© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/04 06. Februar 2004

Böen über Südwest
Namibia: Der seit 13 Jahren regierende Präsident Sam Nujoma gebärdet sich zunehmend wie sein Vorbild Robert Mugabe in Simbabwe
Hans-Ulrich Pieper

Der Süden Afrikas kommt nicht zur Ruhe. Arbeitslosigkeit, Aids, Korruption und Kriminalität sollen durch schwarzen Rassismus verdrängt werden - insbesondere in Wahlkampfzeiten fordert er immer mehr Opfer: Während des Wahlkampfes wurden 1999 Hunderte weiße Farmer in der Republik Südafrika ermordet, die wohlhabende, weiße Mittelschicht - etwa eine Million Menschen - vertrieben. Und: Thabo Mbeki, der den Weißen die Schuld am wirtschaftlichen südafrikanischen Niedergang gab, wurde als Nachfolger Nelson Mandelas zum Präsidenten gewählt. Als Robert Mugabe zum Präsidenten Simbabwes wiedergewählt werden wollte, enteignete er die weißen Farmer und verteilte ihr Land an seine Parteigänger. Der wirtschaftliche Ruin kann so weithin verdrängt werden. Der Diktator feiert seinen Triumph am Wahlabend.

Jetzt blickt ganz Südafrika nach Namibia, dem alten Deutsch-Südwest, wo 70.000 Weiße leben. Dort beginnt Sam Nujoma seinen Wahlkampf. Er will 2004 wiedergewählt werden. Droht den Deutschen, die das Land wirtschaftlich und kulturell maßgeblich geprägt haben, nun ebenfalls Enteignung und Vertreibung?

Die Saat der verbalen Gewalt gegen Weiße geht langsam auf Kombat, Nord-Namibia, 20. April 2003: Das hätte sich Vico Blume (46) nicht träumen lassen. Seine Bibel rettete ihm und seiner Familie das Leben. Der weiße Farmer, der vor dem Einschlafen in der Heiligen Schrift liest, hört Einbrecher im Haus. Er rennt ins Wohnzimmer, die Bibel in der Hand, sieht vier schwarze Einbrecher, die gerade seinen Onkel fesseln. Geistesgegenwärtig knallt der Farmer dem Rädelsführer die schwere Bibel an den Kopf, ehe dieser seine Waffe ziehen kann. Vicos Frau, ebenfalls aufgeschreckt, kommt mit dem nicht geladenen Gewehr. Ein wilder Kampf endet mit der Vertreibung der vier Einbrecher, die noch auf der Flucht den Sohn des Farmers niederstechen. Der Rädelsführer, ein Ovambo, kann niedergeworfen und der Polizei übergeben werden. Die anderen entkommen. Für viele Weiße in Namibia ist die Familie des deutschstämmigen Vico Blume, die alle in Südwest-Afrika geboren sind, eine vorbildliche, mutige Familie: "So wird's gemacht, wenn sie kommen" - hört man bis heute in weißen Farmerkreisen, die meist enttäuscht die widerstandslose Vertreibung der Engländer aus Mugabes Simbabwe beobachten mußten.

Immer häufiger kommen aber auch andere, ganz offiziell: Am Samstag, dem 1. November wird Hartmut Held auf dem Weg von seiner Farm in Dettoop nach Omitara von Polizisten festgenommen. Der Polizei-Inspektor Isaaks wirft ihm vor, daß er für das Verschwinden eines alten Mannes im Jahr 2000 verantwortlich sei. Angebliche Zeugenaussagen sind widersprüchlich und stammen von einer schwarzen Familie, die seit Jahren bei Helds Farmverbot hat - ein offenkundiger Racheakt. "Psychoterror gegen Farmer", titelt deshalb auch die sonst eher zurückhaltende deutsche Allgemeine Zeitung (AZ ) am 4. November 2003, die in Windhuk erscheint. Aufgebrachte Farmer bezeichnen die Verhaftung des untadeligen, nicht vorbestraften Held "als einen weiteren Versuch des Psychoterrors, der von bestimmten politischen Personen" gegen die Farmer geführt wird. Weiße werden immer am Freitag oder Samstag verhaftet, so findet die AZ heraus, "damit sie das ganze Wochenende im Gefängnis sitzen müssen und keine Rechtshilfe erreichbar ist". Meistens sind es Anschuldigungen von ehemaligen Arbeitern, die einer gerichtlichen Nachprüfung nicht standhalten, aber mit pressewirksamen polizeilichen Verlautbarungen die Weißen verunsichern sollen.

