© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/04 13. Februar 2004

Der Kampf geht weiter
Enteignungen II: Nach dem Urteil aus Straßburg deutet sich zwischen Bundesländern und Neusiedlererben keine Einigung über Rückgabe oder Entschädigung an
Matthias Bäkermann

Nach der Verurteilung der entschädigungslosen Enteignung von "Neubauernland" durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vor zwei Wochen ist es um das lange totgeschwiegene Thema Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zum Aufruhr gekommen. Zahlreiche Artikel in allen großen Zeitungen haben auf die nicht rechtsstaatliche Behandlung der um ihr Eigentum Geprellten hingewiesen.

Die Verunsicherung bei den politischen Verantwortlichen scheint allerdings groß zu sein. Denn wie zum Trotz wurden reflexartig lang widerlegte Argumente zur Rechtfertigung der Kohlschen Enteignungspolitik verbreitet: in derWelt am Sonntag etwa die Bemerkungen der am Zwei-Plus-Vier-Vertrag beteiligten DDR-Politiker Lothar de Maizière und Markus Meckel, die dem sowjetischen Verhandlungsführer Michail Gorbatschow mit seiner Aussage, die Enteignungen seien niemals Verhandlungsgrundlage gewesen, Vergeßlichkeit in diesem Punkt unterstellen oder von den Enteigneten sogar fordern, sich "ein Beispiel an den Heimatvertriebenen" zu nehmen. "Die gehen viel gelassener damit um als die Alteigentümer, wo man manchmal den Eindruck hat, daß eine gewisse Maßlosigkeit nicht zu verneinen sei", äußert sich de Maizière höhnisch.

Es geht nur um Eigentum im gegenwärtigen Staatsbesitz

Doch insgesamt scheinen diese Stimmen wie das mutmachende Pfeifen im dunklen Keller. Denn die Interessenverbände der Enteignungsopfer gehen in die Offensive. Der Bund der Neusiedler-Erben (BNE) hat für die vielen Betroffenen, denen nach Umsetzung des Straßburger Urteils Rückgabe oder angemessene Entschädigung zustände, für den 16. Februar eine große Informationsveranstaltung im mecklenburgischen Güstrow vorbereitet, um über weitere Schritte abzustimmen. "Wir ersticken momentan in der Post von Anfragen Betroffener", gibt Karl Homer, Sprecher des BNE und Bundesvorstandsmitglied der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE), auf Anfrage der JF Auskunft. Den Anfragenden aus dem Heer der etwa 70.000 "Neusiedlererben" wird ein Musterbrief zur Anmeldung von Ansprüchen mit dem Rat weitergegeben, diesen an die zuständigen Stellen der Landesfinanzministerien einzureichen. "Bezüglich eventueller Fristen herrscht mittlerweile ein ziemliches Chaos", sagt Homer und spielt auf die genannten Fristen bis zum 22. oder 26. Februar an, die beispielsweise durch Anwaltskammern der Länder oder den Mitteldeutschen Rundfunk verbreitet werden. Obwohl juristisch vieles unklar sei und grundsätzlich schnell reagiert werden sollte, wittert der Neusiedler-Vertreter hinter diesen Daten auch eine "gewisse Panikmache, um schnellstmöglich Mandanten zu akquirieren".

Teilweise stoße die Initiative der Neusiedlererben in Zusammenarbeit mit den Enteigneten der Zeit 1945 bis 1949 auf Mißtrauen, gibt Homer zu und deutet die Kooperation mit den Alteigentümern unter dem Dach der ARE an. Gerade aus der Zeit der DDR hätten sich noch jede Menge Vorbehalte gegen die "Großgrundbesitzer" erhalten, und man fürchte - wie sogar im Spiegel 5/04 angedeutet -, daß die Alteigentümern die Neusiedlererben vorschöben, um mit diesem "Trick" an ihr Land zu kommen.

Dabei sei ganz klar, daß es den Alteigentümern nur um das noch in Besitz des Bundes oder der Länder befindliche Grundeigentum gehe, da sind sich Neusiedlervertreter Homer und ARE-Vorsitzender und Alteigentümer Manfred Graf von Schwerin einig. Diese Strategie verfolge nur den Zweck, die Eintracht der gemeinsamen Kämpfer "gegen die Staatshehlerei" auseinanderzudividieren. Selbst kleinere Interessenverbände, die sich nicht unter dem Dach der ARE gesammelt haben, teilen die politische Stoßrichtung. So sieht Jörg Gerke, Vorsitzender des Arbeitskreises Bäuerliche Landwirtschaft in der Enteignungspolitik einen wesentlich Grund für die Strukturprobleme in den betroffenen Bundesländern. Auch die Sprecherin des Göttiger Kreises - Studenten für den Rechtsstaat, die Berliner Rechtsanwältin Beatrix Herzogin von Oldenburg, begrüßt das Urteil zugunsten der Neusiedler-Erben als "wegweisend für den Rechtsstaat". Der Verein war vor einigen Jahren bekannt geworden, weil auf seiner Veranstaltung Gorbatschow klare Äußerungen zur Enteignungsfrage machte.

"Rückgabe ist uns sowieso lieber als Entschädigung"

Die Reaktion der Länder ist dagegen höchst widersprüchlich. Alles spricht dafür, daß die östlichen Bundesländer Bundesjustizministerin Brigitte Zypries auffordern werden, gegen das Urteil des EGMR vorzugehen und die Vorlage an die Große Kammer in Straßburg zu erwirken. Sogar das Landwirtschaftsministerium in Erfurt hat - "damit der Osten als Block auftrete" - diese Position bekräftigt, obwohl der Freistaat im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen am wenigsten betroffen ist. Vorerst hatte sich das Bundesjustizministerium eine dreimonatige Prüfung vorbehalten. Daß auch dieses Rechtsmittel wenig Aussicht auf Erfolg hat, beweist die immer lauter geäußerte Klage der Finanzministerien der Länder, die im Falle von angemahnten Entschädigungen oder Ausgleichszahlungen bereits mit dem Schreckgespenst einer Erhöhung des Solidaritätszuschlags oder Steuererhöhungen drohen. "Diese Strategie ist äußerst hinterhältig", ärgert sich Karl Homer. "Da die Länder kein Geld besitzen, wäre unsere eigentliche Forderung nach Rückgabe der Liegenschaften naheliegend. Uns ist es ohnehin immer eher um Rückgabe statt um Entschädigungen gegangen." Und die Liegenschaften befänden sich schließlich - teilweise als ungenutztes totes Kapital - im Besitz der Länder.

Einer der energischsten Streiter gegen die Rückgabe dieses Grundeigentums, der Schweriner SPD-Landwirtschaftsminister Till Backhaus, stellt sich zumindest unter dem immer größer werdenden öffentlichen Druck Manfred Graf von Schwerin und Karl Homer. In einer für den 26. Februar in den Räumen des Neubrandenburgischen Nordkurier anberaumten Podiumsdiskussion streiten die Parteien über "Landwirtschaft und ländlicher Raum - Perspektiven, Risiken und Chancen".

 

Informationen: ARE-Zentrum oder Bund der Neusiedler-Erben, Tel.: 0 56 82 / 73 08 12 oder
03 32 07 / 5 44 02, Internet: www.are.org


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