© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/04 30. Januar 2004

Die Streiter gegen das rote Jahrzehnt
Die konservativen Gegenbewegungen zu den 68ern werden sogar noch heute durch nostalgische Institutionenmarschierer überdröhnt
Werner Olles

Der lange Marsch der 68er durch die Institutionen endete zwar - sieht man von einigen wenigen Ausnahmen ab -, mit deren Übernahme durch die Kulturrevolutionäre, über den Widerstand, der vor allem von konservativen Kreisen und Einzelpersönlichkeiten gegen diesen Ansturm geleistet wurde, hat man bislang jedoch kaum etwas erfahren. Nach zahllosen Büchern über die 68er, die zumeist nichts als unkritische Lobhudeleien waren, kommen nun endlich auch ihre damaligen Gegner zu Wort und werden Projekte, Zeitschriften und Vereinigungen vorgestellt und gewürdigt, die sich beispielsweise in den Hochschulen, der Evangelischen Kirche oder der SPD den linksradikalen Strategen und ihrem Fußvolk entgegenstellten.

Dabei gab es, folgt man den Herausgebern dieses Bandes, zwei "Hauptlinien des Widerstands". Die erste umfaßte primär die eher "reformistischen" Kräfte, zu denen unter anderem traditionelle Sozialdemokraten wie Hermann Lübbe und der ehemalige Moderator des ZDF-Magazins Fritz Schenk gehörten, aber auch der Hessische Elternverein, der gegen das leistungsfeindliche Gesamtschul-Experiment und die systemverändernden sogenannten Rahmenrichtlinien des hessischen Kultusministers Ludwig von Friedeburg ins Feld zog, oder die neokonservative und damals strikt antikommunistische Springer-Presse mit ihrem Anti-68er-Flaggschiff Die Welt, zu der so hervorragende Publizisten und Redakteure wie Hans-Dietrich Sander, Bernd Nellessen, Winfried Martini, Matthias Walden, Hans-Georg von Studnitz, William S. Schlamm und Armin Mohler zählten.

Einen "originär konservativen Widerstand" fand man hingegen in der zweiten Hauptlinie. Hierzu gehörten vor allem Evangelikale und andere christlich-konservative Gruppierungen, der Philosoph Günter Rohrmoser, der sich beispielsweise mit dem aus der Aufklärung gespeisten "Atheismus im Neomarxismus" der Frankfurter Schule und ihren Haupt-Protagonisten Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse und Jürgen Habermas auseinandersetzte, und natürlich als wichtiger Zweig des Widerstands gegen "1968" die "neue konservative Publizistik". Neben Caspar von Schrenck-Notzings Criticon und Konservativ heute, die später fusionierten, zählten dazu Student, William Schlamms Zeitbühne, das Deutschland-Magazin der eher Unions-nahen Deutschland-Stiftung und Gerd-Klaus Kaltenbrunners Initiative bei Herder.

Daß die beiden Hauptlinien des Widerstands bisweilen - durchaus nicht nur personelle - Schnittmengen aufwiesen, wird dabei besonders im publizistischen Bereich deutlich. Tatsächlich war hier wohl das Bewußtsein konservativen Denkens am stärksten, wenngleich die Widerständler an den Hochschulen gewiß die übelsten Auswirkungen der "kleinen Kulturrevolution" in Deutschlands "rotem Jahrzehnt" (Gerd Koenen) hautnah und oft genug am eigenen Leib zu spüren bekamen. Aktive Objekte des politischen Prozesses und der gesellschaftlichen Entwicklung waren die Konservativen jedoch damals bereits nicht mehr, um so höher muß man dann allerdings auch ihren Mut bewerten, auf verlorenem Posten auszuharren. Den machtbewußten Strategien ihrer politischen Gegner von linksaußen, deren einfache Konzepte und diffuse Ideen sie zwar intellektuell durchschauten, denen sie aber mit ihren defizitären Kräften in jeder Hinsicht hoffnungslos unterlegen waren, wäre wohl nur mit einer wirklichen "Konservativen Revolution von rechts" beizukommen gewesen.

Zur Gänze erkannten zumindest Teile der Konservativen dies jedoch erst, als es bereits zu spät war. In diesem Sinne ist an Armin Mohlers Verdikt von den "Kerenskis der Kulturrevolution", die in den späten "sechziger Jahren fassungslos ernteten, was sie mitgesät hatten" (Günter Maschke), viel Wahres. Nach dem scheinbar energischen Motto "Bis hierher und nicht weiter!" wollte man halten, verteidigen und bewahren, wo es längst nichts mehr zu halten, zu verteidigen und zu bewahren gab. Das Drama der Kulturrevolution von 1968 war indes nur das Präludium eines Niedergangs alles Konservativen, der bis heute unverändert andauert.

Hartmuth Becker, Felix Dirsch, Stefan Winckler (Hrsg.): Die 68er und ihre Gegner. Der Widerstand gegen die Kulturrevolution. Leopold Stocker Verlag, Graz 2003, 252 Seiten, 19,90 Euro


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