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22/04 21. Mai 2004
Freispruch für ein liberales Imperium Der schottische Historiker Niall Ferguson hat sich mit einem Plädoyer für ein amerikanisches Imperium zurückgemeldet. Der Autor des Bestsellers "Der falsche Krieg" analysiert in "Das verleugnete Imperium" die amerikanische Geopolitik. Historiker - und seien sie noch so brillant - neigen dazu, die Gegenwart falsch zu interpretieren. So geht es auch Ferguson. Sein Buch strotzt von falschen Annahmen und daraus resultierenden Schlüssen. Kurz gesagt: Der Brite trauert wehmütig dem verflossenen Empire nach und wünscht sich ein neues US-Imperium als Substitut herbei. Zutreffend ist seine Analyse der Selbstverleugnung des US-Imperiums. Ferguson verweist auf Caesar, der sich "Imperator" nennen ließ, und Augustus, der als "Princeps" tituliert werden wollte. Beide verzichteten darauf, sich "Rex" nennen zu lassen, obwohl sie beide wie Könige herrschten. Genauso verhalte es sich, so Ferguson, auch mit dem amerikanischen Imperium. Die Amerikaner verleugnen, daß sie ein Imperium beherrschen. Dies ist natürlich nur ein informelles Imperium, das sich nicht durch direkte Herrschaft, sondern durch indirekte Einflußnahme auszeichnet. Der Vorteil besteht darin, daß der Hegemonialmacht dabei die Kosten eines Kolonialimperiums erspart bleiben. Alsdann schildert Ferguson einige Parallelen mit dem Attischen Seebund und dem britischen Kolonialreich. Eine der auffälligsten Analogien ist das irrationale Festhalten am Freihandel sowohl Großbritanniens wie auch der USA, obwohl dies die jeweils heimische Industrie schwächt. Den Irak-Konflikt vergleicht er mit dem Krieg auf den Philippinen. 1898 war die vormals spanische Inselgruppe zur ersten bedeutenden Kolonie der USA geworden. Auch hier gab es einen militärischen Anfangserfolg wie im Irak. Auch hier wurde die Bevölkerung falsch eingeschätzt. Die Heimat war desillusioniert. Als die wirtschaftlichen Bedingungen sich zudem verschlechterten, zogen sich die USA zurück. Dies befürchtet er auch für den Irak. Während des Krieges gegen die Filipinos, die einen Volksaufstand wagten, äußerte ein US-Brigadegeneral: "Ich erwarte von euch, daß ihr tötet und niederbrennt. Je mehr ihr tötet und niederbrennt, desto mehr Freude bereitet ihr mir. (...) Ich will, daß alle Personen getötet werden, die fähig sind, eine Waffe zu tragen." Trotzdem wünscht sich Ferguson genau dieses Imperium. Das US-Imperium basiert auf dem großartigen militärischen Vorsprung, den die USA haben. Ferner sind die USA reicher, als es Großbritannien jemals gewesen ist. Sie produzieren mehr als ein Viertel der Weltproduktion. Firmen wie Mobil, McDonald's, General Motors, Coca Cola, Microsoft und Time Warner dominieren die Weltmärkte. Beispielhaft schildert er die Expansion von McDonald's: 1967 eröffnete die Hamburgerkette die ersten Filialen in Puerto Rico. 1987 gab es 10.000 Filialen in 47 Ländern und Territorien. 1997 war McDonald's mit 23.000 Filialen in einhundert Ländern präsent - heute sind es mehr als 30.000. Ebenso wie Donald Rumsfeld bräuchte man beim Bulettenbrater also eine große Weltkarte, wenn man seine "Stützpunkte" in Augenschein nehmen möchte. Obwohl sich das Buch durch einen angenehmen selbstkritischen Humor auszeichnet, versteht es Ferguson aber auch, den Leser regelrecht vor den Kopf zu stoßen: "Im Gegensatz zu diesen (US-kritischen) Autoren stehe ich dem Imperium (der USA) positiv gegenüber." Oder die Feststellung, es gäbe "zu viele Nationalstaaten." Auch wie es um die "Demokratisierung" besetzter Länder bestellt ist, schildert Ferguson eindrucksvoll. So zitiert er einen Wortwechsel zwischen dem britischen Außenminister Edward Grey und dem US-Botschafter in London Walter Page. Darin sagte Page mit Blick auf Dritte-Welt-Länder wie Mexiko sinngemäß, die USA würden so oft und so lange dort einmarschieren, bis die Menschen dort lernten, anständige Politiker zu wählen. 