© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/04 04. Juni 2004

Hans-Werner Sinn
Allein gegen alle
von Bernd-Thomas Ramb

Natürlich ist es sehr schwer, eine Politik gegen die Franzosen zu machen, aber das muß mal geschehen. Es kann nicht immer nur eine Politik zu Lasten der deutschen Unternehmen sein", ungewöhnliche Worte - Worte von Hans-Werner Sinn, Ordinarius für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Angst vor Political Correctness kennt er nicht, deshalb warnt er auch offen vor dem sozialstaatlichen Kollaps nach der Osterweiterung der EU: Erwerbssuchenden sei zwar der Zugang zum Westen versperrt, Erwerbslose aber hätten sofort Anspruch auf alle sozialen Leistungen.

"Ist Deutschland noch zu retten?" (2003) lautet der Titel seines jüngsten populärwissenschaftlich gehaltenen Buches. Die Rettungsvorschläge des 1948 im westfälischen Brake geborenen international renommierten Wirtschaftswissenschaftlers werden wahrscheinlich unerhört bleiben - aber er hat es wenigstens wieder einmal versucht.

Nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft erteilte Sinn schon einmal den Politikern wichtige Ratsschläge. "Kaltstart" hieß das Buch, das er 1991 zusammen mit seiner Frau Gesine zur Beschreibung der volkswirtschaftlichen Aspekte der deutschen Vereinigung veröffentlichte. Genutzt wurden die allgemeinverständlich formulierten Wirtschaftsratschläge kaum. Kohl und Co. wußten alles besser, machten alles anders und überließen die Folgen ihren Nachfolgern.

Sinn ist und bleibt ein Don Quichotte der Nationalökonomie. Wenn er sich damit auch kaum politische Freunde verschafft - über fehlende Anfeindungen kann er nicht klagen. Die Alleinstehenden etwa sind besonders sauer auf ihn, fordert der Vater von drei Kindern doch: "Nur wer mindestens drei Kinder großzieht und durchschnittliche Beiträge gezahlt hat, dem kann die Rente im bisher erwarteten Umfang erhalten bleiben." Allen anderen sei die Rente zu halbieren. Dem Familienmenschen Sinn wird deshalb ein "Feindbild Single" unterstellt. Überflüssig zu erwähnen, daß der Sozialreformer Sinn auch für die Gewerkschaften zu den eingeschworenen Feinden zählt.

"Wann kippt Deutschland um?" Unter dieser Überschrift prognostizierte Sinn - der seit 1999 dem Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung vorsteht - 2002 in der Institutszeitschrift Ifo-Schnelldienst, daß 2023 eine Rentenreform "in Richtung" eines Kapitaldeckungssystems aufgrund der Altersstruktur (Stichwort "Gerontokratie") nicht mehr politisch durchsetzbar sein wird. Der 56jährige hat gute Chancen, das Eintreffen seiner Prognose noch zu erleben. Doch die Richtigkeit seiner Vorhersage dürfte ihm dann jedoch kaum gedankt werden. Schließlich neigen die Menschen dazu, den Überbringer schlechter Nachrichten für deren Inhalt haftbar zu machen. Dabei ist Sinn beileibe nicht der einzige, der weiß, wohin die Reise geht, er ist nur der einzige, der es offen auszusprechen wagt.


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