© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/04 19. März 2004

Der Schock von Madrid
Europa blickt nach Süden: Zum Terror und Regierungswechsel in Spanien
Eberhard Straub

Sancho Pansa wußte, daß in dieser bösen Welt, die uns zum Aufenthalt gegeben ist, nichts zu finden ist, was nicht gemischt ist mit Trug, Schelmerei und Bosheit. Das erfuhren unmittelbar nach dem Attentat vom Donnerstag voriger Woche die Spanier, erschüttert von den fürchterlichen Bildern der Toten und Verletzten. Denn die noch amtierende Regierung José María Aznars mischte Trug und Schelmerei in die allgemeine Trauer. Es war nicht der terroristische Anschlag in Madrid, der die Wahlen in Spanien beeinflußte und den plötzlichen Umschwung der Stimmung zugunsten des PSOE, der Sozialistischen Partei, bewirkte. Es war vielmehr der Versuch des aus dem Amt scheidenden Ministerpräsidenten Aznar, die Aufregung unter den Spaniern zum Vorteil seines Partido Popular - der Volkspartei - und seines designierten Nachfolgers Mariano Rajoy auszunutzen.

Das Verhalten der Regierung, die ETA für den Anschlag verantwortlich zu machen und die Wahl in eine nationale Vertrauenskundgebung für die Volkspartei umzufunktionieren, mußte nicht nur Ältere mißtrauisch machen, die sich noch an alle möglichen Manipulationen der Wahrheit unter Franco zu erinnern vermögen. Dabei wurden Aznar viele Dreistigkeiten nachgesehen. Denn den Spaniern geht es gut. Weitgehend entpolitisiert beschäftigen sie sich in Einkaufsparadiesen mit den Wonnen eines entfesselten Konsums.

Noch vor acht Tagen schien alles zu Rajoys Zufriedenheit zu laufen, die absolute Mehrheit nahezu gesichert. Die Schelmereien, Lügen und Betrügereien Aznars, oft achselzuckend bagatellisiert, wurden im Angesicht des Terrors von vielen Spaniern als unwürdig und skandalös empfunden. Die Regierung lügt, die Volkspartei lügt, so lauteten die Schlagworte. Gefordert wurde die Wahrheit: "Man spekuliert nicht auf Kosten der Toten!" oder "Wählerstimmen zu manipulieren, das ist das schlimmste Vergehen gegen die Demokratie". Die Geschichte Spaniens seit dem 19. Jahrhundert bis in die Zeiten der Zweiten Republik von 1931 ist nämlich eine Geschichte selbstverständlicher Wahlmanipulationen. Spanier reagieren deshalb sehr empfindlich auf Versuche, Wahlen mit welchen Mitteln auch immer zu lenken oder zu verfälschen. Daß Aznar darauf keine Rücksicht nahm, bestätigt nur seinen Realitätsverlust. Obschon er nicht mehr zur Wahl antrat, war es eine Abstimmung über ihn, von ihm selbst provoziert.

Am Sonntag hieß es schon: Morgen wird Spanien republikanisch sein. Dem "Aznar fascista" wurde optimistisch "España socialista" entgegengestellt. Auch das gehört zu den unerfreulichen Wirkungen Aznars, daß Spanier sich wieder als "Faschisten" und "Rote" verunglimpfen, daß der Wahlsieg vom Sonntag wie der Übergang in die Republik im Frühjahr 1931 gefeiert wird. Dem Wahlsieger, José Luis Rodríguez Zapatero, liegen solche Polarisierungen gänzlich fern. Er ist ein ruhiger, sehr aufmerksamer Herr, der eine Tugend nahezu mühelos übt, geduldig zuzuhören, selbst wenn er mit Meinungen konfrontiert wird, die ihm unbedingt zuwider sind. Spanier, die gerne heftig diskutieren, nannten ihn despektierlich Bambi, das scheue Reh. Sie werden wahrscheinlich bald umlernen.

