© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/04 26. März 2004

Kino: "die passion christi"
Zum Schweigen gebracht
Dieter Stein

Was bedeutet es, ein Christ zu sein? Warum ist Ostern das höchste christliche Fest? Warum verehrt das Christentum den Sohn Gottes als gefolterte und gemarterte Kreatur am Kreuz? Weshalb schöpfen Christen ausgerechnet aus diesem fürchterlichen Symbol seit zweitausend Jahren solche Hoffnung?

Fragen, die auf einen lauern, wenn man dieser Tage sich überwindet, in den Kinofilm "Die Passion Christi" des Hollywood-Schauspielers und Regisseurs Mel Gibson zu gehen. Es ist ein Film, der die Christen in Deutschland tief bewegt und erregte Diskussionen auslöst. Überwinden muß man sich, weil vor den Gewaltdarstellungen allenthalben gewarnt wird. Eine Wand des Schreckens wollten die Kritiker vor diesem Film errichten. Pünktlich zum Start in Deutschland haben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Deutsche Bischofskonferenz der Katholischen Kirche und der Zentralrat der Juden in Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung noch einmal die Kritik verschärft: "Die Darstellung des Films birgt die Gefahr, daß antisemitische Vorurteile wiederaufleben. Dies ist besonders brisant angesichts einer Situation in Europa, in der ein Erstarken antisemitischer Tendenzen erkennbar ist."

Noch nie bin ich mit einer solchen eigentümlichen Furcht in einen Film gegangen. Warum ängstigen sich wohl viele vor diesem Film? Warum wird er sogar beinahe als Bedrohung empfunden? Es ist wohl die Angst, berührt zu werden von etwas, was einen höchstpersönlich betrifft. Jeder, der mit Restbeständen des Christentums aufgewachsen ist, fürchtet sich vor unbeantworteten Fragen seines Daseins.

Mel Gibson hat ein Kunstwerk geschaffen. Die Darstellung der Gewalt ist gerechtfertigt. Der Film erzeugt keinen Haß auf diejenigen, die Jesus ausgeliefert, verurteilt, gefoltert und hingerichtet haben. Alle dargestellten Personen - ob Juden oder Römer - sind Archetypen des Menschen: Verräter, Opportunisten, Barmherzige, Liebende. Der Film weckt Mitleid, Demut und hinterläßt ein eigentümliches Gefühl des Trostes.

Weshalb die Bürokraten der Amtskirchen nervös reagieren und den Film mit warnenden Beipackzetteln versehen, liegt wohl daran, daß Mel Gibson ein inzwischen etabliertes Jesus-Bild zerstört. Die knallenden Peitschenhiebe der Geißelung, die ohrenbetäubenden Hammerschläge, mit denen die Nägel durch die Gliedmaßen des Gottessohnes getrieben werden, sie fegen die schaumigen, weichgezeichneten "süßlich-kitschigen Jesusdarstellungen" (Tagespost) weg und mahnen an die Wahrheit der Schrift.

Wie aus einer anderen Welt fährt diese Botschaft in unsere zu Entscheidungen, Mut, Verantwortung unfähige Welt hinein. Die Kinobesucher, die noch plaudernd und kichernd den Kinosaal betreten hatten, verlassen ihn nach diesem Film schweigend und mit versteinerten Gesichtern. "Und siehe ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende." (Lesen Sie dazu auch Seite 13.)


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