© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/04 27. Februar 2004

Wie Gänseaugen entstehen
EU-Osterweiterung: Neue Bundesländer müssen finanzielle Nachteile fürchten
Herbert Bath

Armut gab es schon immer. Aber früher wußte man, woher sie kommt. In dem zwischen 1862 und 1864 erschienenen Roman "Ut mine Stromtid", der die dörflich-kleinstädtischen Verhältnisse in Mecklenburg Mitte des vorigen Jahrhunderts schildert, läßt Fritz Reuter seinen Onkel Bräsig sagen: "Die große Armut in der Stadt kommt von der Powerteh her."

Heute ist es komplizierter, weil alle arm sind und alle Kassen leer - im Bund, in den Ländern und Gemeinden, und ebenso die Krankenkassen. Jeder spürt es am eigenen Leibe, doch keiner weiß so recht, woher es kommt.

Auch bei der Europäischen Union ist das Ende der Fahnenstange in Sicht. Die EU hat kein Geld mehr, jedenfalls nicht mehr genug. Freilich weiß man hier sogar, woher das kommt. Die für Haushaltsfragen zuständige EU-Kommissarin Michaele Schreyer (Bündnis 90/Die Grünen) hat angekündigt, daß die finanzielle Förderung der mitteldeutschen Länder eingestellt werden müsse, wenn Deutschland an seiner Absicht festhalte, die Mehrausgaben der Europäischen Union auf ein Prozent des gemeinsamen Bruttoinlandsproduktes zu begrenzen (JF 9/04 berichtete). Sonst sei nämlich nicht genug Geld vorhanden, um die Armut der neuen Mitgliedstaaten wie Polen und Tschechien zu bekämpfen.

Unterstützung erhält eine Region nur, wenn ihr Bruttoinlandsprodukt unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt. Das trifft ab 1. Mai 2004 zwar für die neuen Mitgliedstaaten zu, nicht aber mehr für die Länder in der ehemaligen DDR. Allerdings hat sich die wirtschaftliche Lage in den neuen Ländern nicht verbessert, was der Zweck der Förderung war, sie sind nur durch einen statistischen Trick "reicher" geworden. Kein Wunder, daß der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), argwöhnt, die EU wolle die Ärmsten auf Kosten der Zweitärmsten fordern.

Überhaupt hält man hierzulande, von der Äußerung Frau Schreyers nicht viel. Das ganze erinnert im Hinblick auf die wirtschaftlichen Hilfen für Mitteldeutschland stark an den alten Scherz, wie man schnell seine Hühneraugen loswird. Man kreist sie mit einem Stift rot ein, und schon sind sie weg. Dann hat man Gänseaugen.

 

Herbert Bath war von 1966 bis 1991 Landesschulrat in Berlin.


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