Zapateros verbindliches und ausgleichendes Temperament kann Spanier untereinander wieder versöhnen und Spanien in der Europäischen Gemeinschaft dazu verhelfen, Vertrauen zurückzugewinnen, das Aznar leichtsinnig verspielte. Mit seinen ersten Erklärungen bekundete er, nicht spalten, sondern versöhnen zu wollen. Er verspricht mehr Demokratie, was heißt mehr parlamentarische Mitbestimmung, mehr Offenheit und weniger öffentliche Lüge und dreiste Intrigen hinter dem Schutz einer "spanischen Wand", die einst in Deutschland "hinter den Kulissen" geheimnisvolle Kostümierung für überraschende Auftritte erlaubte. Zapatero will authentisch bleiben und sich von der Macht nicht korrumpieren lassen. Das sind freundliche Versprechen, doppelsinnige Versprechen. Aber ohne Macht läßt sich nichts machen, was Zapatero bald wie jeder Ministerpräsident erleben wird.

Für die Europäische Gemeinschaft, und damit auch für Deutschland, ist es beruhigend, daß Zapatero Spanien aus seiner Isolation, in die es Aznar brachte, lösen möchte, um wieder in Übereinstimmung mit Frankreich und Deutschland das Gewicht Spaniens in der EU zu stärken. Zapatero mißfiel der anti-europäische Kurs, mit dem Aznar Spanien als Juniorpartner der USA in die Weltpolitik einführen wollte, ungeachtet europäischer Verpflichtungen. Zapatero machte nie einen Hehl daraus, daß die Konzepte Aznars für ein neues Europa ungeeignet sind, eine für beide Seiten zuträgliche Zusammenarbeit zu ermög-lichen.

Zapatero, wie überhaupt die spanischen Sozialisten, ist überzeugt davon, daß Spanien nur noch im Zusammenhang mit Europa Macht und Einfluß gewinnen kann. Die Idee Aznars, Spanien an der Seite der USA im Irak eine besondere Wichtigkeit zu verschaffen, hielt er von vornherein für eine peinliche Improvisation, die eben Europa nur spalten und verwirren könne. Aznar glaubte, daß Spanien nur mit der Beteiligung an einem großen Krieg zu Weltgeltung zurückfinden würde. Der Krieg im Irak war und ist nicht "groß", er führt die USA von einer Lüge und Verlegenheit in die nächste. Für die USA blieben die Spanier im Irak bislang nur Komparsen, die man nicht sonderlich belohnen muß.

Zapatero will die spanischen Truppen aus dem Irak abziehen und Spanien überhaupt Kerneuropa annähern, also Frankreich und Deutschland, die als solche ja nur den Kern Europas ausmachen, solange ihnen die Mitspieler fehlen. Der Krieg im Irak war, wie in der spanischen Öffentlichkeit ununterbrochen wiederholt wird, gar kein Krieg gegen den Terror. Der islamistische Terror war und ist nach nicht nur in Spanien verbreiteter Ansicht ein Vorwand für die USA - mit der Folge, arabische Fanatiker nun erst recht auf den Terrorismus als einzigen Ausweg in ihrer Auseinandersetzung mit den USA hingewiesen zu haben, in die nach und nach auch die Europäer verwickelt werden, die traditionell gute Beziehungen zur arabischen Welt unterhielten.

Wenn Spanien sich vernünftigerweise aus der uneingeschränkten Solidarität mit den USA lösen wird, gibt es damit den übrigen Europäern einen warnenden Hinweis: nicht allzu leichtsinnig die guten Beziehungen zur arabischen Welt aufzugeben. Die Interessen der USA sind nicht identisch mit denen Europas. Es wird schwer sein, unter dem Eindruck terroristischer Gewalt darüber ruhig zu diskutieren. Der Regierungswechsel in Spanien erlaubt immerhin die Aussicht, dennoch zu einer gemeinsamen europäischen Haltung zu finden, die hoffentlich auch den USA zur Besinnung verhilft.


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