© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/04 19. März 2004

PRO&CONTRA
Die Container von "Big Brother" zumachen?
Mathias von Gersdorff / Dr. Thilo Weichert

Der Einfallsreichtum vieler Medien ist grenzenlos, wenn es darum geht, eine Welt ohne Maßstäbe und Prinzipien aufzubauen: RTL2 zeigt seit Anfang März das Leben von zwölf Personen - auch in intimsten Situationen - ein Jahr lang Tage lang in der Hauptsendezeit. "Big Brother" richtet sich vor allem an das junge Publikum. Dies ist ein weiterer Schritt, die Moral der Kinder und der ganzen Gesellschaft zu zerstören! Hunderttausende Jugendliche werden zu Voyeuren eines perfiden Spektakels gemacht, in welchem Menschen zu Lustobjekten deklassiert werden. Wie ist es möglich, daß sich Menschen ein Jahr lang diese absurde Sendung anschauen?

Viele Zuschauer wurden im Laufe der Jahre dermaßen abgestumpft, die Wahrnehmung, der Sinn für Ästhetik und das Urteilsvermögen wurden so brutal zerstört, daß viele Zuschauer nur noch mit äußerst primitiven Sendungen zu befriedigen sind. Deshalb müssen die Programme immer niveauloser werden, um sich an den kulturellen Niveauverlust mancher Zuschauer anzupassen, den viele Medien selbst vorantreiben. Die Welt, die von vielen Medien gefördert wird, ist eine massifizierte Welt, in der es nur noch graue Menschen ohne Werte, ohne Kultur, ohne Tradition geben soll: Menschen, die nur für den Augenblick leben und weder wissen, woher sie kommen noch wohin sie gehen. Doch wir dürfen uns nicht mit dieser Situation abfinden. Kinder gleiten in diese Welt der Medien automatisch ein, ohne jeglichen Widerstand zu leisten.

Welche Weltanschauung wird ein Kind entwickeln, für das Sendungen wie "Big Brother" normal, alltäglich sind? Viele Kinder werden gar nicht verstehen können, daß solche Sendungen für sie schlecht sind, denn ihre Seele wurde durch verderbende Medien regelrecht geformt bzw. mißformt. Wir müssen uns energisch dafür einsetzen, daß Sendungen wie "Big Brother" vom Bildschirm verschwinden.

 

Mathias von Gersdorff leitet seit 1994 die Aktion "Kinder in Gefahr" gegen Pornographie, Gewaltverherrlichung und Blasphemie in den Medien.

 

 

Wir leben in einer freie Gesellschaft von selbständigen Menschen. Es ist die freie Entscheidung jedes Menschen, sich an einem unsinnigen Medienspektakel zu beteiligen. Wer meint, sich in einer Sendung wie der dritten Staffel von "Big Brother" zum Affen machen zu müssen, die oder der soll es - wenn dies auf einer wirklich freien Entscheidung basiert - auch tun. Voraussetzung ist, daß der Sender die Kandidaten zuvor klar und deutlich über alle zu erwartenden, vor allem seelischen und sozialen Konsequenzen aufklärt. Hochproblematisch wird es, wenn eigentlich Unbeteiligte in die Sache hineingezogen werden, so wie in dieser Woche geschehen. Diese können nicht ansatzweise bestimmen, was mit ihnen veranstaltet wird. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist also gegen das Format im Prinzip nichts einzuwenden, doch darf es dabei nicht dazu kommen, daß Minderjährige oder Menschen aus dem sozialen oder familiären Umfeld mit hineingezogen werden. Die Veranstalter können für sich vielleicht sogar die Presse- und Medienfreiheit in Anspruch nehmen. Einige Juristen vertreten die Ansicht, daß mit dieser Sendung die Menschenwürde verletzt würde. Ich bin nicht dieser Meinung. Die Bewohner der Container signalisieren ihre Bereitschaft, sich vor einem Millionenpublikum seelisch auszuziehen.

Mir macht eher Sorgen, daß solche kopflosen Fernsehformate einen derartigen Zulauf haben. Offensichtlich sind Exhibitionismus und Voyeurismus in unserer Gesellschaft hoffähig geworden. Der Zuschauer ist gefragt, der durch Abstimmung mit seiner Fernbedienung die Fernsehmacher dazu bringen kann, die Finger von solchen Pseudo-Reality-Soaps zu lassen. In jedem Fall signalisiert die Akzeptanz solcher künstlichen Formate aber nicht, daß den Menschen ihre Privatsphäre im wirklichen Leben nicht wichtig wäre. Ich gehe davon aus, daß die meisten Menschen zwischen realer und Medienwelt zu unterscheiden in der Lage sind.

 

Dr. Thilo Weichert ist Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) und stellvertretender Landesdatenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein.


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