© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/04 07. Mai 2004

Chefin auf Abwegen
CDU/CSU: Die proamerikanische Haltung macht der Union zu schaffen / Präsidentschaftskandidat Köhler spricht vielen Mitgliedern aus dem Herzen
Paul Rosen

Horst Köhler hatte den Stein ins Wasser geworfen. Mit seinen kritischen Anmerkungen zum Krieg der USA und anderer Staaten gegen den Irak entfachte der Präsidentschaftskandidat von Union und FDP die Debatte um Krieg oder Frieden neu. Die Unionsparteien müssen ein Jahr nach Kriegsende befürchten, daß die Friedensfrage zentrales Thema der nächsten Wahlkämpfe wird.

Daß diese Fragestellung westdeutsche Wahlkämpfe dominiert, ist nicht neu. 1972 thematisierte die sozial-liberale Koalition den Bundestagswahlkampf entsprechend: Entweder man war für die Regierung und damit für die Entspannungspolitik oder gegen sie und damit für die Fortsetzung des Kalten Krieges. 1982 wurde die SPD-Regierung durch die Nachrüstungsdebatte derart geschwächt, daß sie von der CDU/CSU abgelöst werden konnte. Damals lautete die These "Raketen oder Frieden". Die Nato-Raketen wurden schließlich stationiert, zum Krieg kam es trotzdem nicht.

Objektiv ist die Irak-Debatte kaum nachvollziehbar

Die heutigen Debatten ähneln denen der Vergangenheit. Trotz aller Freundschaftsbekundungen zu den USA wäre eine von Edmund Stoiber geführte Bundesregierung wohl kaum in den Krieg eingetreten. So hatte sich Stoiber schon im friedensbewegten Bundestagswahlkampf 2002 eher zurückhaltend und ausgewogen verhalten. Heute läßt Stoiber wissen, daß er sicher keine Truppen nach Bagdad geschickt hätte.

In der CDU sieht die Sache etwas anders aus. Hier bestimmen die Atlantiker die wichtigen außenpolitischen Positionen, Leute wie Friedbert Pflüger etwa, einst Sprecher von Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Pflüger verteidigte noch die amerikanischen Berichte über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak, als selbst in den USA nur noch der harte Kern um Präsident George W. Bush nicht an den Aussagen der Geheimdienste zweifelte. Noch kürzlich hielt Pflüger in Berlin vor Journalisten eine Art Proseminar über diese US-Berichte und deren Glaubwürdigkeit.

CDU-Chefin Angela Merkel war für ihren proamerikanischen Kurs im Wahlkampf 2002 zunächst noch in der eigenen Partei gelobt worden. Endlich hatte die Vorsitzende einmal Position bezogen. Daß die brave Unterstützung der amerikanischen Freunde aber von der SPD und den Grünen im Friedenswahlkampf ausgenutzt und zum Dauerbrenner gemacht werden könnte, hatten Merkels Strategen nicht erwartet.

Außenminister Joseph Fischer (Grüne) gab bereits einen Vorgeschmack darauf, worauf sich die CDU schon im Europawahlkampf einstellen darf: "Hätten Bundeskanzler Schröder und ich die Wahlen verloren, wäre Deutschland sicher in den Krieg hineingezogen worden." Und die SPD stellt im Ruhrgebiet bereits Großplakate zum Irak-Krieg auf. "Friedens-Macht", heißt es da über die eigene Politik. Aus Sicht der Genossen ist das nur konsequent: Schließlich haben Gerhard Schröder und Franz Müntefering im Bereich Wirtschaft und Finanzen keine Erfolge im Angebot.

Objektiv ist die Debatte um den Irak-Krieg nicht nachzuvollziehen, weil die USA zu keinem Zeitpunkt von den Deutschen Truppen haben wollten. Außerdem war die Bundesrepublik über die hiesigen US-Flugplätze, von denen Bomber starteten und über die der Nachschub lief, stärker in den Krieg hineingezogen als manche mittelamerikanische Bananenrepublik, die sich mit einem Kontingent von 30 Soldaten im Irak engagierte. Aber wie schon bei früheren Wahlkämpfen dürfte die Objektivität auch diesmal auf der Strecke bleiben.

Das ist den meisten Unionsabgeordneten, die um Stimmenanteile und Wahlkreise fürchten, bewußt. Unions-Präsidentschaftskandidat Horst Köhler dürfte ihnen aus der Seele gesprochen haben, als er den Amerikanern aggressives Verhalten bescheinigte. Köhler habe "ausgesprochen, was viele auch bei uns denken", sagte der CDU-Außenpolitiker Willy Wimmer der Leipziger Volkszeitung. Wimmer hatte schon Anfang 2003 den Irak-Kurs der CDU-Führung kritisiert. Dabei steht Merkel gewiß nicht für eine Politik, die die Deutschen direkt in den Irak geführt hätte, wie Außenminister Fischer der CDU-Vorsitzenden vorwirft.

Merkel könnte wie dereinst Rainer Barzel scheitern

Statt dessen führt Merkels Politik die Union direkt auf den absteigenden Ast. Schon wird in den Umfragen deutlich, daß die SPD die Talsohle erreicht hat. Zusammen mit dem zumindest zeitweiligen Verzicht auf weitere schmerzhafte Eingriffe und Kürzungsprogramme dürften Wahlkämpfe mit dem Schwerpunktthema Frieden der SPD wieder zu zusätzlichen Prozenten verhelfen. Die täglichen Nachrichten aus dem Irak werden ihre Wirkung in deutschen Wohnzimmer nicht verfehlen. Immer neue Attentate und jetzt Berichte über Folterungen durch Amerikaner dürften bei vielen Zuschauern den Eindruck aufkommen lassen, im Irak sei nichts besser geworden, nur die Folterknechte hätten heute amerikanische Uniformen an.

Wenn der Irak-Krieg und internationale Terrorismus wirklich das Thema der nächsten Zeit und vielleicht auch noch das des Bundestagswahlkampfes werden sollten, steht die CDU schlecht da. So schlecht wie der damalige Oppositionsführer Rainer Barzel, der Willy Brandt 1972 auch nur ein "Jetzt nicht und so nicht" entgegenschleudern konnte, aber kein überzeugendes Gegenkonzept hatte. Und so wie einst Barzel könnte auch Merkel scheitern.


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