© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/04 14. Mai 2004

Die Arroganz der Macht
Vom Befreier zum Folterknecht: Amerikas Soldaten im Irak stehen am Weltpranger
Peter Lattas

Eine Socke kann ein Folterinstrument sein. Mit Sand gefüllt und rhythmisch gegen die immer gleiche Stelle am Kopf eines Delinquenten geschlagen, treibt sie den Gefangenen in kürzester Zeit entweder zum Geständnis oder in den Wahnsinn. Französische Legionäre, die in den Umerziehungslagern Indochinas Bekanntschaft mit den Foltertechniken der Vietminh gemacht hatten, haben die dort erfahrenen Grausamkeiten später im Algerienkrieg selbst angewandt. Bilder haben sie davon freilich keine gemacht.

Sauber bleiben in einem schmutzigen Krieg - das ist eine Herausforderung, vor der die US-Armee nicht allein in der neueren Militärgeschichte steht. Und sie ist auch nicht die erste, der das nicht gelingt. Wohl keiner Armee der westlichen Welt aber sind die eigenen Verstrickungen in einem üblen Partisanenkrieg so komplett zum moralischen und PR-Desaster geraten wie den US-Besatzungstruppen im Irak.

Folter gehört zum Schlimmsten, was Menschen einander antun können. Die Decke der Zivilisation, die den Erfindungsreichtum der menschlichen Grausamkeit im Zaume hält, ist dünn. Ganz Deutschland fragte sich, ob Frankfurts Polizeipräsident Wolfgang Daschner im Recht war, als er dem Entführer des Bankierssohns Jakob von Metzeler mit Folter drohte, um möglicherweise doch noch das Leben des Kindes zu retten. Die Antwort fiel keineswegs eindeutig aus.

Um so eindeutiger urteilt der jüdische Militärhistoriker Michael Wolffsohn: Als Notwehrmaßnahme gegen Terroristen sei Folter legitim - "wenn wir mit Gentleman-Methoden den Terrorismus bekämpfen wollen, werden wir scheitern". Er sagt damit nichts Neues, sondern gibt lediglich wieder, was seit Jahren allgemein bekannte und international verurteilte Praxis der israelischen Armee in den besetzten Palästinensergebieten ist.

Die amerikanischen und britischen Folterknechte in den Militärgefängnissen des Irak haben sich auf den ersten Blick nicht grundsätzlich anders verhalten als Angehörige anderer Armeen in vergleichbaren Situationen. Die Mißhandlungen irakischer Gefangener waren, soweit wir heute wissen, nicht Einzeltaten unterbelichteter und gelangweilter Berufssoldaten oder Reservisten, sondern der von höherer Stelle gebilligte Versuch, angesichts des wachsenden Widerstands, zuwenig eigener Kräfte und des Fehlens einer wirksamen Feindaufklärung schnell Informationen über das Netzwerk der Partisanen zu bekommen. Die Rechnung hätte freilich nur aufgehen können, wenn kein Außenstehender davon erfahren hätte. Eine unrealistische Annahme, auch wenn Washington und London trotz sich häufender Berichte bis zuletzt hofften, den öffentlichen Skandal vermeiden zu können.

"Amerikaner tun so etwas nicht", beteuerte Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in dem Versuch, zu retten, was zu retten ist. Irrtum: Krieg ist Ausnahmezustand. Jede Armee der Welt kann in einen Krieg und damit in Extremsituationen geraten, in denen ihre Angehörigen grausame oder gar völkerrechtswidrige Handlungen begehen. In diesem Punkt unterscheidet sich der Wehrmachtsoldat auf Kreta oder in den Schluchten des Balkan nicht vom französischen Legionär in der Kasbah von Algier oder eben vom GI in Bagdad oder Falludscha. Der "private" Kontrakt-Kämpfer macht keine prinzipielle Ausnahme - er ist nur noch schwerer zu kontrollieren.

Der Unterschied liegt in der Arroganz und Realitätsblindheit bis hinauf in die höchsten Ränge. Die Vorgesetzten kümmerte offensichtlich nicht, was die Militärpolizisten, Geheimdienstler und privaten Sicherheitskräfte, die als Folterknechte auftraten, bei den Verhören mit den Delinquenten anstellten und welche Folgen das für die politische Strategie des Feldzugs haben könnte. Gleichgültig, ob die Anweisungen aus latentem Rassismus oder kriegsbedingter Verrohung ergingen; unerheblich, ob die Folterer ihre Anregungen aus dem Folter-Resistenz-Training der Army oder aus Pornoschund bezogen haben: Heraus kam eine Sado-Maso-Orgie, bei der die Gefangenen in ihrem Stolz als Araber aufs äußerste gedemütigt wurden.

Der nackte Mann, der von der Soldatin Lynndie England wie ein Hund - für Araber das unreinste Tier nach dem Schwein - an der Leine gehalten wird, dürfte zum Symbol werden: Eine Frau erniedrigt einen Mann, eine Christin einen Muslim, eine Fremde einen Einheimischen - schlimmer geht's nimmer. Solche Bilder erzeugen nicht Furcht und Einschüchterung, sondern schüren unversöhnlichen Haß. Sie kosten nicht nur den Rückhalt der Heimatfront, sondern machen vor allem das Kriegsziel, Zustimmung zum Systemwechsel und zu einem amerikafreundlichen Regime zu wecken, zur Makulatur. Wenn es eine Parallele zwischen Vietnam und George W. Bushs Irak-Abenteuer gibt, dann dieses doppelte PR-Desaster. Nach der Veröffentlichung der Folterbilder kann es für keinen Araber im Irak mehr den guten Onkel Sam geben, sondern nur noch die harte und böse Besatzungsmacht. Die Logik des Krieges hat die politische Utopie zerstört.

In einer Demokratie, auch wenn sie das mächtigste Land der Welt ist, mutet so ein Krieg der zivilen Öffentlichkeit mehr zu, als sie ertragen kann. Amerika muß vom hohen Roß steigen: Auch seine Soldaten können gemeine Kriegsverbrecher sein. Internationale Strafgerichte sind nicht nur für "die anderen" da. Rechtliche Mindeststandards dürfen nicht einfach willkürlich und partiell außer Kraft gesetzt werden.

Foto: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: Die US-Armee weckt kein Vertrauen, sondern provoziert Haß


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