© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/04 02. April 2004

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Anspruchsniveau
Karl Heinzen

Der Geschäftsklimaindex des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo ist im März dieses Jahres zum zweiten Mal in Folge abgesackt. Sollte im April ein weiterer Rückgang festgestellt werden, kann auch schon wieder von einer neuerlichen Rezession gesprochen werden. Der gerade erst mühsam herbeigeredete Aufschwung wäre also bereits Vergangenheit, bevor er sich so recht hätte bemerkbar machen können.

Was so manchen leitenden Angestellten zwar an seiner Erfolgsprämie für das Jahr 2004 verzweifeln lassen könnte, muß die allermeisten Angehörigen der erwerbsfähigen Bevölkerung, mögen sie nun in Lohn und Brot sein oder nicht, keinesfalls beunruhigen. Ein Aufschwung, käme er nicht gerade außerordentlich fulminant daher, würde sich auf ihren Wohlstand sowieso kaum auswirken. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit im In- und Ausland zeigen nämlich zum einen, daß wirtschaftliches Wachstum nicht notwendigerweise zu einer Abnahme der Arbeitslosigkeit führt. Unternehmen versuchen vielmehr, zunächst vorhandene Kapazitäten effizienter zu nutzen, um mehr aus den bisherigen Beschäftigten herauszuholen. Sollte dies nicht ausreichen, ist es für sie in der Regel rational, arbeitshungriges und belastbares Personal, zum Beispiel via Green Card, zu importieren, um sich schlechte Erfahrungen mit Einheimischen zu ersparen, die durch Erwerbslosigkeit nicht mehr up to date und zudem verwöhnt oder neurotisiert sind.

Zum anderen schlüge sich ein Anziehen des Wachstums lediglich in Ausnahmefällen in höheren Einkommen jener nieder, die einen Arbeitsplatz ihr eigen nennen. Nur wer unverzichtbar ist, hat im Poker um mehr Lohn und Gehalt vielleicht einigermaßen gute Karten. So viel Selbstvertrauen dürften im Angesicht des Arbeitslosenheeres und einer unproblematischen Migration aber bloß sehr wenige verspüren.

Auch die Politik muß strenggenommen ein Ausbleiben des Aufschwungs nicht bedauern, da ihr bei anhaltender Kapitalmobilität ja weiterhin die Macht fehlen würde, diesen zu einer Sanierung der Staatsfinanzen oder gar zu einer Erneuerung der Umverteilung von oben nach unten zu nutzen. Zudem bliebe die trostlose Lage der Sozialversicherungssysteme unverändert. Selbst Streicheleinheiten der Wirtschaftsprominenz für die politische Führung unseres Landes dürfte man nicht erwarten. Ihr Forderungskatalog ist viel zu lang, als daß er durch ein paar Prozentpunkte Wachstum bereits abgearbeitet wäre. Der internationale Wettbewerb erlaubt es den Unternehmen nicht, aus Sentimentalität oder Gemeinsinn klein beizugeben. Sie müssen darauf beharren, daß die deutschen Arbeitnehmer ihr Anspruchsniveau auf das ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Türkei, besser noch in Malaysia zurückschrauben, also aus Freude, zur Erwerbsgesellschaft dazugehören zu dürfen, im großen und ganzen kostenlos arbeiten. Es ist das Dilemma, daß sich dies mit den Mitteln des demokratischen und sozialen Rechtsstaates nicht begreiflich machen läßt.


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