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22/04 21. Mai 2004
Gegen Kampagnen und Vorurteile Kommen wir zur deutschen Publizistik. Sie sind nicht nur ein Kenner des Ostens und Freund der kleinen europäischen Nationen, sondern sehen sich explizit als konservativen Publizisten. Sie haben Ihre eigene Erfahrung gemacht mit der deutschen Medien- und Presselandschaft. Sind Sie verbittert über die Entwicklung der Presse in Deutschland? Ströhm: Ich bin eher besorgt, weil es im heutigen Deutschland keine einzige konservative Tageszeitung mehr gibt. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist in letzter Zeit deutlich nach links gerutscht - bis hinein in die Terminologie. Sie haben ja neulich eine große Abrechnung mit der Osteuropa-Berichterstattung der "FAZ" veröffentlicht. Ströhm: Ich habe einige kritische Bemerkungen anhand von konkreten Beispielen gemacht. Was mich erschüttert, ist die Tatsache, daß auch in der FAZ bereits ideologische, linksliberale Vorgaben akzeptiert werde. Die FAZ hat mit dem Abgang von Johann Georg Reißmüller offenbar ihren Kompaß mit Blick auf Ostmitteleuropa und Südosteuropa verloren. Das ist sehr schade. Was nun die Welt betrifft, jene Zeitung, für die ich länger als ein Vierteljahrhundert in Osteuropa tätig war, so muß ich zu meinem Bedauern sagen, daß sie sich gewissermaßen selber an den Rand manövriert hat. Sie war einmal in den besten Zeiten - unter der Chefredaktion von Herbert Kremp - eine lesenswerte Zeitung mit klarer Linie. Damals schrieben dort der leider viel zu früh verstorbene Enno von Loewenstern oder der langjährige Kulturchef Günter Zehm, der wie einige andere konservative Redaktionsmitglieder regelrecht vergrault wurde. Heute ist er ein glänzender Universitätsprofessor der Philosophie an der Uni Jena und als "Pankraz" eine Zierde der JUNGEN FREIHEIT. Aber wie konnte das Haus Springer einen Mann solchen Kalibers sang- und klanglos gehen lassen? Ist das nicht ein Zeichen dafür, daß journalistisches Profil und Persönlichkeit heutzutage gar nicht mehr gefragt sind und daß man statt dessen stromlinienförmige oder auch gesichtslose - und in gewisser Weise namenlose - Pressefunktionäre vorzieht? Nicht zu vergessen, daß in der "Welt" wenige Monate vor dem Sturz des Kommunismus und dem Fall der Mauer die von Axel Springer eingeführten Anführungszeichen - die berühmten "Tüttelchen", ohne die die Bezeichnung "DDR" in keiner Springer-Zeitung erscheinen durfte - abgeschafft wurden. Dazu las man dann verlegen-peinliche Kommentare, wonach es jetzt gelte, die "alten Zöpfe" abzuschneiden. Nun, man hat sich dabei ins eigene Fleisch geschnitten - nur um Honecker zu gefallen, der sonst keinen Springer-Korrespondenten in Ost-Berlin zulassen wollte. Das war ein typisches Beispiel dafür, wie man Ereignissen hinterherläuft, statt sie zu gestalten. Was hat sich durch Springers Tod 1985 geändert? Ströhm: Es ist tragisch, daß der alte Springer den Tag des Falles der Mauer nicht erlebt hat - er, den man wegen seines Glaubens an die Wiedervereinigung verlacht hat. Leider wurde mit seinem Tod die Springer-Linie verwässert. Es kam ironischerweise zu einer Anpassung und Anhimmelung der bereits kurz vor ihrem Sturz stehenden kommunistischen Diktatoren. Der bulgarische KP-Chef Todor Schiwkow, ein Mann, an dessen Händen das Blut der Ermordeten bis zu den Ellenbogen klebte, erhielt zwei ganze Seiten in einem Welt-Interview - mehr als ein Bundeskanzler. Damals, drei Jahre vor dem Umschwung, wurde mir mitgeteilt, ein kritischer Artikel aus meiner Feder über das Regime Ceausescus in Rumänien könne nicht veröffentlicht werden, weil die Welt ein Interview mit dem Diktator beantragt habe. Sie kritisieren, daß die Zeitungen heute unterschiedloser geworden sind? Ströhm: Chefredakteure großer Zeitungen waren einst hochgebildete Leute, Persönlichkeiten, die man sich ohne weiteres in einer Universität oder als Botschafter vorstellen konnte. