© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/04 05. März 2004

Frauen sind der Schlüssel bei der Integration
Niederlande: Immer mehr Muslime / Rechtsliberale wollen die "Heiratsmigration" erschweren / Kritik der Grünen / Zustimmung der rechten LPF
Jerker Spits

Nachdem die christlich-liberale Dreierkoalition kürzlich - gegen den Widerstand der Links-Opposition und eines Großteils der Medien - die Abschiebung von 26.000 abgelehnten Asylbewerbern beschlossen hat (siehe JF 7/04), erhält die Einwanderungsdebatte neue Nahrung. Anlaß sind aktuelle Zahlen des niederländischen Zentralbüros für Statistik (CBS).

Denn die Zahl der muslimischen Bürger in den Niederlanden wächst stetig. In den letzten zehn Jahren hat sie sich auf fast 920.000 Bürger verdoppelt. Damit bildet der Islam jetzt die viertgrößte Glaubensrichtung in den Niederlanden. Die niederländischen Rechtsliberalen (VVD) wollen durch eine strengere Einwanderungspolitik die Zahl der Immigranten zurückdrängen.

Immer mehr Muslime aus der Türkei und Marokko

Die Zahl der Anhänger islamischen Glaubens ist nicht allein durch Kinder muslimischer Eltern, sondern auch durch Zuwanderung kräftig angestiegen. 31 Prozent der niederländischen Bürger über 18 Jahre gehören jetzt der katholischen, 14 Prozent der evangelischen und sieben Prozent der reformierten Kirche an. Danach folgen die Muslime mit fünf Prozent. Dies geht aus offiziellen Angaben des CBS hervor.

Mehr als 95 Prozent der Islam-Anhänger haben eine nicht-westliche Herkunft. Die meisten stammen ursprünglich aus der Türkei (320.000) und Marokko (285.000). Danach folgen jeweils der Irak, Afghanistan, Surinam, der Iran und Somalia als Herkunftsländer.

Vor allem in den Großstädten führt die Integration der in den Niederlanden lebenden Bürger nicht-westlichen Ursprungs zu immer dramatischeren Problemen. So ist in der Hauptstadt Amsterdam eine Gruppe von rund tausend marokkanischen Jugendlichen für etwa 80 Prozent der "kleinen Kriminalität" (Taschen- und Ladendiebstahl) verantwortlich. Einige dieser Jugendlichen wohnen erst seit ihrem zehnten Lebensjahr in den Niederlanden und sind schwer in die Gesellschaft integrierbar.

Die mitregierenden Rechtsliberalen (VVD) haben daher weitergehende Maßnahmen zur Einwanderungsbegrenzung vorgeschlagen. Vor allem die "Heiratsimmigration" soll begrenzt werden. Viele in den Niederlanden lebende Männer türkischer oder marokkanischer Abstammung holen sich - ähnlich wie in Deutschland - eine Frau aus ihrem Herkunftsland.

"Frauen sind oft der Schlüssel im Integrationsprozeß", so VVD-Fraktionschef Jozias van Aartsen. Laut van Aartsen holen sich jetzt inzwischen 80 Prozent der niederländischen Männer aus der Türkei und aus Marokko eine - zumeist schlecht ausgebildete und archaischen Traditionen verhaftete - Frau aus ihrem Herkunftsland.

Van Aartsen meint, dies sorge für ein "gigantisches Problem": "Man kann dieser Sache nicht ihren Lauf lassen". Die Aufenthaltsgenehmigung für Einwanderer solle deshalb von dem Zutritt zum Sozialstaat abgekoppelt werden. Wer sich eine Frau aus seinem Herkunftsland nehme, soll künftig die nächsten zehn Jahre die finanzielle Verantwortung für seine Braut übernehmen. Erst dann soll die Ehefrau eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und Zutritt zu den sozialstaatlichen Leistungen erhalten.

