© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/04 02. April 2004

Konstruierte Vorwürfe
Politische Kampagne: Warum nach Hans-Gerhard Creutzfeldt keine Straße in Kiel benannt werden darf
Hans-Joachim von Leesen

Anfang vorigen Jahres schlugen der damals amtierende Kieler Oberbürgermeister, der Sozialdemokrat Norbert Gansel, sowie der Chef der Neurologie an der Kieler Uniklinik, Günther Deuschl, der Kieler Ratsversammlung vor, einen Platz in der Landeshauptstadt nach dem ersten Rektor der Christian-Albrechts-Universität nach 1945, dem international renommierten Neurologen und Psychiater Hans-Gerhard Creutzfeldt (1885-1964), zu benennen. Creutzfeldt hatte 1921 als erster Wissenschaftler die Symptome des Gehirnschwamms entdeckt, kurz bevor sein Hamburger Kollege Alfons Jakob unabhängig von ihm zur gleichen Erkenntnis gelangte. Nach den beiden wurde die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit benannt, die in den letzten Jahren als BSE oder Rinderwahnsinn zur traurigen Bekanntheit gelangte.

Der Vorschlag, den Wissenschaftler durch einen Straßennamen zu ehren, schien unproblematisch zu sein, galt Creutzfeldt doch sowohl vor 1945 als auch nach dem Kriegsende als entschiedener christlich geprägter Konservativer, von dem bekannt war, daß er die während des Zweiten Weltkrieges zeitweise durchgeführte Euthanasie von psychisch Kranken strikt ablehnte. Er hat durch aktives Handeln Tausende von Kranken aus seiner Obhut davor bewahrt, im Rahmen des Programms "T4" getötet zu werden. Seine Ehefrau kam 1943 in Konflikt mit der Justiz, weil sie lästerliche Reden über Hitler geführt und die Meinung vertreten hatte, der Krieg sei verloren. Dafür mußte sie vier Monate ins Gefängnis.

Aber die Anreger der Ehrung hatten nicht mit Michael Legband gerechnet. Dieser freie Journalist führt seit Jahren in Zeitungsartikeln einen publizistischen Krieg gegen Creutzfeldt. Zwar mußte er einräumen, daß Creutzfeld "nicht Mitglied der NSDAP" war, "jedoch Bestandteil der nationalsozialistischen Todesmaschinerie und übereifriger Handlanger der menschenverachtenden Militär-Justiz im Hitler-Reich". Er behauptete: "In mindestens einem Fall sorgte der Geschwaderarzt Creutzfeldt mit seinem Gutachten für die Hinrichtung eines Soldaten..."

Es konnte allerdings nicht unterschlagen werden, daß Creutzfeldt in den 1950er Jahren das Pseudonym "Dr. Fritz Sawade" eines in Schleswig-Holstein tätigen Nervenarztes aufdeckte. Hinter "Sawade" verbarg sich der Neurologe Werner Heyde, der bei der Euthanasie-Aktion "T4" während des Krieges eine führende Rolle gespielt hatte. (Während des deswegen durchgeführten Gerichtsverfahrens nahm sich Heyde/Sawade im Untersuchungsgefängnis das Leben.)

Aber dessen ungeachtet schrieb Legband unermüdlich Artikel sowohl in Tageszeitungen wie der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung als auch in dem Verbandsorgan des Deutschen Marinebundes Leinen los. Unter Berufung auf das Buch eines Itzehoer Richters schrieb Legband, Creutzfeldt "schreckte nicht davor zurück, zum Beispiel in einem Militärgerichtsverfahren einen Angeklagten für zurechnungsfähig zu erklären, so daß dieser zum Tode verurteilt und hingerichtet werden konnte".

Als der Vorschlag einer Straßenbenennung nach Creutzfeldt in dem dafür zunächst zuständigen Ortsbeirat besprochen wurde, erinnerte sich jemand dieser Beschuldigungen. Daraufhin beauftragte der Ausschuß sein Mitglied Erik Nils Voigt von der CDU, dem Vorwurf nachzugehen. Der fand laut Pressebericht heraus, ein Marinegefreiter habe sich "Urlaub erschlichen" und sei deswegen vor einem Militärgericht angeklagt worden. Zunächst habe ein Marinearzt dem Angeklagten Unzurechnungsfähigkeit attestiert, weshalb er in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Deren Chef sei Creutzfeldt gewesen, der keine Unzurechnungsfähigkeit bei dem Delinquenten feststellen konnte. Daraufhin wurde das Strafverfahren durchgeführt und der Gefreite zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Geht man solchen Behauptungen nach, stößt man im Bundesarchiv Aachen auf das noch vorhandene Urteil samt der Begründung. Es ging bei dem Verfahren um den Matrosenobergefreiten Helmut F., der sich um die Jahreswende 1940/41 unerlaubt von seiner Einheit entfernt hatte. Er wurde am 8. Januar 1941 festgenommen. Weil er einen Tobsuchtsanfall "vortäuschte", wie es in der Urteilsbegründung hieß, fertigte ein Oberassistenzarzt ein Gutachten an, das zu dem Schluß kam, der Angeklagte sei geisteskrank. Daraufhin wurde seine Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt angeordnet.

