© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de
22/04 21. Mai 2004
Nachrufe auf Carl Gustaf Ströhm (I) Heldenkampf In unseren Tagen ist Prinzipien treue und Charakterstärke häufig Mangelware. Leider gilt dies auch nur zu oft für unsere Medienlandschaft. Wer sich hier einsetzen will, bleibt oft allein. Ein solcher tapferer Einzelgänger war Carl Gustaf Ströhm. Aus dem Baltikum stammend hatte er seit früher Jugend Heimatverlust und Freiheitsberaubung erlebt. Das hat ihn zum Kämpfer für unterdrückte Völker und für den heimatlichen Boden gemacht. Diesem Ideal diente er als weit bekannter und gerne gelesener Publizist. Sein letzter großer Einsatz fern der baltischen Heimat galt dem kroatischen Volk, dessen Heldenkampf gegen die serbische Übermacht er mit dem Talent seiner Feder unterstützte. So kämpfte er bis zum Erfolg der Freiheit, zu dem er viel beigetragen hat. Wer Charakter, Mut und Geradlinigkeit schätzt, wird, auch wenn er nicht in allem mit ihm einer Meinung war, dem Schriftsteller, Patrioten und Idealisten Carl Gustaf Ströhm ein dankbares Andenken bewahren. Otto von Habsburg Dr. Otto von Habsburg ist Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl I. und seit 1972 Präsident der Paneuropa-Union. Bis 1999 war er CSU-Europaabgeordneter.
Weggefährte Carl Gustaf Ströhm war Patriot und Europäer im feinsten Sinne, eine Säule für Axel Springers Welt in der großen, kämpferischen Zeit von 1970 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Der Schüler Theodor Eschenburgs gehörte zu den wenigen einflußreichen deutschen Intellektuellen, die mit begründeten Argumenten den Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer kommunistischen Satrapie voraussahen - früh und unbeirrbar. Die baltisch-russische Herkunft seiner Familie, umfassende Kenntnis der ost-südosteuropäischen Sprachwelt und des russischen Geistes stützten sein Urteil, dem er überlegen Ausdruck verlieh. Ströhm kam zur Welt, als die Regierung Brandt 1970 aus Gründen der Entspannung das Osteuropa-Programm der Deutschen Welle einzuengen begann. Der Polen-Besuch des Papstes und die Gründung der Solidarnocs setzten einen wuchtigen Akzent. Unter der Kohl-Regierung wies die Chefredaktion das Ansinnen eines Staatssekretärs des Genscher-Ministeriums zurück, Ströhms journalistische Aktivitäten in der Tschechoslowakei (es ging um die Mitreise bei einem Minister-Besuch) "zurückzunehmen". Einflußreiche Journalisten kollidieren mit dem Zeitgeist und seiner jeweiligen Definition der Meinungsfreiheit. Dieses empfindliche Gut hat Carl-Gustaf Ströhm souverän repräsentiert. Herbert Kremp Dr. Herbert Kremp war Chefredakteur (1969-1977; 1981-1985) und Mitherausgeber (bis 1987) der Tageszeitung "Die Welt".
Verlust Die Scheuklappen-Sichtweise der po-litischen Korrektheit bringt es mit sich, daß auch im sogenannten "Qualitätsjournalismus" oft fleißig an den wahren Hintergründen politischer Entwicklungen vorbeianalysiert wird. Solche Scheuklappen hat sich Carl Gustaf Ströhm nie anlegen lassen, sondern munter und mutig seinen Zeitgenossen manche unangenehmen Wahrheiten ins Bewußtsein gerufen. Besonders befähigte ihn dazu sein umfassendes historisches Wissen und aus diesem Grund waren neben seinen Artikeln und Vorträgen auch jedes Treffen und jedes persönliche Gespräch mit ihm ein Gewinn. Die Lücke, die er hinterläßt - gerade in Wien - ist groß. Wolfgang Dvorak-Stocker Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker ist Inhaber und Geschäftsführer des Leopold Stocker Verlages in Graz.
