© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/04 30. April 2004

Frisch entdeckte "Quarterlife Crisis": Junge Erwachsene fühlen sich überfordert
Die Sinnkrise der Mittzwanziger
Georg Alois Oblinger

Es gibt eine neue Trendkrankheit. Ihre Symptome sind schon seit den Neunzigern bekannt, doch jetzt hat sie auch einen Namen. Dieser kommt natürlich aus den USA, wo 2001 ein Buch mit dem Titel "Quarterlife Crisis" erschien. Die beiden Autorinnen, die Journalistin Alexandra Robbins und die Webdesignerin Abby Wilner, beide Mitte zwanzig, beschreiben die Sinnkrise, die junge Menschen zwischen 20 und 30 befällt. Sie tritt auf in der Übergangsphase zwischen dem beschützten, geregelten und weitgehend fremdbestimmten Leben im Elternhaus und der Realität des Erwachsenenalltags, in dem es gilt, Entscheidungen zu fällen und sein Leben selbst zu gestalten. In fast zweihundert Einzelinterviews mit jungen Leuten in Amerika sind Robbins und Wilner dem Phänomen auf den Grund gegangen.

Das Buch wurde zum Bestseller und erschien 2003 in deutscher Übersetzung. Im selben Jahr versuchten auch zwei deutsche Autorinnen die Krise zu beschreiben: Die 26jährige Radio-Moderatorin Maja Roedenbeck läßt zwanzig junge Erwachsene zwischen 20 und 30 ihre Lebensgeschichte erzählen und die 31jährige freiberufliche Autorin Birgit Adam reflektiert ihre eigene Lebenskrise, die sie gerade durchmacht. Die Probleme sind dieselben, nur scheinen sie - so Birgit Adam - in Deutschland oft erst zwischen 28 und 33 aufzutreten.

Für viele Psychologen ist die Quarterlife Crisis nichts anderes als eine ausgedehnte Pubertät. Aufgrund der heute gegenüber früher stark ausgedehnten Ausbildungs- und Studienzeiten verschiebt sich das Erwachsenwerden immer weiter nach hinten. Unterstützt wird diese Tendenz noch durch den heute herrschenden Jugendwahn, der bei vielen eine panische Angst vor dem Älterwerden bewirkt. So sieht beispielsweise die Familienpsychologin Christiane Papastefanou die Quarterlife Crisis als verlängerte Jugendidentitätskrise. Sie trifft daher auch nicht jeden, sondern wie die Midlife Crisis lediglich etwa 20 Prozent der Menschen im entsprechenden Alter.

Wie in der Pubertät, in der Adoleszenz und später in der Midlife Crisis kommt es auch hier zu gravierenden Veränderungen der Lebensumstände. Der Lebensentwurf früherer Jahre wird meist verworfen, und jetzt steht der junge Mensch vor der Frage, was er mit seiner Freiheit anfangen soll. Nicht selten macht sich eine Panikstimmung breit: Das kann doch noch nicht alles gewesen sein. Man möchte etwas erleben, man möchte seine Träume realisieren. Die zahlreichen Möglichkeiten, die sich der jungen Generation heute bieten, scheinen eher eine Überforderung für sie darzustellen. Ein Kind? Oder lieber Karriere? Wenn ja, welche? Vielleicht auswandern? Heiraten? Sich trennen? Reisen? Sich sozial engagieren? Oder sich vorher ausleben? Vor allem schrecken viele vor einer endgültigen Entscheidung zurück. Besonders die Männer haben Angst vor dem Heiraten, weil sie eine Scheidung mit lebenslangen Unterhaltszahlungen befürchten. Man flüchtet ins sogenannte Beziehungs-Hopping.

Doch der Bindungsangst steht auf der anderen Seite die Torschlußpanik gegenüber, eventuell ein Leben lang ganz ohne Partner bleiben zu müssen. Frauen sehen gelegentlich auch im eigenen Kind einen Ausweg aus der Krise. Auch die Berufswahl gestaltet sich heute schwieriger als früher, weil der gewählte Beruf einen nicht nur ernähren, sondern auch erfüllen soll. Nicht selten wird der Beruf als eine Möglichkeit zur Selbstdefinition und auch zur Selbstfindung gesehen.

Generell scheint es für die heutigen Mittzwanziger schwieriger geworden zu sein als für die Mittzwanziger in früheren Jahren. Materiell wesentlich besser gestellt als frühere Generationen haben sie wesentlich mehr Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten und sehen gerade hierin eine Überforderung. Wer so viele Wege zur Wahl gestellt bekommt, hat große Angst, den falschen Weg zu wählen. Die Quarterlife Crisis ist also ein Problem unserer Zeit. Die jungen Menschen sehen sich selbst zwischen zwei Fronten: Auf der einen Seite stehen die ungeheuer zahlreichen beruflichen und privaten Lebensmöglichkeiten, und auf der anderen Seite steht ein starker Entscheidungsdruck, den sie zu verspüren meinen.

Muß denn aber gleich von einer Krise gesprochen werden, wenn junge Menschen Fragen und Probleme haben? So wird von seiten der Älteren gerne eingewandt. Dem steht die Tatsache gegenüber, daß sich tatsächlich die Praxen der Psychologen mit immer jüngeren Patienten füllen. Auch die genannten Bücher haben große Zustimmung erfahren, viele Menschen finden sich in den geschilderten Problemen wieder ,und das Internetforum www.quarterlifecrisis.de  ist stark frequentiert. Was eine Krise ausmacht, muß eben individuell definiert werden. Oft scheint gerade derjenige, der wirklich schreckliche Erlebnisse verarbeiten mußte, nicht so schnell eine Krise zu verspüren wie jemand, der bisher von allen größeren Problemen verschont blieb.

Auslöser der Krise kann der Tod eines nahestehenden Menschen sein, aber auch schon Gewichtsprobleme, die Angst vor einer Krankheit oder - auffallend häufig genannt - die Scheidung der Eltern. Und diese Krise kann bis zu schwersten Depressionen führen.

Es fällt auf, daß nicht nur die Autoren der genannten Bücher allesamt weiblich sind, sondern auch im Buch von Roedenbeck nur ein Viertel der Lebensgeschichten von Männern stammen. Männer neigen dazu, die Krise vor der Öffentlichkeit und oft auch vor sich selbst zu verleugnen. Damit erschweren sie es allerdings auch anderen, ihnen zu helfen.

Welche Hilfen werden nun dem "Quarterlifer" angeboten? Die Krise annehmen, verschiedene Wege ausprobieren, Kompromisse machen und sich klarmachen, daß fast jede Entscheidung auch wieder rückgängig gemacht werden kann. Überzeugen können diese Lösungsansätze leider nicht. Das tiefer liegende Problem der Sinnleere wird nicht berührt. Da müßte die Frage gestellt werden, wofür ich lebe - doch das ist eher eine religiöse Frage.

Alexandra Robbins, Abby Wilner: Quarterlife Crisis; Ullstein Verlag, München 2003, 240 S., gebunden 16,00 Euro, broschiert 7,95 Euro

Birgit Adam: Quarterlife Crisis. Jung, erfolgreich, orientierungslos; Ariston, Kreuzlingen / München 2003, 187 S., 14,95 Euro

Maja Roedenbeck: Geschichten von der Quarterlife Crisis. Junge Erwachsene zwischen 20 und 30 erzählen über Träume, Lebensentwürfe und Entscheidungen; Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2003, 316 S., 12,90 Euro


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