Die Kampagne gegen die Weißen Namibias beginnt am 22. November 2002 - für journalistische Beobachter der Beginn der Wahlkampagne des Swapo-Chefs und namibischen Präsidenten Sam Nujoma (73). An diesem Tag führt der Welt-Korrespondent Thomas Knemeyer in Oshakati, im Norden Namibias, ein in der Welt-Redaktion später als "Pöbel-Interview" berüchtigtes Gespräch mit Präsident Nujoma, das vom staatlichen NBC-TV in den Hauptnachrichten des Landes um 20 Uhr gesendet wird. O-Ton Nujoma: "Ich möchte, daß das jeder kapiert. Jede Ecke der Republik Namibia ist das Eigentum des namibischen Volkes. Es wurde von deutschen Kolonialisten von 1884 bis 1915 überfallen, sie haben unser Land unter sich aufgeteilt, sie haben niemals den Grund und Boden erworben. Also ist es nun das Prärogativ des namibischen Volkes zu entscheiden, wem das Land gehört." Der Präsident bekennt sich zu Landenteignungen gegen Ausländer, um dann unmißverständlich und wütend gestikulierend festzustellen: "Wenn ihr Weißen weiterhin so arrogant seid, dann werden wir euch ganz sicher einen Schlag versetzen! Wir haben die Fähigkeit, mit euch fertig zu werden."

Die Allgemeine Zeitung in Windhuk sieht nun "eine Saat verbaler Gewalt und Drohung aufgehen", die bald auch die Weißen des Landes erreichen wird. Für die Weißen kommt sie ziemlich überraschend. Denn im Jahr 13 der Unabhängigkeit sieht das Land Namibia für afrikanische Verhältnisse zunächst überraschend sauber, geordnet, relativ rechtsstaatlich, parlamentarisch, fast blühend aus, wenn man in Windhuk landet, durchs Land fährt und Gespräche mit den Bewohnern - egal, ob schwarz oder weiß - führt.

Die 1,8 Millionen Bewohner - davon gehören 50 Prozent zum Stamm der Ovambos, neun Prozent sind Kavangos, sieben Prozent Hereros, sieben Prozent Damara, fünf Prozent Nama (Hottentotten), vier Prozent Caprivianer, drei Prozent San (Buschmänner) und neun Prozent "Randstämme" sowie sechs Prozent Weiße - leben auf einem doppelt so großen Gebiet wie das heutige Deutschland. Spötter behaupten deshalb, das Land brauche eigentlich gar keinen Präsidenten, der sich gerade einen 700 Millionen Namibia-Dollar (ca. 100 Millionen Euro) teuren Palast baut und mit dem Lear-Jet hin und her düst - ein Bürgermeister reichte angesichts der dünnen Besiedlung völlig aus.

Tatsächlich häufen sich die wirtschaftlichen und sozialen Probleme - ein Grund für den neuen "schwarzen Rassismus"? Oppositionsführer Ben Ulenga nickt lächelnd. Dann korrigiert der Parteichef der Kongreßdemokraten (COD) das, was er das "täuschende Äußere" nennt: "Mit über 50 Prozent ist die Arbeitslosigkeit horrend hoch, der Zuzug armer Menschen in städtische Elendsviertel ist ungebrochen, mehr als zwanzig Prozent der Schwarzen haben Aids, das Land befindet sich generell in einem Reformstau. Die Swapo, die führende Partei, behandelt das Parlament längst wie ein Stempelkissen." Jüngstes, für europäische Ohren eher belustigendes Beispiel: Swapo-Parlamentsabgeordnete werden gerügt, weil sie ihre Einkommensverhältnisse nicht vorschriftsmäßig offenlegen. Der Swapo-Generalsekretär antwortet auf die Mahnung des Parlamentspräsidenten, der Fragebogen sei "viel zu kompliziert": "Wie soll ich das Gehalt meiner Frau offen legen, wenn es mir gar nicht bekannt ist?" Die Opposition ist entsetzt - schließlich wird die Verfassung verletzt.

