänk, zum Kartell der Apparate und Interessengruppen einbringen. Es wäre sogar denkbar, daß Präsidenten gewählt würden, deren Parteizugehörigkeit keine Rolle spielte.

Es wäre aber die einzige personelle Entscheidung auf Bundesebene, auf die die Bürger direkten Einfluß hätten. Davor haben die etablierten Parteien zu Recht eine höllische Angst. Ihnen könnte nämlich in der Gestalt eines populären Bürger-Präsidenten eine Konkurrenz erwachsen, die auch wiederum auf das Parteiensystem durchschlägt.

Warum sollten die Bürger dann noch weiter hinnehmen, daß sie über auf Delegiertenparteitagen ausgekungelte Landeslisten bei der Wahl abstimmen sollen und daß sie auf die Auswahl des im Bundestag vertretenen Personals nur marginalen Einfluß haben?

Die Volkswahl des Bundespräsidenten hat man noch nicht eingeführt, weil es bei der politischen Klasse ein tiefsitzendes Mißtrauen in das Volk gibt. Diejenigen, die am lautesten das Wort Demokratie im Munde führen, haben in Wirklichkeit häufig die größte Angst vor der Realität von Volksherrschaft und wollen sie deshalb soweit es irgend geht an kurze Zügel legen und unter Kontrolle behalten. Am liebsten wäre es ihnen wohl, sie könnten sich notfalls ihr Volk selbst aussuchen.


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