Fürsprecher kleiner Völker Der langjährige Balkan-Spezialist bedeutender deutscher Zeitungen und Rundfunksender (Christ und Welt, Deutsche Welle, Die Welt, JUNGE FREIHEIT) stammte nicht aus dieser Region, sondern aus dem Baltikum, genauer aus Estland. Beide Teile Europas haben jedoch manches gemeinsam: eine nationale Gemengelage zahlreicher kleiner und größerer Nationen mit allen daraus resultierenden Spannungen; dazu das Schicksal, nach 1945 völlig oder jedenfalls weitgehend unter kommunistischen Einfluß geraten zu sein. So nimmt es nicht wunder, daß Carl Gustaf Ströhm zeit seines Lebens auch die Entwicklung in den baltischen Staaten im Auge behielt und mit Anteilnahme verfolgte. Nicht nur die Leser der JUNGEN FREIHEIT haben von diesem Engagement profitiert. Für die baltischen Völker, die Esten, Letten und Litauer, war Ströhm in der Zeit der sowjetischen Okkupation einer der wenigen Fürsprecher, die im Westen die Erinnerung an das Unrecht wach hielten, das diesen Völkern nach dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 zugefügt wurde. Dabei verkannte er nie die alles überragende Bedeutung Rußlands beziehungsweise der Sowjetunion für die Entwicklung in Ost- und Südost-Europa. Auch die innenpolitischen Verhältnisse Rußlands waren Gegenstand seines publizistischen Interesses. So betrauern wir jetzt einen großen Journalisten mit umfassender Bildung, Sachverstand, Engagement und dem Mut, sich vom Zeitgeist bei der Urteilsbildung nicht irritieren zu lassen. Detlef Kühn Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.
Frontberichte Wir sind uns zum ersten Mal in den Seminaren der Geschichte und Osteuropa-Geschichte bei Hans Rothfels und Werner Markert 1950 in Tübingen begegnet. Carl Gustaf Ströhm war da schon Assistent des legendären Sowjetrußland-Kenners Klaus Mehnert. Ströhm kam aus dem Baltikum, hatte eine russische Mutter und sprach Russisch. Das alles prädestinierte ihn für seinen späteren journalistischen Beruf. Ich erinnere mich gut, daß er im Oktober/November 1956 zufällig in den ungarischen Aufstand gegen die sowjetische Besetzung hineingeriet und unserem Tübinger Kreis, zu dem damals auch Theo Sommer, der spätere Chefredakteur und Herausgeber der Zeit, gehörte, am Telefon seine Frontberichte aus Budapest übermittelte. Später kamen bunte Kartengrüße aus Ägypten, Kambodscha, China. Carl Gustaf Ströhm trieb eine leidenschaftliche Neugier an dieser vielfältigen und konfliktreichen Welt. Seine Analysen der Probleme, besonders denen Osteuropas, waren messerscharf auf dem Hintergrund eines reichen historisch-politischen Wissens. Die Ablehnung des Sowjetsystems (schon seine Dissertation hatte den Anfängen der Roten Armee unter Trotzki 1917 gegolten) gehörte zu dem geistigen Zement, der uns verband. Als dann 1990 in Osteuropa die Freiheitsglocke schlug, war das ein Höhepunkt unseres Lebens. Carl Gustaf Ströhm wurde zu einem Berater der ersten Präsidenten der Freiheit dort, Franjo Tudjmans in Kroatien und Lennart Meris in Estland. Daß Carl Gustaf Ströhm nun so unerwartet aus seinem gewohnt intensiven Leben und Schaffen herausgerissen wurde, erfüllt mich mit einem anhaltenden Schmerz. Ich rufe ihm über diese letzte Grenze, die er nun überschritt, die tröstenden Worte Ludwig Uhlands vom "Guten Kameraden" zu. Klaus Hornung Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politische Wissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim. |