© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/04 30. Januar 2004

PRO&CONTRA
Kirchensteuer abschaffen?
Dr. Dietmar Lütz / Pastor Friedrich Schneider

Es verwundert nicht, daß in einer Zeit, da die USA die Besiedelung des Mars ernsthaft erwägen, in Deutschland die Diskussion um die Abschaffung der Kirchensteuer erneut entflammt. Offenbar leben wir in einer Zeit der Ersatzutopien. Daß der diesmalige Anstoß zur Kirchensteuerdebatte allerdings aus den Reihen der christlichen Parteien kommt, macht ihn allen Nachdenkens wert. Als Vertreter von 12 Freikirchen mit circa 300.000 Mitgliedern in Deutschland, die aus Glaubensgründen einen Kirchensteuereinzug für sich nicht in Anspruch nehmen, obwohl er ihnen grundgesetzlich zusteht, glaube ich nicht an eine leichte Lösung des Kirchensteuerproblems. Allerdings glaube ich auch nicht, daß die großen Kirchen auf Dauer das Kirchensteuer-Wesen als lebensbedrohliches Relikt vergangener Zeiten ignorieren dürfen. Zum einen reduziert ja jede Steuerreform die an die Einkommensteuer gebundene Kirchensteuer. So kann diesen Kirchen auch nicht an einer echten Steuerreform gelegen sein. Zum anderen verdirbt die trügerische Sicherheit automatischer Finanzierung den klaren Blick für und das Urteilsvermögen über den tatsächlichen Zustand einer Gemeinschaft, heiße sie Staat oder Kirche.

Freikirchen erheben keine Pflichtabgaben, sondern leben durchweg von freiwilligen Spenden, deren Höhe - außer dem Kassierer - niemandem bekannt ist. Freikirchen tragen ihren gesamten Unterhalt selbst: das Kirchengebäude, alle Personal- und Sachkosten sowie die Ausbildung ihrer Geistlichen an theologischen Hochschulen. In Freikirchen ist es zudem selbstverständliche Übung, daß Jugendliche, Studenten, Erwerbslose und Rentner nach ihren Möglichkeiten die Gemeinde mitfinanzieren. Derlei Selbstverständlichkeiten haben in den Steuerkirchen keine Tradition. Freikirchen haben zur Abschaffung der Kirchensteuer deshalb nichts anderes zu sagen als dies: Wir selbst sind ein Beweis dafür, daß es auch ohne geht.

 

Dr. Dietmar Lütz ist Beauftragter der Vereinigung Evangelischer Freikirchen am Sitz der Bundesregierung.

 

 

Warum nicht? Man kann jedenfalls mal darüber nachdenken.

Als evangelische Freikirche können wir auf über 150 Jahre Erfahrung in der Finanzierung einer Kirche ohne Kirchensteuer zurückblicken. Unsere Erfahrung: Es geht. Und nicht nur als Notlösung: Freiwillige Spenden zur Finanzierung der kirchlichen Arbeit fördern den sorgsamen Umgang mit den anvertrauten Geldern.

Allerdings setzt ein solches Finanzierungsmodell voraus, daß sich Menschen auch mit den inhaltlichen Zielen der Gemeindearbeit identifizieren und Mitsprachemöglichkeit bei der Gestaltung des Haushaltes haben. Beides ist bei den Freikirchen gegeben, die in ihrer Organisationsstruktur basisdemokratisch aufgebaut sind.

Und hier liegen auch die Grenzen der Übertragbarkeit auf die landeskirchliche Situation. Nur wenige Kirchenglieder sind eng mit ihrer Gemeinde verbunden. Und die sogenannte Kerngemeinde ist wahrscheinlich überfordert, die zahlreichen Arbeitszweige zu tragen. Es geht also nicht ohne staatliche Hilfe aus dem allgemeinen Steueraufkommen. Kulturelle Aufgaben wie die Unterhaltung der kulturhistorisch wichtigen Gebäude sind nur mit Hilfe der großen Solidargemeinschaft einer Gesellschaft zu meistern, wie auch sozial-diakonische Arbeiten im Sinne der Allgemeinheit sind und darum aus allgemeinen Mitteln gefördert werden müssen.

Darum mein Fazit: Es geht ohne Kirchensteuern, eine Gemeindearbeit mit engagierten Mitgliedern zu finanzieren. Es geht aber nicht, daß sich der Staat und die Gemeinschaft der Steuerzahler aus kulturellen und sozialen Aufgaben verabschieden. Viel zu sparen wäre also wohl nicht, wenn die Kirchensteuer fällt.

 

Pastor Friedrich Schneider ist Pressesprecher und Mitglied der Bundesgeschäftsführung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten- und Brüdergemeinden) in Deutschland.


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