Für alles sind die weißen Landbesitzer die Sündenböcke

Schwerwiegender ist die Kritik, die Nujoma wegen der geplanten Landreform und der gewerkschaftlichen Farmbesetzungen erfährt. "Im Norden Namibias, wo es genug Wasser gibt, arbeiten die Bauern wie vor 500 Jahren", erklärt Ulenga. "Namibia braucht eine Agrarreform, die generell Armut und Rückständigkeit der schwarzen Landwirte bekämpfen muß", ergänzt der Oppositionsführer, der 1976 festgenommen wurde und acht Jahre auf der Häftlings-Insel Robben Island (vor Kapstadt) verbrachte.

Nujoma hat die Sündenböcke für die Versäumnisse seiner 13jährigen "Politik der Unabhängigkeit" ausgemacht: Es sind die 4.000 weißen Landbesitzer, die 45 Prozent des Farmlandes erfolgreich bewirtschaften. Noch wird von Regierungssprechern betont, Farmverkäufe fänden nur auf freiwilliger Basis statt. Doch vor dem Swapo-Parteikongreß bezeichnete der Parteichef diesen Prozeß "als zu langsam, schwerfällig und kostspielig". Überhaupt verhält sich der Präsident "zunehmend aggressiv und intolerant", so rügte ihn kürzlich die Gesellschaft für Menschenrechte (NSHR) in Windhuk.

In einem BBC-Interview erklärte Nujoma, man könne "auf westliche Hilfe getrost verzichten". Merkwürdigerweise sieht das Bundesaußenminister Joschka Fischer ganz anders: Er entdeckte Namibia - nach Israel - als weiteres Land, zu dem Deutschland "aufgrund seiner Verantwortung für die Geschichte eine besondere Beziehung" unterhält. Deshalb werde Deutschland materielle Hilfe für Namibia leisten. Anläßlich seines Besuchs im November übergab der deutsche Minister dem mit 1,28 Millionen Euro geförderten namibischen Nationalarchiv 800 Mikrofilme mit Akten des ehemaligen Reichskolonialamtes aus dem Bundesarchiv in Koblenz. Sie sollen einen Beitrag "zur Dokumentation des Widerstandes gegen die weißen Kolonialherren" leisten. Dabei geht es insbesondere um den Herero-Aufstand, bei dem von 1904 bis 1907 insgesamt 65.000 Herero umgebracht worden sein sollen - eine Zahl, die auch vom Auswärtigen Amt wiedergegeben wird, historisch allerdings umstritten ist und auch nicht gesichert angegeben werden kann. Nunmehr fordern die Nachfahren der Opfer deutsche Wiedergutmachung in Höhe von insgesamt vier Milliarden Dollar - eine Klage, die in den USA von spezialisierten Anwälten eingereicht, aber bisher von keinem Gericht angenommen wurde. Vor dem Hintergrund der eigenen Kolonialgeschichte mit der grausamen Ausrottung der indianischen Urbevölkerung erscheint wohl selbst liberalen US-Richtern diese Klage als Zumutung.