1918/19 hätten die USA dann jedoch die "in Moskau auf die Welt gekommene Mißgeburt" unterschätzt, so Ferguson. Zu den richtigen Einschätzungen gehört auch die Feststellung, daß die US-Besatzung in Japan nur in einem einzigen Punkt erfolgreich gewesen sei, nämlich, daß die Japaner, "die eigene Niederlage lieben lernten". Die Lösung der wirtschaftlichen Probleme in Nachkriegs-Deutschland und Japan sei nicht aus reiner Großzügigkeit, sondern aus nüchternem Kalkül erfolgt. Ebenso sei die Eindämmungsstrategie des Kommunismus nicht wegen der Ablehnung desselben erfolgt, sondern weil die Amerikaner ihr eigenes Imperium schaffen wollten. Was den Nahost-Konflikt angeht, so vertritt Ferguson in etwa die Positionen seines Premierministers. Ganz schwach wird er bei dem Versuch, al-Qaida einzuordnen. Osama bin Ladens Terrortruppe nennt er "Islamo-Bolschewisten", gegen die er eine Strategie wünscht, die aus "polizeilicher Verfolgung und Überredung" besteht. Die wahre Zäsur sei - und hier hat der Autor zweifellos recht - nicht der "11. 9.", sondern der "9. 11.". Der Fall der Mauer und der Zusammenbruch der Sowjetunion habe den USA freie Hand gegeben. Sogleich erfolgten die Interventionen in Panama und Kuwait. Dabei unterschlägt er, daß der Westen Saddam Hussein zuvor massiv unterstützt und ihm wohl auch signalisiert hatte, daß er in Kuwait einmarschieren dürfe. Mit dem Hinweis, daß die Waffeninspektoren im Irak nicht geeignet gewesen seien, versucht er eine Debatte wiederzubeleben, die längst abschließend geklärt ist. Die deutsche Außenpolitik seit 1990 kritisiert er wegen der "vorzeitigen Anerkennung" Sloweniens und Kroatiens und implizit wegen der Nichtbeteiligung am Irak-Krieg George W. Bushs. Noch mehr Verachtung als für Gerhard Schröder bringt Ferguson für Jacques Chirac wegen der französischen Machtpolitik in Zentralafrika auf. Dazu paßt, daß er Tony Blairs Kriegspolitik als "brillant" charakterisiert. Ferguson rechtfertigt das ganze amerikanische Lügengebäude von Massenvernichtungswaffen. Im Irak müsse eine Demokratie aufgebaut werden, so Ferguson. Geradezu zynisch ist, daß er für die Armut der Iraker in den Jahren nach 1991 "Saddam Husseins Despotismus" verantwortlich macht. Dabei war es die von den USA geführte "Weltgemeinschaft", die das Land mit Sanktionen belegt hat, die immerhin 500.000 tote Kinder mitverursacht haben. Dann hantiert er mit fragwürdigen Meinungsumfragen, die angeblich belegen, daß die Amerikaner als Befreier begrüßt würden. Diese Behauptungen, die außer Ferguson wohl nur noch Condoleezza Rice und Donald Rumsfeld teilen, sind durch den Volksaufstand von Falludscha, die Rebellion der Schiiten und der US-Folterbilder aus dem Bagdader Gefängnis Abu Gharib längst überholt. Wer das Buch an dieser Stelle noch nicht beiseite gelegt hat, erfährt etwas über die volkswirtschaftlichen Aspekte des US-Imperialismus. Wirtschaftliche Zusammenhänge schildert Ferguson anschaulich. Seine Thesen über ein "liberales Imperium" sind indes grober Unfug. Zu den größten Fehlern gehört auch, daß er das Drehbuch der amerikanischen Weltbeherrschungsstrategie "Die einzige Weltmacht" unerwähnt läßt. Dessen Autor Zbigniew Brzezinski nennt er nicht einmal namentlich. Die unzähligen Opfer amerikanischer Eroberungskriege lassen Ferguson völlig kalt. Die einzige Parallele zu seinem Bestseller "Der falsche Krieg" ist, daß er in beiden Büchern ein Land von Schuld weitgehend freispricht: einmal Deutschland, einmal die USA. Foto: B-52 Bomber auf dem Anderson-Militärstützpunkt Guam, 1967: Lernen, anständige Politiker zu wählen Niall Ferguson: Das verleugnete Imperium. Propyläen Verlag, Berlin 2004, 447 Seiten, gebunden, 26 Euro |