© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/04 21. Mai 2004

Deutsche Irrwege
Bildung und Forschung brauchen vor allem Freiheit - und dann erst mehr Geld
Bernd-Thomas Ramb

Erst die Bildungspolitik, jetzt die Forschungspolitik - die Bundesregierung hat neue Lieblingsthemen entdeckt. Mit der Forderung nach Eliteuniversitäten, der Förderung von Ganztagsschulen und flächendeckender Kindergartenversorgung will sie der Schmach der Pisa-Studie von 2001 begegnen, die deutschen Schülern ein Bildungsniveau auf der Stufe armer Entwicklungsländer bescheinigte. Die Forschungsförderung soll Deutschland wieder an die verlorengegangene Weltspitzenposition hieven, nicht aus Gründen chauvinistischen Nationalstolzes, sondern wegen der deutschen Wirtschaftspatente, die für Wachstum und Wohlstand sorgen sollen.

Das alles kostet nach Meinung der Regierung Geld, viel Geld und mehr, als die Konsolidierung des Staatshaushaltes zuläßt. Also lautet die Devise, höhere Neuverschuldung oder neue Steuerquellen, beides wegen des guten Zweckes staatsmoralisch scheinbar selbstverständlich gerechtfertigt. Nicht unbedeutend nimmt die Bundesregierung damit auch die Bundesländer in moralische Haftung, da diese mit ihrer Kulturhoheit die eigentliche Bildungsverantwortung besitzen. Da wird parteipolitische Opposition gegen die honorig anmutenden Vorhaben noch schwieriger.

Neue Steuern zum Zwecke staatlicher Wohltaten erheben zu wollen, erinnert stark an die Einführung der Sektsteuer, mit der vor hundert Jahren der deutsche Kaiser den Bau seiner Kriegsflotte finanzieren wollte. Die Flotte wurde rasch versenkt, die Sektsteuer besteht immer noch. Schon die Formulierung "Steuer für" kennzeichnet den Inhalt einer Mogelpackung. Steuern sind keine zweckgebundenen Abgaben. Keiner kann diese oder nachfolgende Regierungen verklagen, wenn die "Bildungssteuereinnahmen" später für andere Vorhaben verwendet werden.

Angreifbar ist auch die Finanzierung mit einer höheren Neuverschuldung. Der Staatshaushalt muß dem Gebot der politisch gewerteten Verteilung knapper Mittel gehorchen. Wenn die Bundesregierung über Nacht ihre Vorliebe für Bildung und Forschung entdeckt, muß sie gleichzeitig offenlegen, welche Ressorts dafür gekürzt werden. Die Europäische Union, die ebenfalls eine Aufstockung der Forschungs- und Bildungsausgaben anstrebt, hat zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Zielsetzung keinesfalls als Freibrief zur höheren Neuverschuldung mißverstanden oder gar dazu mißbraucht werden darf, den Stabilitätspakt in Frage zu stellen.

Das Gegenargument, diese Ausgaben seien als Investitionen in die Zukunft zu verstehen, gilt nur bedingt. Finanziert durch Neuverschuldung haben Investitionen allein aus konjunkturpolitischer Sicht einen gewissen Sinn. Bildung und Forschung lassen sich jedoch nicht unter konjunkturellen Gesichtspunkten fassen. Beide sind langfristig angelegt und allenfalls unter Wachstumsaspekten zu beurteilen. Bildung und Forschung eignen sich weder als Mode- oder Tagesthemen noch als Konjunkturmotoren.

Die Kritik an den Finanzierungsmodellen darf allerdings die schwerwiegenden grundsätzlichen Beanstandungen der deutschen Bildungs- und Forschungspolitik nicht überdecken. Wieviel sich jeder einzelne an welcher Bildung aneignet, hängt nicht allein von finanziellen Zuwendungen des Staates ab, und auch nicht von seinem privaten Geldbeutel. Mehr als Geld entscheidet dies das "Humankapital", das sowohl das "Vermögen" des Schülers oder Studenten umfaßt, Bildungsinhalte aufzunehmen, als auch die Fähigkeit des Lehrers oder Professors, Bildungsinhalte zu vermitteln. Auf beiden Seiten sind diese Qualitäten nicht individuell frei erwerbbar, sondern stark von staatlichen Einflüssen beeinträchtigt.

Basis des Gesamtsystems ist das Lernvermögen der Kinder, das wesentlich durch das Funktionieren des Elternhauses geprägt ist. In Deutschland wird diese Bildungsgrundlage durch die fortschreitende Zerschlagung der Familienstruktur nahezu systematisch zerstört. Die Folge sind "lernbehinderte" Schüler, deren "Unerzogenheit" die Lehrer schon in der Grundschule belastet. An die Stelle der Familie als Bildungsbasis setzt die Regierung verstärkt auf eine umfassende (Kinderkrippen und Ganztagsschule) und einheitliche (Gesamtschulen mit möglichst hohem Gymnasiastenanteil und Deklassierung der klassischen Hauptschule) staatliche Bildungsindustrie. Sie produziert damit zwangsläufig ein tendenziell sinkendes Bildungsmittelmaß, das zeitverzögert an den Universitäten durchschlägt.

Ein zweiter Kritikbereich ist die Auswahl der Bildungsinhalte. Auch diese sind zwar grundsätzlich von der persönlichen Entscheidung des Einzelnen abhängig, aber auch zunehmend davon beeinflußt, welche Inhalte durch staatliche Einrichtungen vermittelt werden, welche durch private vermittelt werden dürfen und welche Bildungsinhalte durch staatliche Intervention unterdrückt werden. Das Mittelmaß des Bildungsvermögens und das Siechtum der Bildungsinhalte beeinflussen sich dabei nicht nur gegenseitig, sie erfahren zudem unter der umfassenden staatlichen Kontrolle einen ideologischen Filter der Inhalte.

Die derartig indoktrinierte Bildung wirkt sich unmittelbar auf die Forschungsleistung aus. Naturwissenschaftliche Forschung kann sich im Wandel der ideologischen Wertungen nicht auf längere Zeiträume konzentrieren (z.B. Atomphysik), geisteswissenschaftliche Forscher unterliegen Denkverboten, wie der jüngste Fall des Historikers Wolffsohn zeigt. Als "Freiraum" verbleibt die Förderung des Trivialen, das dann von Professoren zum prüfungsrelevanten Stoff oder gar zum neuen Studiengang erklärt wird. Der Teufelskreis schließt sich, wenn sie auf Studenten treffen, die blind folgen und rein "prüfungsrelevant" studieren, ohne sich für - möglicherweise "verbotene" - Randinhalte zu interessieren. Daß damit deutsche Forschungsleistung keine internationale Beachtung mehr findet, kann nicht verwundern.

Die deutschen Irrwege und Verfehlungen beim Thema Bildung und Forschung offenbaren ein fundamentales Versagen. Dabei soll der Staat für eine Grundlage sorgen, die die Chancen auf reiche Erträge eröffnet. Statt dessen erdulden die Deutschen seit Jahren und mit wenig Aussicht auf eine Trendwende das Gegenteil: das staatlich propagierte Primat der Bildungsegalisierung auf dem sinkenden Niveau des Mittelmaßes, die verbissene Verordnung der Verlogenheit zum politisch korrekten Verhaltenskodex mit gleichzeitiger Kriminalisierung der Gedankenfreiheit und die intellektuelle Knechtschaft durch Gesinnungsschnüffelei und Meinungsterror. So kann weder Bildung noch Forschung gedeihen, fließt auch noch so viel Geld.


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