© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/04 26. März 2004

Vollgas in den Abgrund
Die Kölner Antifa-Ausstellung ist ein ernstes Symptom der deutschen Krankheit
Doris Neujahr

Eine Veranstaltung wie die Kölner Ausstellung "Rechts um und ab durch die Mitte", in der CDU-Politiker als Steigbügelhalter der Adolf-Hitler-Erben diffamiert werden (JF 13/04), ist Folge und Konsequenz vergangenheitspolitischer Weichenstellungen der achtziger Jahre. Damals wurde die NS-Zeit als zentraler Bezugspunkt des politischen Bewußtseins durchgesetzt. Weil die NS-Ideologie in der breiten Öffentlichkeit als eine ins Extreme gesteigerte "rechte" Gesinnung gilt, befindet die Linke sich seitdem in der strategischen Offensive, selbst wenn sie auf den Oppositionsbänken sitzt.

Ein Grund, warum es soweit kommen konnte, liegt darin, daß Helmut Kohl es für überflüssig hielt, als Kanzler die Politik intellektuell zu unterfüttern und gezielt Begriffe zu besetzen. Intellektuelle an der Formulierung von Politik zu beteiligen, bedeutete für ihn die Gefährdung seiner persönlichen Macht. Die ist seit 1998 dahin, übriggeblieben ist das strategische Desaster des bürgerlichen Lagers.

Zu dem Desaster gehört, daß der Union ein Alleinvertretungsanspruch für das konservative Spektrum zugefallen ist. Gerade wird in den Medien die mögliche Gründung einer dritten Partei links von der SPD erörtert: als verständliches, wenn auch überflüssiges Experiment. Ein rechtes Pendant würde sofort niederkartätscht werden. Es bezeichnet die bürgerliche Schwäche, daß sich daran die CSU in vorderster Front beteiligen würde (wie sie in der Vergangenheit schon bewiesen hat). Sie teilt die intellektuelle Auszehrung der Schwesterpartei, kann sie aber durch ihren Status als bayerische Staatspartei kompensieren. Ihr Einfluß außerhalb des Freistaates beruht auf ihrer Identifikation mit dessen Institutionen. Diese hält allerdings nur so lange an, wie die CSU in Bayern über ein Machtmonopol verfügt. Lockerungsübungen im konservativen Lager sind daher für sie gefährlicher als für Rot-Grün.

So erklärt sich, daß Bayerns Innenminister Günther Beckstein im Landtagswahlkampf eine "Braune Armee Fraktion" aus dem Hut zauberte. Mit solchen Antifa-Mätzchen hat sich die CSU, auf Deutschland hochgerechnet, als konservativer Aktivposten kaltgestellt.

Die pflaumenweichen Reaktionen der Union auf die Diffamierungen in Köln leiten sich, wie gesagt, ursächlich aus den ideologischen Weichenstellungen der achtziger Jahre her. Ideologien können auf Dauer aber weder politische Überzeugungen noch gesellschaftlichen Konsens stiften, sie führen nur zu unterwürfiger Heuchelei.

Das hat Folgen für den herrschenden Politikertypus. Max Weber, als er im Ersten Weltkrieg über die Parlamentarisierung Deutschlands reflektierte, unterschied den Politiker vom Beamten durch seine politische Leidenschaft, Kampfbereitschaft und staatspolitische Orientierung. "Der Berufspolitiker kann ein Mann sein, der lediglich von der Politik und ihrem Getriebe, ihren Einflüssen und Chancen lebt. Oder ein solcher, der für die Politik lebt. Nur im letzteren Fall kann er ein Politiker großen Zuschnitts werden."

Der Zuschnitt heutiger Politiker ist demnach pygmäenhaft, ihre Karrieren erschöpfen sich im Selbstzweck. Es gibt ein parteiübergreifendes Interesse daran, immer neue Posten und Privilegien zu schaffen und anschließend zu verteilen. Die Tatsache, daß Parteien und Staat de facto identisch sind, hat zur Folge, daß der Staat sich selbst korrumpiert, denn er muß ja ständig Vorrechte und parasitäre Funktionen schaffen.