Obwohl die Regierung in Windhuk zunächst selbst keine Wiedergutmachung forderte, ließ der deutsche Außenminister bei seinem Besuch keine Gelegenheit aus, sich zur "kolonialen Vergangenheit Deutschlands zu bekennen" und "das schlimme Erbe des Kolonialismus" zu beklagen. Er werde allerdings "keine Äußerung vornehmen, die entschädigungsrelevant wäre". In seiner Abschluß-Pressekonferenz bedauerte der Minister, daß die Haushaltslage in Deutschland, die er als "beängstigend" bezeichnete, derzeit keine Steigerungsraten bei finanziellen Hilfen ermöglichten. Mit 500 Millionen Euro, die Deutschland seit der Unabhängigkeit an die namibische Regierung überwies, ist die Bundesrepublik das größte Geberland. Von dem Afrika-Beauftragten, Ministerialdirigent Harro Adt, wurde überdies bekannt, daß Deutschland allein für 2002/2003 "etwa 23 Millionen Euro für technische Expertisen und Entwicklungsprojekte in Namibia bereitgestellt" habe.

Der Geldsegen aus Deutschland und der EU (die in Namibia das Straßennetz erneuert) hat für Nujoma offenbar zu einer Doppelstrategie geführt: Zum einem hält er die Hand nach Europa auf und betont Legalität bei der Landreform, zum anderen läßt er seine Genossen vom Gewerkschaftsbund (Nafwu) die weißen Farmer zunehmend unter Druck setzen. "Er braucht die Weißen als 'Sündenböcke'", stellt denn auch der Welt-Afrika-Korrespondent Thomas Knemeyer am 30. August fest.

Der Generalsekretär der Farmarbeitergewerkschaft (Nafwu), Alfred Angula, kündigte am 4. November 2003 auf einer Pressekonferenz die Aktionen an: Weiße Farmbesitzer, "die sich nicht benehmen können, werden ihr Land teilen müssen, nachdem wir es besetzt haben. Die Zeit des Redens ist vorbei, jetzt wird gehandelt." In den nächsten Wochen sollen die ersten 15 Farmen besetzt und die weißen Farmer aufgefordert werden, ihr Land mit den Besetzern zu teilen. Mit den Aktionen wolle man "die Regierung bei der Landumverteilung unterstützen". Rückendeckung erhielt Angula vom Generalsekretär des gewerkschaftlichen Dachverbandes (NUNW), Evilastus Kaaronda: "Wir unterstützen die gerechte Sache, denn die Zeit ist reif. Sollten die Farmer zur Teilung ihres Landes nicht bereit sein, muß man das Land notfalls mit Zwang teilen": "It is landsharing, not landgrabbing." Tags darauf greift Angula einzelne Farmbetriebe in den Regionen Krumhuk und Ongombo West an. "Sie haben Arbeiter entlassen, an den Straßen abgeladen und sogar getötet." Presseanfragen nach Namen und Beweisen weicht der Gewerkschafter aus.

Die Lage spitzt sich am 14. November zu: Der Präsident der Dachgewerkschaft NUNW, Ristow Kapenda, fordert offen in der Zeitung Republikein: "Die Weißen müssen raus! Die Gewerkschaft wird nicht Ruhe geben, bis nicht alle Weißen das Land verlassen. Die Kolonialisten haben unseren Vorvätern den Boden weggenommen. Wir werden dafür sorgen, daß die Afrikaner ihn wieder zurückerhalten."

Bemerkenswert ruhig reagiert der mitgliederstarke Farmer-Verband. Der Vorsitzende, Siegfried Schneider (53): "70 Prozent der namibischen Wirtschaft hängen von der Landwirtschaft ab." Andererseits seien 50 Prozent der Menschen arbeitslos. Das erkläre die rhetorische Rabulistik der Gewerkschaften. Seit der "Land-Konferenz" 1991 habe sich viel geändert. So habe man damals die Frage geklärt, wem das Land gehöre, und eingestanden, daß - wie die Weißen - auch alle schwarzen Stämme Einwanderer seien. Insofern gebe es "kein ethnisches Landprivileg mehr". Inzwischen seien mehr als 40 Prozent der Farmer Schwarze, und die Regierung fördere diese Entwicklung durch einseitige, zinsgünstige Kredite an Schwarze. "Wir müssen uns vertragen", hofft der Farmer-Repräsentant und fügt hinzu: "Trotz allem bin ich optimistisch."


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