© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/04 02. April 2004

Europaparlament
Gigantische Fauldüfte
Hans-Peter Rissmann

Fast wünschte man, der österreichische EU-Parlamentarier Hans-Peter Martin hätte unrecht und seine massiven Vorwürfe, daß zahllose Europa-Abgeordnete in Straßburg seit Jahr und Tag illegale Tagesgelder in beträchtlicher Höhe einstrichen ("abzockten"), beruhten auf schlechter Recherche, bloßem Hörensagen oder böswilliger Panikmache und Wichtigtuerei. Denn die Sache ist schrecklich unappetitlich.

Aber sie paßt nur allzu gut in die Korruptions-Praktiken, die bisher aus der EU-Bürokratie bekannt wurden. Vetternwirtschaft allergrößten Stils (die "Affäre Cresson"), Ämterpatronage, dubiose "Beraterverträge", ungenierter Griff in fremde Kassen, Geldausschüttung für groteske "Förderprojekte", deren Beträge voll in den Taschen örtlicher Mafia-Gruppen landen - es gibt nichts von dieser Art, was es in Brüssel nicht schon real gegeben hätte. Die Euro-Bürokratie ist gigantisch, und sie stößt - wie alle solche Monstren - gigantische Fauldüfte aus.

Immer wieder wurde in der Vergangenheit bessere, effektivere Kontrolle angemahnt, doch passiert ist offenbar nichts. Das EU-Parlament wäre an sich die ideale und natürliche Kontrollinstanz für die Brüsseler Exekutive, aber jetzt zeigt sich (nicht zum ersten Mal), daß zwischen Brüssel und Straßburg gar kein Verhältnis wie zwischen Parlament und Exekutive besteht, daß beide Strukturen vielmehr diffus ineinander übergehen, nur die zwei Köpfe ein und desselben Korruptionskörpers sind. Es handelt sich um eine typische "geschlossene Gesellschaft", und wer hineinkommen will, ohne von vornherein dazuzugehören, muß sofort mit Sanktionen rechnen.

So erging es offenbar auch dem EU-Abgeordneten Martin, der die Affäre mit den Tagesgeldern an die Öffentlichkeit brachte. Seit seinem Ausschluß aus der SPÖ-Fraktion ist er in Straßburg als Einzelkämpfer unterwegs, doch wenn sich auch nur ein Bruchteil dessen, was er behauptet, als wahr erweist, hat sich sein Mandat für die Öffentlichkeit allemal gelohnt.

Das Protestgeschrei der Beschuldigten gegen Martin ist bis dato alles andere als überzeugend. Er solle "konkrete Fälle" nennen, heißt es. Aber die Fälle sind längst da. Zahllose Abgeordnete beziehen hohe Fluggeldpauschalen, die sie nachgewiesenermaßen nicht regulär einsetzen, indem sie etwa Billigstflüge buchen. Zahllose Abgeordnete tragen sich in Anwesenheitslisten ein, obwohl sie nachweisbar nicht an den entsprechenden Sitzungen teilnehmen, und kassieren kalten Blutes die Sitzungsgelder.

Da hilft es auch nicht, wenn jetzt zahllose Straßburger Funktionäre - Vizepräsidenten, Ausschußvorsitzende und Fraktionschefs - mit frommem Augenaufschlag darauf hinweisen, daß sie die ihnen wegen ihrer herausgehobenen Position zustehenden Sonderzuwendungen oft gar nicht in Anspruch nähmen. Die Karten (auch die Anwesenheitslisten) müssen auf den Tisch der Öffentlichkeit. Die im Juni anstehenden Europawahlen werden ansonsten zur Abrechnung mit der Brüsseler Bürokratie.


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