© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/04 20. Februar 2004

Offene Fragen
von Carl Gustaf Ströhm

Die CDU-Chefin war noch nicht von ihrer Visite ins Land des Halbmondes heimgekehrt, da bezeichneten türkische Medien und Offizielle Angela Merkels Angebot einer "privilegierten Partnerschaft" zwischen der EU und Ankara schlichtweg als "Unverschämtheit". Doch in puncto EU-Beitritt fühlt sich die Türkei heute stärker denn je. Die USA sind auf ihrer Seite und Rot-Grün in Berlin auch. Die Front der Beitrittsgegner ist gespalten: Teile von CDU und FDP sind dafür, die CDU-Mehrheit unentschieden - nur die CSU agiert offen dagegen. Und es geht dabei nicht so sehr um christlich-abendländische Positionen, obwohl die Leichtigkeit, mit der die EU diese über Bord wirft, schon nachdenklich stimmt.

Wer aber nur ein wenig in historischen Dimensionen denkt, der sieht sich bald vor der Frage: Da die EU-Mitgliedschaft - hat man sie einmal erworben - nicht so einfach wieder abgeschüttelt werden kann, würde es sich lohnen, die Türkei aus der Perspektive des Jahres 2100 zu betrachten? Wird es dann immer noch ein von Laizisten geprägtes Land sein? Wird dann immer noch ein "gemäßigter Islamismus" regieren? Oder werden die türkischen Führungsschichten nicht doch den Versuchungen des Fundamentalismus erliegen? Was ist mit der Selbstbestimmung der Kurden, die ungleich zahlreicher und radikaler als etwa die Basken sind? Die Türkei hat das Pech, an der Grenze zwischen Orient und Okzident zu liegen und kein rein europäisches Staatsgebilde zu sein. Diese Frage wird die EU noch lange beschäftigen - die Antwort darf keine opportunistische sein.


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