© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/04 16. April 2004

Zensur in Deutschland
Von der DDR gelernt
Andreas Wild

Wir distanzieren uns aufs Schärfste" - "Wir bedauern diesen Vorgang außerordentlich" - "Wir hatten von der geplanten Veröffentlichung keine Kenntnis" - "Der Rest der Auflage wird makuliert" - "Der Vorgang wird sich nicht wiederholen" - "Wir bitten alle Leserinnen und Leser sowie diejenigen, welche sich durch den Beitrag verunglimpft fühlen, um Entschuldigung".

Wer schreit so? Wer krümmt sich da in aller Öffentlichkeit wie ein getretener Wurm? Wer führt sich da auf wie ein reuiger Schwerverbrecher und streut sich rasend Asche aufs Haupt? Nun, es ist die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, eine Einrichtung des Berliner Bundesinnenministeriums, Herausgeberin der Zeitschrift Deutschland Archiv (DA), eines bis dato recht angesehenen Organs, in dem vorzugsweise Probleme der deutschen Wiedervereinigung und der deutschen Identität besprochen wurden.

Um die deutsche Identität ging es auch in dem Aufsatz von Konrad Löw im DA, der den Anlaß für das Gezeter lieferte und den die JUNGE FREIHEIT in dieser Ausgabe dokumentiert (Seite 6 und 7). Der Leser wird merken, daß es sich um eine normale akademische Arbeit handelt, eher unauffällig im Duktus, geschrieben von einem hochangesehenen Gelehrten, der meilenweit davon entfernt ist, nach irgendeiner Richtung hin "radikal" oder gar "extrem" zu sein.

Weshalb dann der Brief der Bundeszentrale an alle Abonnenten des Deutschland Archivs mit den zitierten Reue-Orgien? Seit wann muß sich jemand in Deutschland dafür entschuldigen, daß er der freien Meinungsäußerung und Diskussion Raum gibt? Und wieso werden jetzt wieder Schriften "makuliert", das heißt eingestampft oder vernichtet, nur weil das anonym bleibenden politischen Kräften in den Kram paßt?

Kein einziger Abonnent des Deutschland Archivs hat wegen des Löw-Aufsatzes die Einstampfung der Restauflage gefordert, wie sie jetzt in die Wege geleitet wurde. Der Wille zur "Makulierung" kam nicht von unten und innen, sondern von oben und außen.

Der Redakteur der Zeitschrift, Marc-Dietrich Ohse, und die Mitglieder des redaktionellen Beirats, unter ihnen solche Deutschlandexperten wie Karl Wilhelm Fricke, sind zu bedauern. Sie haben von dem Brief der Bundeszentrale an die Abonnenten keine Ahnung gehabt, wurden brutal vor die nackte Tatsache gestellt, und Dr. Ohse muß mit der Kündigung rechnen. Der Vorgang ist ein riesiger Skandal, und er wirft ein bezeichnendes Licht auf die publizistischen Zustände, die mittlerweile in Deutschland eingerissen sind.

Das Deutschland Archiv war in den Jahren vor der Wende eine der wenigen Zeitschriften hierzulande, die sich professionell mit den Vorgängen in der DDR beschäftigten und den dortigen Geistesterror, besonders die Zensur und Einstampfungen von mißliebigen Schriften, beim Namen nannten. Daß im wiedervereinigten Deutschland nun ausgerechnet das Deutschland Archiv wegen mißliebiger Äußerungen eingestampft wird, ist eine Pointe, wie sie trübseliger gar nicht ausfallen kann.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen