© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/04 14. Mai 2004

Die Langsamkeit ist unsere Stärke
Namibia: Eines der Paradiese Afrikas steht wegen Kraftwerksbau vor der Zerstörung / Uno-Umweltbehörde sieht tatenlos zu
Karsten Jung

Der Okavango entspringt in den Bergen im Westen Angolas und verläuft sich in einem Seen- und Sumpfgebiet im Norden Botswanas, dem Okavango-Delta. Durch starke Regenfälle im Sommerhalbjahr führt der ansonsten langsame Fluß mit einem Gefälle von nur 60 Metern auf 450 Kilometer Länge große Wassermengen bis in den Juli hinein in das Delta, wo er sich auf einem Gebiet von 16.000 Quadratkilometern verläuft - das entspricht etwa einem Prozent des gesamten afrikanischen Kontinents.

In der Halbwüste der Kalahari hat sich durch den Okavango ein noch immer wenig berührter Lebensraum für Tiere und Pflanzen entwickelt, wie es nur noch wenige in Afrika gibt. An den zahlreichen Wasserstellen tummeln sich Elefanten, Büffel, Antilopen, Giraffen, Tausende von Vögeln und zahlreiche Raubkatzen.

Seit Jahrhunderten hat sich die Natur auf den Wechsel zwischen Trockenzeiten und Regenperioden eingerichtet und ein verletzliches Ökosystem aufgebaut. Der Okavango bringt in der Regenzeit nicht nur das lebensnotwendige Wasser, sondern überflutet das Land auch mit den dringend benötigten Mineralien, ohne die das Leben in der Kalahari-Wüste nicht gedeihen könnte.

In durchschnittlichen Jahren bringt der Okavango zehn Kubikkilometer Wasser - ungefähr das Dreifache des Jahresverbrauchs sämtlicher deutscher Privathaushalte - und 600.000 Tonnen Mineralien und Sedimente mit sich, in sehr regnerischen Jahren kann es durchaus mehr sein. So in diesem Jahr: Mit Pegelständen von knapp acht Metern erreichte der Okavango bei Mukwe im März einen Rekordstand, der der Tierwelt zugute kommen wird. In der Trockenzeit profitieren Tiere von der Überflutung und den dadurch entstandenen blühenden Landschaften.

Wie lange noch? Das Ökosystem Okavango ist in Gefahr, denn knapp 50 Kilometer seiner Gesamtlänge fließen durch den Caprivi-Zipfel im Nordosten Namibias. Der Caprivi-Zipfel, der 1890 durch Reichskanzler Graf Caprivi für die deutsche Schutzmacht in Südwestafrika erworben wurde, bildet heute einen 400 Kilometer langen, aber nur knapp 40 Kilometer breiten Streifen, der sich zwischen Botswana im Süden und Sambia und Angola im Norden schiebt.

Die namibische Regierung hat sich bereits vor einiger Zeit eine Idee in den Kopf gesetzt, die 1969 schon einmal zur Diskussion stand und deren Umsetzung nun unmittelbar ansteht. Damals erwog die südafrikanische Apartheids-Regierung - Südwestafrika stand unter südafrikanischer Verwaltung -, an den Popa-Wasserfällen im Caprivi-Zipfel einen Staudamm zu errichten, um Strom für das strukturschwache Gebiet zu erzeugen. Da man 1969 nach Prüfung des Vorhabens erkannte, daß die Menge des zu gewinnenden Stroms in keiner Relation zu den dadurch entstehenden Schäden steht, wurde das Projekt schnell wieder fallengelassen.

Die Situation hat sich nunmehr geändert: Die namibische Swapo-Regierung unter Sam Nujoma hat die alten Pläne zum Bau des Epupa-Damms erneuert und rechnet mit der Umsetzung ab 2005. Das zu bauende Kraftwerk soll eine Leistung von 200 Megawatt haben - eine eher geringe Ausbeute, bringt doch ein Atomkraftwerk eine Leistung von bis zu 1.300 Megawatt.