In ihrem Bericht "Integration der nicht-westlichen Immigranten in den Niederlanden" knüpfen die Rechtsliberalen an den härteren Kurs ihres ehemaligen Vorsitzenden Frits Bolkestein an. Bolkestein - inzwischen zum EU-Kommissar aufgestiegen - kritisierte schon in den neunziger Jahren die damalige niederländische Integrationspolitik, die auf den Erhalt der "eigenen Identität" der Immigranten gerichtet war. "Anpassung" hingegen sollte nach Bolkesteins Meinung das Grundprinzip der Integrationspolitik sein.

Der plötzliche Aufstieg des Politprovokateurs Pim Fortuyns 2002 (siehe JF 20/03) und die anhaltende Debatte über die niederländische Immigrations- und Ausländerpolitik auch nach der Ermordung Fortuyns sollten Bolkestein recht geben. Mittlerweile hat sich Bolkesteins Image vom einstigen Feindbild der Linken mehr und mehr zu dem eines hellsichtigen Politikers gewandelt, der schon früh die Schwachstellen der niederländischen Integrationspolitik erkannte.

Wir wollen keine Kakophonie aus 173 Kleidertrachten

In der Politiksendung "Buitenhof" im niederländischen Fernsehen meinte der VVD-Fraktionschef: "Wir wollen keine Kakophonie aus 173 Kleidertrachten. Wir wollen 16 Millionen Niederländer. Die Integration ist erst erfolgreich, wenn jemand sagt: 'Ich bin und fühle mich Niederländer'.

Bei Fußballspielen zwischen den Niederlanden und der Türkei sollten Immigranten eigentlich der niederländischen Nationalmannschaft zujubeln", so der 55jährige Rechtsliberale. Es sei die Aufgabe der Politik, in der Integrationspolitik wenn nötig hart einzugreifen. "Auch Kinder werden nicht von selbst zu selbständigen Bürgern".

Mit ihrem neuen Bericht weist die VVD auf ein Dilemma liberaler Integrationspolitik. Der Liberalismus nimmt traditionell die individuelle Freiheit des Menschen zum Ausgangspunkt der Politik. Für die Integrationspolitik würde das aber heißen, die Integration im wesentlichen den individuellen Ansichten der Einwanderer zu überlassen. Die Probleme der heutigen Integrationspolitik in vielen europäischen Staaten machen aber deutlich, daß man mit einem solchen naiven Freiheitsverständnis nicht allzu weit kommt. Die VVD beweist ihren Mut, indem sie eigene Prinzipien liberaler Politik grundsätzlich überdenkt und bereit ist, sie zur Diskussion zu stellen.

Auffällig im Vergleich zu der deutschen Debatte ist, daß die Vorschläge der Rechtsliberalen kaum auf Kritik bei anderen Parteien stoßen. Nicht nur die regierenden Christdemokraten (CDA) des Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende, sondern auch die oppositionellen Sozialdemokraten (PvdA) stehen den Vorschlägen positiv gegenüber. PvdA-Chef Wouter Bos plädierte vor zwei Monaten dafür, Immigranten erst nach einiger Zeit Zutritt zum Sozialstaat zu gewähren.

Die mitregierenden Linksliberalen (D'66) halten zähneknirschend still, lediglich die oppositionellen Grünen, deren Chefin Femke Halsema vor zwei Wochen den "konservativen Kurs" der Regierungskoalition scharf attackierte und ihr vorwarf, das "aufklärerische Erbe" der sechziger und siebziger Jahre zu vergessen, reagierte ablehnend.

Die oppositionelle Liste Pim Fortuyn (LPF) - oft als "rechtspopulistisch" tituliert wird - begrüßte die Vorschläge der Rechtsliberalen. Kritisch meinte LPF-Fraktionschef Mat Herben allerdings auch, daß die Rechtsliberalen "ein gutes Kopiergerät" hätten. Viele liberale Vorschläge würden, so Herben, aus dem LPF-Parteiprogramm stammen.


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