Korrumpiert wird damit auch die Idee des Politischen. Die aktuelle Form der Korrumpierung ist die allgemeine Entpolitisierung. Diese schlägt sich auch in der Kölner Ausstellung nieder. Natürlich sind Jürgen Rüttgers oder Volker Rühe keine Rechtsextremisten, sie sind bloß deformierte Überbleibsel aus der Kohl-Ära. Wollte man politisch argumentieren, müßte man Rüttgers die Frage stellen, warum er als Bonner "Zukunftsminister" die Verrottung des Bildungssystems zugelassen hat. Und Rühe wäre sein Beitrag zur Demoralisierung der Bundeswehr vorzuwerfen.

Die eigentlichen Opfer dieser Politiksimulationen sind die jungen Leuten, die daraus ihre politische Orientierung beziehen. Dazu zählen auch diejenigen, die sie erarbeitet haben oder sich in einschlägigen Organisationen betätigen. Die meisten von ihnen sind keine Überzeugungstäter, Gewohnheitsschläger oder professionellen Ehrabschneider, sondern sensibel und gutherzig. Ihre Aktivitäten betrachten sie als Engagement gegen die globale Ungerechtigkeit. Ihnen müßte man als erstes sagen, daß das Zurückweichen der Union nicht ihr Sieg ist, sondern ein Zeichen, daß sie den Parteien schnuppe sind und sie von ihnen nichts zu erwarten haben. Als zweites wäre an ihre Adresse der Satz zu paraphrasieren, mit dem Karl Marx seinen Abituraufsatz einleitete: Die Umstände haben schon begonnen, für sie zu entscheiden, bevor sie als bewußte und entscheidungsfähige Menschen in sie eintreten können!

Für diejenigen, die jetzt achtzehn oder zwanzig Jahre alt sind, wird die Zeit, in der sie überhaupt noch Entscheidungen über ihr Schicksal treffen können, bereits knapp, weil die demographischen, ökonomischen und sozialen Daten in diesem Land auf eine Katastrophe hindeuten. Eine Verlängerung ihrer Pubertät bis ins dreißigste Jahr hinein wäre suizidal. Ihr Idealismus ist zu schade, um von den parasitären Substrukturen, die ihnen als Spielwiese zur Verfügung stehen, absorbiert zu werden.

Es ist kein Zufall, daß die Emotionen sich insbesondere am Asylrecht, an Abschiebungen und an der Zuwanderung entzünden. Auf diesem Feld erhält die weltweite Ungerechtigkeit, die sich mit Karl Jaspers auch als die metaphysische Schuld derjenigen bezeichnen ließe, die im Wohlstand leben, die fühlbar, intellektuell jedoch schwer faßbar ist, scheinbar ein konkretes Gesicht. Gerade deshalb ist politische Rationalität gefragt.

Zwanzigjährige, die meinen, sie müßten vor dem Hintergrund deutscher Schuldkomplexe alte Multikulti-Träume verwirklichen, arbeiten am politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Selbstmord. Die Zuwanderung, für die sie sich einsetzen, besteht ja nicht aus netten indischen Kinderärzten, feinsinnigen Orchestermusikern aus Polen oder französischen Edelköchen, sondern aus Armutsflüchtlingen, die kaum integrierbar sind und perspektivisch neben den maroden Sozialsystemen auch das gesellschaftliche und politische Gefüge Deutschlands zum Bersten bringen können. Damit wäre niemandem genutzt.

Wer diese Katastrophe verhindern will, muß mit apolitischen Spielereien aufhören und aus dem Schatten antiquierter, geschichspolitischer Fehlentscheidungen heraustreten.

"Wir sind übern Berg" (Lithographie von A. Paul Weber, 1949): Apolitische Spielereien müssen aufhören


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