© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/04 07. Mai 2004

Die Welt von Gestern
Mobilmachung im Kampf der Generationen: Frank Schirrmachers "Methusalem-Komplott"
Eberhard Straub

Wie kläglich gebärdet sich die Jugend, die einst so fröhlich war./ Die verstehen nur noch sich zu sorgen. Wehe, warum tun Sie so?" Das fragte sich bekümmert der alternde Walter von der Vogelweide. Das fragen sich vielleicht manche Leser von Frank Schirrmachers "Methusalem-Komplott". Denn der mit fünfundvierzig Jahren doch immer noch junge Schirrmacher, einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schlägt Alarm und mahnt jeden, der die Dreißig überschritten hat, ab sofort das Fürchten zu lernen. Wer sich nicht fürchtet, den bestraft das Leben, weil er sich bei der Mobilmachung im Krieg der Generationen verspätet.

Die Furcht, bald diskriminiert, aufs Altenteil geschoben zu werden, soll nicht lähmen und untüchtig machen. Ganz im Gegenteil, Angst und Schrecken sollen zu einer Kampfmoral verhelfen, um erfolgreich die Angriffe einer "der erbittertsten Streitmächte gegen die Alten ( ...), die es je gegeben hat" abzuwehren.

In diesem kommenden Krieg, dem Revolutionskrieg der zahlenmäßig überlegenen Alten gegen die aggressiven Jungen, zählt nur noch der Wille zum Leben, zur Selbstbehauptung, und alles andere - frühere Erfolge, ehemalige Schönheit, gewonnene Lebenserfahrung, selbst gehüteter oder gemehrter Reichtum - hat seinen Wert verloren. "Unser Alter wird nicht gemütlich sein. Es wird keine Ohrensessel, Kaminfeuer und Vorratskammern geben. Wir können nicht zu Hause bleiben. Wir müssen losziehen, solange wir noch stark und selbstbewußt sind." Schirrmacher ruft zur totalen Mobilmachung auf. "Das klingt dramatisch, und das ist es auch."

Das klingt zuerst einmal mit der heroisch-aufgeregten Wortwahl wie mißglückter Theaterdonner auf einer Provinzbühne, der die Subventionen gestrichen wurden. Außerdem macht nichts schneller alt als der immer vorschwebende Gedanke, älter zu werden, wie Lichtenberg den allzu Besorgten riet. Empfehlenswerter ist es, statt Helme enger zu schnüren und sich in Seniorenkolonnen einzureihen, sich an Goethes Aufforderung zu halten: Ein Lump, wer nicht achtzig wird und mit Willen und Bewußtsein das neue Rollenfach übernimmt.

Altern ist ja nicht nur ein biologisches Phänomen, wie Schirrmacher meint, sondern eine Folge geistiger Wandlungen und Verwandlungen, von Metamorphosen, die der Einzelne in aller Freiheit mitgestalten kann, um seine Persönlichkeit zu vollenden: ein hergebrachtes, altes Ziel der Philosophen und der christlichen Lebensklugheit.

Den Alten oder Älterwerdenden wurde hingegen jetzt zugeredet, sich nicht nur jung zu fühlen, sich auch jung, gar jugendlich zu gebärden. Schirrmacher rennt offene Türen ein, wenn er das beklagt. Aber es waren keine böswilligen jugendlichen Verschwörer, die Greise nötigten, sich wie Jünglinge aufzuführen. Dazu waren und sind sie von sich aus bereit, keine Lächerlichkeit scheuend. Oft sogar unter dem Beifall der Jungen.

Der Sinn der wissenschaftlichen Bemühungen ist es doch, um Alexander Humboldt zu variieren, das Leben zu verschönern und den Lebensgenuß zu steigern, die Freude an Gott und seiner Welt zu steigern. Übrigens sind die Methoden der Verjüngung gar nichts neues. Goethe hat in den Wanderjahren an dem "Mann von fünfzig Jahren" mit ironischer Sympathie geschildert, wie eine solche Phase erlebt und zum guten Ende gebracht wird.

