© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/04 09. April 2004

Abschied vom sauberen Naß
Gesundheit: Die Liberalisierung des Trinkwassermarktes bringt keine Vorteile für den Verbraucher
Alexander Barti

Nachdem in Deutschland die Märkte für Elektrizität, Gas und Telekommunikation liberalisiert worden sind, wird auch eine Liberalisierung der Trinkwasserversorgung intensiv diskutiert. Im Vordergrund steht die Frage, ob das lebenswichtige Lebensmittel "Wasser" genauso behandelt werden kann wie jede andere Ware auch.

Für die Wasserversorgung gilt - im Unterschied zu Strom und Gas - Paragraph 103 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung von 1990. Diese Bestimmung schützt die bestehenden Gebietsmonopole, denn die allgemeinen Regelungen des Kartellrechts, die Monopole verhindern sollen, sind in diesem Fall nicht anwendbar.

Derzeit versorgen fast siebentausend Unternehmen Deutschland mit Trinkwasser, die größtenteils den Kommunen gehören. Eine Streichung des Paragraph 103 GWB würde bedeuten, daß der Schutz für die kommunalen Wassermärkte weggenommen wird, damit auch andere Unternehmen auf den Markt kommen können.

Durch den so angefachten Wettbewerb soll der Endabnehmer, also der Mensch am Ende der Wasserleitung, noch bessere Qualität zu einem günstigeren Preis erhalten - behaupten die Befürworter der Marktöffnung. Denn schließlich sei dieser Effekt auch bei der Telekommunikation und bei der Energieversorgung eingetroffen.

Aber der Vergleich hinkt: Wer drei Tage lang nicht zum Hörer greift, mag sogar entspannter sein und sich besser fühlen - nach drei Tagen ohne Wasser ist man hingegen tot. Diesen besonderen Stoff sollte man daher nicht leichtfertig der Gewinnorientierung opfern, sagen Kritiker der Liberalisierung, denn oftmals bleibe die Qualität dabei auf der Strecke. Die Erkenntnis, daß man mit Wasser glänzende Geschäfte machen kann, wurde in Deutschland spät bemerkt. Anfang der 1990er Jahre wollte man von den städtischen Wasserwerken noch nichts wissen, die meisten galten als marode und wenig profitabel.

RWE ist drittgrößter Wasserhändler der Welt

Was den marktbeherrschenden französischen Mischkonzernen Suez und Vivendi, die einen Anteil am globalen Wassermarkt von über 20 Prozent haben, gut ist, sollte anderen Unternehmen billig sein - dachten sich später deutsche Konzerne wie zum Beispiel RWE, Eon oder AquaMundo. Letzteres Unternehmen wurde Anfang 2000 als Konsortium gegründet. Paten waren das weltweit operierende Bauunternehmen Bilfiger & Berger, der Technologiekonzern ABB und die Mannheimer MVV Energie AG.

Der "Versorger" RWE kaufte im September 2000 für satte 14 Milliarden Mark den britischen Wasserriesen Thames Water und wurde damit schlagartig zum drittgrößten Wasserhändler der Welt. Ein Jahr später gab's einen Nachschlag in Form der US-Firma American Waterworks für sechs Milliarden Mark. Inzwischen ist RWE und der andere Großkonzern Eon an zahlreichen in- und ausländischen Wasserwerken beteiligt.

Die Berlinwasser International (BWI), die seit 1999 eine Tochtergesellschaft von RWE und Vivendi ist, orientierte sich vor allem nach Osten. Denn der real existierende Sozialismus in den ostmitteleuropäischen Ländern hat eine völlig unzureichende Wasserversorgung hinterlassen, die nun erneuert und erweitert werden muß. Die asiatischen Märkte hingegen versprechen durch ihre explodierende Bevölkerung kräftige Wachstumsraten. Das bedeutet aber nicht, daß in absehbarer Zeit alle Menschen sauberes Trinkwasser bekommen können, denn die kostbare Ware erhält nur, wer einen "angemessenen" Preis entrichtet. So bleibt das wachsende Heer der Armen unterversorgt. Schon heute leiden laut WHO 1,1 Milliarden Menschen unter unmittelbarer Wasserknappheit. Bis zum Jahre 2025 soll sich in 48 Ländern der Wassermangel auf 1,4 Milliarden Menschen erstrecken. Verteilungskonflikte - "Wasserkriege" - zwischen Staaten an bestimmten Flußläufen wie zum Beispiel am Euphrat und am Nil werden zunehmen.

Das Umweltbundesamt (UBA) befürchtet für Deutschland, daß in der Folge der geplanten Liberalisierung die angestrebte "nachhaltige Wasserwirtschaft" gefährdet wird. Bei dieser Wirtschaftsweise dürfen die Verfügbarkeit von Wasser und die davon abhängenden Ökosysteme nicht so verändert werden - etwa durch eine Verschmutzung -, daß eine zukünftige Nutzung eingeschränkt ist.

Viele der heute in Deutschland üblichen Leistungen rund um das Wasser sind nicht im einzelnen rechtlich fixiert und außerdem nur schwierig zu überwachen. In einem liberalisierten Wassermarkt mit seinem hohen Kostendruck würden diese "freiwilligen" Leistungen zurückgefahren werden oder ganz wegfallen. Das UBA zählt dazu die "Regionalität der Wassergewinnung und -verteilung in Verbindung mit den umfangreichen, von den Wasserversorgern durchgeführten Maßnahmen zum Ressourcen-, Umwelt- und Naturschutz".

Der Kostendruck zwingt zu Einsparungen. Bei der Liberalisierung des Strommarktes war zu beobachten, daß Instandhaltungsinvestitionen teilweise drastisch zurückgefahren wurden. Für den Wassersektor bedeutet das eine zu erwartende Vernachlässigung der Rohrnetzpflege. Leckagen nähmen zu, so daß infolgedessen auch die Verschmutzungsgefahr ansteigen würde. Um die gültigen Parameter der Trinkwasserverordnung einzuhalten, bliebe nur der Ausweg, den Zusatz an desinfizierenden Stoffen zu erhöhen.

Auf dem Papier wäre Wasser dann noch immer "sauber" und "unbedenklich trinkbar", aber die tatsächliche Qualität hätte Schaden genommen. Käme dann noch ein "Wettbewerb in den Leitungen" hinzu, würden sich verschiedene Wässer verschiedenster Qualität in den Rohren mischen - mit völlig unabsehbaren Folgen hinsichtlich der rechtlichen Haftung und Qualitätssicherung.

Das kostbare Naß wurde fast um die Hälfte teurer

Besonders in Deutschland mit seiner relativ guten Versorgung gibt es kein stichhaltiges Argument für eine Liberalisierung des Wassermarktes. In England und Wales, wo das Wasser schon seit 1989 privatisiert ist, konnte man keine Vorteile verzeichnen: Das kostbare Naß ist um fast 50 Prozent teurer geworden, seine Qualität hat sich in keiner Weise verbessert, und Tausende Mitarbeiter wurden von den ehemals staatlichen Versorgern entlassen.

Damit gleicht der Fall dem britischen Desaster auf der Schiene: Seit der Privatisierung der Eisenbahn sind die Fahrpreise teuer, die Züge oft zu spät, die Strecken marode. Aber die Angst, als "Antiliberaler" zu gelten, ist noch größer als die Furcht vor der Dreckbrühe aus dem Wasserhahn. Deswegen wird in Deutschland auch diese "Marktöffnung" niemand verhindern.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen