© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/04 07. Mai 2004

Prinzip Hoffnung
Oper: "Götterdämmerung" in Willy Deckers Inszenierung
Konrad Pfinke

Grau ist die Welt der Götterdämmerung - zumindest in der Inszenierung Willy Deckers, der mit dem Schlußstück die Tetralogie an der Semper-Oper abschloß. Grau ist die Welt der Gibichungen, aber höchst koloriert ist die Inszenierung, die auf unangestrengte Weise der "Ring"-Bühne die Theatralität zurückgibt - und dies, indem sie die Theater-Metapher vom ersten Takt des "Rheingold" bis zum Schlußakkord der "Götterdämmerung" konsequent verwendet. Decker hat begriffen, daß Rheintöchter und Nornen auf einer "Ring"-Bühne nur dann sinnvoll wirken, wenn man das Geheimnis ihres mythischen Wesens respektiert - und so werden gerade diese Szenen zu intensiven Höhe- und Wendepunkten der Inszenierung.

Wenn die Rheintöchter den tumben Helden geradezu zärtlich bedrängen, um ihm den "Ring" abzugewinnen, begreifen wir ihre elementare Verzweiflung. "Schlechtes Theater" wird nur dort gespielt, wo die Verhältnisse danach sind: wenn Siegfried in Gunthers Gestalt den Wolkenvorhang in Brünnhildes Raum niederreißt. Noch der sterbende Siegfried stellt sich auf eine Bühne, um dem greisen, glatzköpfigen Wotan, der als "alter Mann" wiederkehrt, die letzte Heldenpose vorzuspielen. In einer anrührenden Szene, die ihm und seinen einstigen Männertaten großzügig Verzeihung gewährt, darf er von Brünnhilde, die als einziger, feuerrot leuchtender Farbakzent durch die graue Gibichungenwelt irrte, den letzten Segensspruch erhalten: "Ruhe, ruhe, du Gott!"

Träumte einst Erda ihr Welttheater, so sind es nun Wotan, die Walküren und Fricka, auch Brünnhilde, die am Ende dem Untergang der Menschenbande zuschauen, bevor sie mitsamt den wellenförmigen Stuhlreihen in der Versenkung verschwinden. Was bleibt, ist Erda, die die Weltkugel auf die leere Bühne rollt, um zu den Klängen des Erlösungsmotives die unendliche Ruhe des Alls zu betrachten. So werden im Zeichen des Theater-Spiels der Mythos, das Theater, die Politik und die graue Realität der modernen Geschäftswelt in eins gesetzt, um, ganz im Sinne des erfinderischen Musikdramatikers, dem Prinzip Hoffnung Reverenz zu erweisen.

Decker zelebriert keinen Generalangriff auf die verdorbene Götter- und Menschenbande, sondern zeigt, daß auch ohne ideologische Vorbehalte ein "Ring" von heute auf die Bühne gebracht werden kann, der seine ästhetischen Qualitäten besitzt, natürlich auch seine musikalischen.

So wird der "Ring"-Kenner kaum bestreiten können, daß der Dresdner "Ring" geschlossener ist als etliche andere - und daß er ein gleichermaßen theatralisches wie musikalisches Vergnügen ist.


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