© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/04 30. April 2004

Der Mann im Hintergrund
Porträts des 20. Juli 1944: Generalquartiermeister Eduard Wagner hatte wesentlichen Anteil am Attentat
Stefan Scheil

Eduard Wagner gehört nicht zu den Vielgenannten des Widerstands gegen Hitler. Damit ist merkwürdigerweise ein Offizier in den Hintergrund geraten, der an der Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli 1944 wesentlichen Anteil hatte und bereits im Vorfeld des Kriegsausbruchs zur Opposition gegen das Regime gestoßen war.

Für das Gewicht dieser Opposition bedeutete dies viel. Als Generalquartiermeister des deutschen Heeres brachte Wagner, von Haus aus General der Artillerie, eine Position mit, die sein Vorgänger Erich Ludendorff während des Ersten Weltkriegs zur Entscheidungszentrale Deutschlands ausgebaut hatte. Reagierte Ludendorff aber auf ein Machtvakuum aufgrund der Schwäche der Monarchie, so gab es während der nationalsozialistischen Ära keinen wirklichen Zweifel, wer stets das letzte Wort behielt. Die vielen Funktionen des Quartiermeisters, die Ludendorff zu seiner Unentbehrlichkeit nutzen konnte, brachten Wagner jetzt zwangsläufig mit den Schattenseiten des Regimes in Kontakt und kompromittierten ihn.

Wagner war kein politischer Visionär, sondern ein nüchterner Planer. Er wählte zunächst den Weg, den Auswüchsen nationalsozialistischer Politik innerhalb des Systems verdeckt und offen entgegenzutreten. Ein Beispiel dafür ist seine Reaktion auf den Beginn der Judenverfolgung im besetzten Polen. Das hatte einen Streit zwischen Wehrmachtsführung und der nationalsozialistischen Führungsspitze provoziert, an dem auch Wagner beteiligt war, der als Generalquartiermeister für die Besatzungspolitik mit verantwortlich zeichnete.

Damit sich ähnliches in Frankreich nicht wiederholte, erließ das Oberkommando des Heeres unter seiner Mitarbeit Vorschriften, in denen der lapidare Satz zu finden war: "Allein auf den Umstand hin, daß ein Landesbewohner Jude ist, dürfen Sondermaßnahmen gegen ihn nicht getroffen werden."

Drastischer konnte man den Nürnberger Rassegesetzen im "Jahr fünf" nach ihrer Proklamierung keine Absage erteilen. Einen ähnlichen Entwurf gab es auch für den Rußlandfeldzug, aber diesmal wies Hitler ihn mit einem Wutanfall zurück, gab eigenhändig andere Weisungen aus und forderte seine Militärs auf, sich für weitere Nachfragen mit der SS-Spitze abzustimmen. Diese Verhandlungen hatte Wagner zu führen. Es ging dabei unter anderem um einen der heikelsten Punkte der Hitlerschen Bestimmungen, den Kommissarbefehl. Dem Klischee vom jüdischen Bolschewismus verfallen, wollte Hitler die Politfunktionäre der Roten Armee ausnahmslos erschossen sehen.

Wagner hielt davon so wenig wie der Rest des deutschen Offizierskorps, ließ sich aber trotzdem diese Aufgabe nicht von der SS-Führung abhandeln und nannte in einem Schreiben den Grund dafür: "Wenn ein schriftlicher Befehl Hitlers das Heer und nicht den SD mit der Durchführung der Gefangenenbehandlung im Hitlerschen Sinne beauftrage, werde OKH ohne Schwierigkeiten Mittel und Wege finden, um die Durchführung der verbrecherischen Anordnungen in der Praxis zu vereiteln." Dies war der Hintergedanke, der Wagner im Gespräch mit Reinhard Heydrich im Frühjahr 1941 leitete, offenbar nicht ohne Erfolg. Hitler beschwerte sich bei seinem Adjutanten, daß "man im Heer die gegebenen Befehle, wie zum Beispiel den Kommissarbefehl (...) gar nicht oder nur zögernd befolgt hätte. Wenn er seine SS nicht hätte, was wäre dann noch alles unterblieben!"

Es wäre zweifellos eine Menge unterblieben, wenn Offiziere wie Wagner sich hätten durchsetzen können. Das galt vielleicht nicht für die Hungerkatastrophe der russischen Kriegsgefangenen von 1941, ebenfalls ein Komplex, für den Wagner als Quartiermeister mit verantwortlich war. Weit entfernt davon, Kriegsgefangene dem Hungertod ausliefern zu wollen, hatte er deren übliche Ernährung befohlen. Das nützte nichts, wo es die Nahrungsmittel nicht gab oder sie nicht rechtzeitig zu den sowjetischen Soldaten gebracht werden konnten, die teilweise bereits Wochen vor dem deutschen Angriff keine Nahrungsmittel mehr von der russischen Führung erhalten hatten. Der Beginn der Kämpfe ließ die Versorgung ganz zusammenbrechen. Den Rest besorgte nationalsozialistischer Zynismus in Gestalt von Hermann Göring, nach dessen Weisung zu verhungern hatte, wer von den Gefangenen nicht arbeiten konnte.

Es waren vielleicht Entscheidungen wie diese, die Wagner am Ende zu den Attentatsvorbereitungen motivierten. Er besorgte die Maschine, die Stauffenberg nach Berlin zurückbrachte. Er war es auch, der nach Frankreich fuhr, um Generalfeldmarschall Erwin Rommel in die Verschwörung mit einzubeziehen. Der 20. Juli selbst sah Wagner im Hauptquartier in Zossen, wo er die Meldung vom Scheitern des Attentats schon eine Stunde später erhielt. Wagner konnte nicht verhindern, daß sich das gegenteilige Gerücht von Hitlers Tod ausbreitete und die Verschwörer mit dem Starten des jetzt von vornherein aussichtslosen Staatsstreichs sich selbst und ihn verrieten. Das machte das Ende unvermeidlich, wie er erkannte. Am 23. Juli 1944 zog er die Konsequenz und erschoß sich.

Wagner, Elisabeth: Der Generalquartiermeister. Briefe und Tagebuch Eduard Wagners. Olzog Verlag, München 1963, 318 Seiten (nicht mehr lieferbar).

Gerd Ueberscher (Hrsg.): Hitlers militärische Elite.Band 2. Primus Verlag, Darmstadt 1998, 327 Seiten, gebunden, 24,90 Euro.

Foto: Generalquartiermeister des Heeres, General der Artillerie Eduard Wagner: Verbrecherische Anordnungen in der Praxis vereiteln


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