Schirrmacher vermutet, daß die Bilder der sportlich-schönen jungen Menschen mittlerweile die Alten fast unter terroristischen Druck setzen, vor einem Jugendwahn bedingungslos zu kapitulieren. Doch die meisten Bilder der Werbung richten sich auf potentielle Käufer. Bestimmte Sportartikel, Parfums, Modewaren oder technische Geräte gehören in die Welt der Jugend. Zu allen Zeiten hat man Jugend mit Schönheit verbunden. Darin äußert sich keine Diskriminierung des Alterns.

Es liegt auf der Hand, daß bei immer mehr alten Menschen und immer weniger jungen die Balance der Generationen aus dem Gleichgewicht gerät. Bislang erwiesen sich die Jungen als umgänglich und sorglos, eher sogar von den Alten in den Schatten gestellt, die nicht aufhören können, als daß sie rigoros Arbeitswillige aus dem Arbeitsleben ausgliederten. Es waren die Alten, die sich selber sehr jung vorkamen, die im Berufsleben die Jugend favorisierten. Die Jungen stürmten nicht die Bastionen der Alten, sie wurden hineingelockt, um den prominenten Alten das Überleben nicht zu erschweren.

Nicht die unübersehbare Präsenz der Jungen ist erstaunlich. Vielmehr die Scharen der Alten, die mit allen Kniffen geübter Machtwahrung ihr Recht ums Dabeisein durchsetzen. Viel zu viele Alte halten eine Jugend im Schach, die aus Karrieregründen sich nicht mit den Alten, deren Meinungen und Herrschaftstechniken, anlegen kann. Es sei denn, sie steht mit anderen Alten im Bunde.

Vernünftige Alte sollten eine Emanzipierung der Jungen von dieser Welt von Gestern fördern, in der die Jungen schon alt geworden sind, bevor sie überhaupt je jung sein durften, statt unbedacht rebellisches Potential bei den Alten zu wecken. Das Altern, an den Rand des Lebens zu geraten, mag für manche eine schwer zu erlernende Aufgabe sein. Für die Jungen stellt sich hingegen ungewohnt früh die bittere Frage, ob sie überhaupt je ein Platz im Leben finden, ob sie zur Ausbildung einer selbstbewußten, freien Persönlichkeit gelangen oder je eine Familie gründen können. Es gehört heute ein erheblicher Mut dazu, sich auf das Wagnis des Lebens einzulassen.

Enttäuschungen im Alter gehören zum Leben und bleiben keinem erspart. Für die Jugend galt einmal der poetische Rat: Es hoffe jeder, daß die Welt ihm gebe, was sie keinem gab. Danach kann sich in einer Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht, kein junger Mensch mehr frohgemut richten. Der Gegensatz von Alt und Jung gehört zu der Welt von Gestern, in der Schirrmacher sich verfangen hat.

Die neuen Herausforderungen ergeben sich aus dem Umstand, daß in einer Gesellschaft, die sich über Arbeit und Leistung definiert, nur noch wenige Arbeit finden. Die meisten aber sind "freigesetzt", einen Lebenssinn jenseits von Arbeitsethos und Leistungswillen zu finden. Unbeschäftigte Alte wie Junge, bald die Mehrheit, müssen eine in der Geschichte beispiellose Aufgabe bewältigen: ein Leben in Muße so zu führen, daß sie dabei nicht verzweifeln, vielmehr Lebensfreude und Freude an den anderen Menschen gewinnen. Darauf ist die Gesellschaft nicht vorbereitet. Das ist eine Bildungsfrage, eine Frage humaner, ästhetischer Erziehung. Die Biologie, der Schirrmacher vertraut, hilft dabei nichts.

Frank Schirrmacher: Das Methusalem-Komplott. Karl Blessing Verlag, München 2004, geb., 220 Seiten, 16 Euro


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