Der Geschwaderarzt Creutzfeldt allerdings kam als Direktor der Nervenklinik, nachdem er den Patienten kennengelernt hatte, zu dem Schluß, daß der nicht geisteskrank sei. Daraufhin ordnete der Gerichtsherr an, daß Creutzfeldt ein erneutes Gutachten anfertige, in dem der Schluß gezogen wurde, der Obergefreite sei nicht geisteskrank, sondern weise "die Wesenszüge eines pathologischen Schwindlers" auf, der jedoch für seine Taten verantwortlich sei.

Daraufhin wurde das Verfahren wieder aufgenommen. Der Obergefreite wurde wegen Fahnenflucht im Kriege sowie Zersetzung der Wehrkraft zum Tode und wegen Urkundenfälschung, militärischen Ungehorsams und Unterschlagung in je zwei Fällen, wegen unbefugten Tragens des Eisernen Kreuzes 1. Klasse und des Spanienkreuzes in Silber zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil wurde vollstreckt.

Aus diesen Tatsachen, die er allerdings verzerrt darstellte, konstruierte der Journalist Legband, Creutzfeldt sei ein "Handlanger der menschenverachtenden Militär-Justiz im Hitler-Reich" gewesen. Er gibt zu erkennen, daß von Gerichten hinzugezogene Gutachter offenbar als Komplizen des Angeklagten fungieren und ihm zu einem möglichst milden Urteil verhelfen sollen.

Daß Michael Legband tatsächlich solche Vorstellungen hegt, das erfährt man, wenn man den Gründen seines Hasses gegen den 1964 verstorbenen Wissenschaftler nachgeht. In einem Buch schildert Legband, wie 1941 in Itzehoe ein "Maurermeister und Widerständler" namens Julius Legband, sein Großvater, gefaßt worden war, während er kommunistische Flugblätter verbreitete. Das Gericht ordnete eine Untersuchung seines Geisteszustandes an. Als Gutachter fungierte Creutzfeldt. Er bescheinigte dem "Widerständler" Unzurechnungsfähigkeit, woraufhin der unbestraft davon kam.

Nach 1945 aber verlangte der glücklich Davongekommene von Creutzfeldt, das Gutachten zurückzunehmen, weil er aufgrund seiner bescheinigten Unzurechnungsfähigkeit nicht als Opfer des Faschismus die erwartete Wiedergutmachung erhielt. Das lehnte Creutzfeldt ab, was ihm offenbar den Zorn des Enkels zuzog.

Am 23. März beschloß der Arbeitskreis Straßenbenennung beim Kieler Rat mit Zustimmung aller Ratsfraktionen, keine Straße und keinen Platz nach Hans-Gerhard Creutzfeldt zu benennen wegen der Bedenken, die der Ortsbeirat aufgrund des Gutachtens jenes Nils Voigt vorgebracht habe.

Vergessen die unbestreitbaren Verdienste des Wissenschaftlers beim Wiederaufbau der Kieler Universität nach dem Kriege, vergessen die Zivilcourage, die er während der Zeit des Nationalsozialismus zeigte, als er seine Patienten vor der Euthanasie schützte, wie auch nach dem Kriege, als er sich dagegen wehrte, daß die britische Besatzungsmacht nur sehr wenige ehemalige Offiziere zum Studium zuließ, weswegen er von den Briten aus dem Amt des Rektors entfernt wurde. Vergessen die hohen Ehrungen, die Creutzfeldt nach dem Krieg erfuhr - so wurde er 1955, zwei Jahre nach seiner Emeritierung, zum Ehrensenator der Kieler Universität ernannt. Vom Tisch gewischt auch seine Verdienste als "Entdecker eines der größten Rätsel der Medizin", des Gehirnschwamms, wie der Leiter der Neurologie, Günther Deuschl, seinerzeit rühmte.

Und das alles aufgrund von aus persönlichen Gründen vorgebrachter Polemik eines Journalisten. Und nicht zu vergessen: Verursacht durch fehlende Zivilcourage heutiger Parteipolitiker. So demontiert man in Kiel jede Bemühung, das wissenschaftliche Renommee der Universität sichtbar zu machen.

Foto: Straßenkarte von Kiel: Die Kreuzung Niemannsweg/Schlieffenallee sollte nach Creutzfeld benannt werden


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