Nichtsdestotrotz scheint Namibia an seinen Plänen festhalten zu wollen. Der geplante Staudamm soll in Relation zu dem geringen Energieertrag riesige Ausmaße haben. Die Staumauer soll 163 Meter hoch werden, der See eine Fläche von 380 Quadratkilometer bedecken.

Die Größe des Sees schafft das Problem, das dem Paradies Okavango-Delta zum Verhängnis werden könnte: Der Okavango würde zu einem träge und vor allem das ganze Jahr gleichmäßig fließenden Strom werden. Die für das umliegende Ökosystem so wertvolle Überschwemmung bliebe aus.

Damit nicht genug: Ein von dem namibischen Energieminister Nickey Iyambo in Auftrag gegebenes Gutachten rechnet damit, daß der Großteil der Mineralien und Sedimente fortan an dem Staudamm hängenbleiben wird. Die Folgen für das Delta sind kaum absehbar - eine ökologische Katastrophe ist vorprogrammiert.

Wen kümmert's? Nickey Iyambo nicht. Im Gutachten seines Ministeriums wird lediglich die Frage diskutiert, inwieweit die Sedimentmengen, die sich im Stausee ansammeln, zu einer Beeinträchtigung des Kraftwerkbetriebes führen werden.

In einem eigens erstellten Umwelt-Gutachten wird hervorgehoben, daß der Damm die im Caprivi-Zipfel lebenden Tiere nicht beeinträchtigen werde. Man rechne sogar damit, daß der See zu einem Zentrum für den lokalen Fischfang werden könnte. Außerdem entstünden während der Bauzeit bis zu 500 neue Arbeitsplätze, die das Gebiet wirtschaftlich entlasten könnten. Kein Wort über die Folgen für das Okavango-Delta.

Die Nachbarländer Botswana und Angola kümmert's auch nicht. Botswana wurde mit der Zusicherung einer Energielieferung abgespeist. Und das bitterarme Angola wartet nur auf die Legitimation, den Okavango bereits auf seinem Gebiet aufzustauen.

Die Uno-Umweltorganisation UNEP mit Sitz in Nairobi schweigt. Die ökologische Integrität des Okavango-Deltas scheint auch dort niemanden zu kümmern. In einem Fernsehinterview äußerte der Behördenleiter, der deutsche Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU), daß die langsame Arbeitsweise seiner Behörde in seinen Augen eine besondere Stärke sei. Daß der Umwelt mit solchen Tugenden gedient ist, kann bezweifelt werden.

Auch in einer anderen Richtung hat der Bau des Epupa-Damms bemerkenswerte Konsequenzen. Das Land um den Okavango herum ist keineswegs unbewohnt. Dort lebt das halbnomadische Volk der Himba. 110 Kleinstsiedlungen des seßhaften Teils der Bevölkerung würden überflutet, hinzu kommt die Überflutung von Weideland für über 5.000 Menschen.

Ingesamt wären etwa 10.000 Himba ihrer Lebensgrundlage beraubt. Die eher primitiven und daher wehrlosen Himba würden allerdings nicht nur ihr Weideland und ihre Jagdgründe verlieren. Der Stausee würde rund 160 Gräber überschwemmen. Für die Himba, die Naturreligionen anhängen, sind Gräber nicht allein Orte, um Leichen zu bestatten, sondern vielmehr soziale Identifikationspunkte und Zentren für religiöse Rituale.

Ein beträchtlicher Teil der Himba-Kultur würde verloren gehen, wenn das Projekt verwirklicht würde. Daß ausgerechnet unter der Ägide des Präsidenten Nujoma, der sein eigenes Versagen in immer neuen Reden mit der angeblichen Ausbeutung aus der Kolonialzeit erklärt, nun auch ein schwarzes Volk essentiell bedroht wird, macht die Situation besonders pikant.


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