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, daß es keine Zeit gab, da Staatsmänner und führende Presseleute oder Kommentatoren sich gleich zu gleich begegnet sind. Heute kann davon keine Rede sein! Die Meute wird auf Massen-Pressekonferenzen abgefertigt. Wo brauchen wir denn vor allem unterscheidbare Positionen? Ströhm: Man muß die Grundfragen wieder kontrovers diskutieren können - die Frage Deutschland und die EU, die Frage der eigenen Vergangenheit. Es genügt nicht, gewissermaßen Selbstgespräche zu führen. Wie kommt es, daß die nationalsozialistische Vergangenheit bis ins letzte bewältigt werden muß, die Vergangenheit unseres Außenministers Joschka Fischer aber ein Tabu ist, an das sich niemand heranwagt? Wenn es in Deutschland eine linksliberale, linke, linkssozialistische Position gibt - warum gibt es keine artikulierte Mitte-Rechts-Position, wie in anderen "normalen" Staaten? Was ist da passiert? Wenn es eine Linke gibt, muß es eine Rechte geben, sonst ist doch alles Reden über Demokratie sinnlos. Meine gute, liebe Welt, für die ich mir die Finger wund geschrieben und die Füße bis hin zu den Kriegsschauplätzen Bosniens und Slawoniens abgelaufen habe - sie hätte ein Katalysator einer demokratischen Mitte-Rechts-Position sein können. Aber diese Chance hat sie verpaßt und ist jetzt ein leider beliebiges Blatt. Sie ist nicht nur in ihrem geistigen Profil abgeflacht, sondern auch in ihrer Aussagekraft geschrumpft. Es fehlt an Biß und an Bildung, da helfen alle modischen Gags nur wenig. Wie charakterisieren Sie Ihr journalistisches Selbstverständnis? Liegt im Kern nicht etwas Aufklärerisches, das sich nicht zum verlängerten publizistischen Arm einer Partei degradieren läßt? Ströhm: Ich bin geprägt vom bürgerlichen Journalismus. Das hängt ein wenig mit dem deutschen Bildungsbürgertum zusammen, das doch sehr beachtliche Gestalten hervorgebracht hat. Einer von ihnen war der jüngst verstorbene Theodor Eschenburg, der mich in meinen Studentenjahren stark geprägt hat. Er war für mich die Verkörperung des nationalliberalen, hanseatischen Bürgertums - und da er aus der Hansestadt Lübeck stammte, ich aber in der Hansestadt Reval geboren wurde, die ja eine Tochter Lübecks war, gab es da so etwas wie gegenseitiges Verstehen. Bürgerlicher Journalismus bedeutet, daß man sich von Kampagnen und Vorurteilen freizuhalten sucht, daß man die Probleme analytisch präsentiert - in der Überzeugung, der Leser werde selber gewisse Schlußfolgerungen ziehen, wenn ihm die Fakten korrekt präsentiert werden. Ich habe meine Leser nie im Zweifel gelassen, auf wessen Seite meine Sympathien sind. Aber ich habe nie Fakten verbogen, um meine Sympathien zu rechtfertigen. Das hier in Auszügen abgedruckte Gespräch mit Carl Gustaf Ströhm ist vollständig in der JF 11/00 am 10. März 2000 erschienen. Der gesamte Text kann im Internet unter www.jungefreiheit.de gelesen werden. Foto: Carl Gustaf Ströhm mit dem Chef der Ökumenischen Kommission der Jugoslawischen Bischofskonferenz, Weihbischof Djuro Koksa von Zagreb (r.): Fakten nie verbogen, um Sympathien zu rechtfertigen |