© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/04 04. Juni 2004

Denkzettel
Viele neue EU-Abgeordnete passen nicht in Konzept
Jörg Fischer

Bis April diesen Jahres war die Welt der Straßburger EU-Par-lamentarier relativ übersichtlich: Drei große Fraktionen (Bürgerliche/PPE, Sozialisten/SPE und Liberale/ELDR) dominierten das Geschehen. Grüne und Kommunisten spielten eine untergeordnete Rolle. Die beiden kleinen regional- bzw. nationalorientierten EU-Fraktionen wurden meist nicht ernst genommen, obwohl etwa die italienische Alleanza Nazionale in Rom den Vizepremier stellt. Die rechtsorientierten Parteien FPÖ, der französische Front National und der belgische Vlaams Blok gehörten gar keiner Fraktion an, was deren Parlamentsarbeit nicht gerade erleichterte.

Nach dem 13. Juni dürfte der Straßburger Kosmos etwas bunter werden - nicht zuletzt dank der zehn neuen Mitgliedsstaaten. Ein mit dem EU-Parlament "kompatibles" Parteiensystem kann man lediglich Ungarn und der Tschechei attestieren. Die Magyaren dürften mit ihren 24 EU-Abgeordneten vor allem die PPE und SPE stärken, die 24 Tschechen überwiegend ELDR und Kommunisten. Polen, das mit 54 Abgeordneten mehr als doppelt so viele Parlamentarier wie die beiden zusammen entsendet, dürfte viel Wirbel hervorrufen: Die in Warschau regierende postkomministische Linksallianz (SLD) könnte angesichts von Korruption und Sozialabbau an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Die oppositionelle konservativ-liberale Bürgerplattform PO kommt als einzige EU-adäquate Partei laut Umfragen lediglich auf 25 Prozent. Die Mehrheit der polnischen EU-Delegation wird wohl von Parteien gestellt, die allein schon aufgrund ihres Auftretens als Links- bzw. Rechtsextremisten im bundesdeutschen Verfassungsschutzbericht Dauergäste wären. Allen voran die EU-kritische bäuerliche "Selbstverteidigung" (Samoobrona) von Andrzej Lepper, deren linkspopulistische Forderungen bei mindestens 18 Prozent der Wähler auf offene Ohren stoßen. Auch die national-katholische Liga der polnischen Familien (LPR), die vom christlich-konservativen Sender "Radio Marya" unterstützt wird, dürfte für die Straßburger Christdemokraten wohl untragbar sein.

Die polnische Rechtspartei PiS, die beispielsweise mit harten Forderungen in der Korruptions- und Kriminalitätsbekämpfung für Aufsehen sorgte, wird ebenfalls nur schwierig Anschluß bei einer der etablierten EU-Fraktionen finden. Auch ein Großteil der 14 Abgeordneten aus der Slowakei dürfte sich nur schwer integrieren lassen: Die oppositionelle linkspopulistische Partei Smer (Richtung) könnte mit 28 Prozent stärkste Kraft werden, die linksnationale HZDS von Ex-Premier Vladimír Meciar, in dessen Regierungszeit bis 1998 der EU-Beitritt der Slowakei auf Eis lag, kann mit 17 Prozent rechnen. Die vier christlich-liberalen Regierungsparteien müssen mit einem Denkzettel rechnen und werden wohl nur noch ein Drittel der Stimmen bekommen.

Auch im Baltikum herrschen ziemlich bunte Verhältnisse, wie das Beispiel Lettland zeigt: Hier ist zwar seit diesem Jahr mit Insuldis Emsis von der Union der Grünen und Landwirte (ZSS) ein vermeintlicher Parteigänger des deutschen Außenministers Joseph Fischer Regierungschef. Doch seine ZSS dürfte mit ihren für EU-Verhältnisse konservativen Ansichten kaum zur grünen EU-Fraktion passen - wenn sie überhaupt einen der neuen lettischen EU-Parlamentarier stellt. Mehr Beachtung könnten hingegen die Vertreter der russischen Minderheit aus den drei Balten-Republiken finden, die wohl nicht nur ihre russische Muttersprache in Straßburg pflegen werden.

Foto: Die Delegationen aus Slowenien mit sieben und Zypern mit je sechs sowie Malta mit fünf Parlamentariern werden wohl eher wenig Beachtung finden.


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