© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/04 18. Juni 2004

Zorn auf Brüssel
EU-Wahl Großbritannien: Die Anti-EU-Partei UKIP wurde drittstärkste Kraft / Tories und Labour müssen europapolitisch eine schärfere Gangart einschlagen
Derek Turner

Zwei Männer dominierten am Montagmorgen die Titelseiten britischer Zeitungen: Der französische Fußballnationalspieler Zinédine Zidane verkörperte die traumatische 2:1-Niederlage der englischen Nationalelf in ihrem ersten Spiel bei der Europameisterschaft in Portugal, der von der BBC geschaßte Talkshow-Moderator Robert Kilroy-Silk den Triumph der EU-Gegner bei den Europawahlen.

In einer kleinen Revolution konnte die United Kingdom Independence Party (UKIP), für die Kilroy-Silk angetreten war (JF 25/04), mit 16,8 Prozent der Wählerstimmen ihre Sitze im Straßburger Parlament von drei auf zwölf (von 78 britischen Mandaten) vervierfachen und die EU-begeisterten Liberaldemokraten (15 Prozent) überholen. Die Labour-Partei erzielte das schlechteste Wahlergebnis einer regierenden Partei seit 1918 (22,3 Prozent; 5,7 Prozent weniger als 1999). Auch die Tories, die ersten Analysen zufolge die meisten Stimmen an die UKIP abgeben mußten, erlitten mit 27,4 Prozent schwere Einbußen (10,2 Prozent gegenüber 1999). Gestiegen ist dafür die Wahlbeteiligung, die mit 38,3 Prozent (1999: 24 Prozent) so hoch lag wie noch nie zuvor bei einer Europawahl.

Die UKIP errang nicht nur Europa-Mandate in sämtlichen Regionen außer dem Nordosten Englands, bei den Londoner Bürgermeisterwahlen am selben Tag gelang es ihr auch erstmals, in die hauptstädtische Kommunalpolitik vorzustoßen. Zwar wurde der Amtsinhaber Ken Livingstone ("Red Ken") mit 53 Prozent bestätigt, der UKIP-Kandidat, Boxmanager Frank Maloney, kam aber immerhin auf sechs Prozent der Stimmen, und die Partei gewann zwei der 25 Sitze in der Greater London Assembly.

Analysten führen den Erfolg der UKIP auf verschiedene Faktoren zurück. Ihr half sowohl die armselige Vorstellung der konservativen Tories unter ihrem farblosen neuen Vorsitzenden Michael Howard als auch die Unterstützung von Prominenten wie Kilroy-Silk - der als Labour-Abgeordneter im Westminster-Parlament von 1974 bis 1985 sogar Politikerfahrung mitbringt - und der Schauspielerin Joan Collins sowie professionellen PR-Leuten wie Bill Clintons einstigem Berater Dick Morris. Die monatelange äußerst kritische Diskussion des EU-Verfassungsentwurfes und der Osterweiterung in den britischen Medien dürfte ebenso für Zulauf gesorgt haben wie die von der UKIP vertretene Politik der Einwanderungsbeschränkung. Ob auch die Einführung eines reinen Briefwahlverfahrens als Pilotprojekt in vier Regionen der UKIP genützt hat, muß noch analysiert werden.

Die Labour-Partei macht für ihr miserables Abschneiden - wohl nicht ganz zu Unrecht - den Irak-Krieg verantwortlich. Immerhin fuhr die Kriegsgegner-Koalition "Respect" des ehemaligen Labour-Abgeordneten George Galloway, die britische Muslime mit Trotzkisten unter einen Hut zu bringen suchte, 4,79 Prozent ein. Premierminister Tony Blair, der an diesem Donnerstag und Freitag auf dem Brüsseler Gipfel über die EU-Verfassung verhandeln muß, wird die deutlich zum Ausdruck gekommene Euroskepsis der britischen Wähler schwer im Magen liegen. Für das versprochene Referendum über die Annahme der EU-Verfassung verheißt sie jedenfalls nichts Gutes. Die Konservativen wiederum werden sich bemühen müssen, ihre zur UKIP übergelaufenen Anhänger zurückzugewinnen, indem sie europapolitisch eine schärfere Gangart einschlagen.

Allerdings hat die UKIP auch eigene Probleme. Die Ergebnisse der Europawahlen werden sich auf nationaler Ebene nicht unbedingt wiederholen lassen - wie die Kommunalwahlen zeigten, die zeitgleich mit den Europawahlen am vergangenen Donnerstag stattfanden -, zumal die UKIP als single-issue party wahrgenommen wird, als Partei mit einem einzigen Thema. Ihrer einfachen, erfolgreichen Botschaft weitere Programmpunkte hinzuzufügen, könnte diese Botschaft verwässern und die Partei Unterstützung kosten. Konkurrenz machen ihr vor allem Kleinparteien wie die rechte British National Party (BNP), die mit 5,16 Prozent ebenfalls ein ansehnliches Ergebnis erzielte, wenn sie auch keine Sitze im Europaparlament errang. Bei den Londoner Bürgermeisterwahlen brachte es ihr Kandidat Julian Leppert auf drei Prozent.

Offen bleibt auch, wie effektiv die UKIP in Brüssel bzw. Straßburg sein kann. Kontinentale Euroskeptiker wie Paul van Buitenens niederländische "Europa Transparent"-Partei oder der österreichische Spesenskandal-"Aufdecker" Hans Peter Martin zielen auf eine Reform der EU-Institutionen statt auf den Austritt ihres Landes aus der Union, so daß eine Zusammenarbeit allerfalls in begrenztem Maße möglich ist. Mit Gruppierungen wie dem flämisch-nationalen Vlaams Blok oder dem französischen Front National will die UKIP nichts zu tun haben. Die britischen Wähler mögen der EU noch so mißtrauisch gegenüberstehen, aber sie könnten des rein negativen Beitrags, den die UKIP dort ihrem Wesen nach leisten muß, bald überdrüssig sein.

Die beliebte Morgensendung "Kilroy!" wurde im Januar nach sechzehn Jahren aus dem Programm genommen, nachdem Kilroy-Silk, der stets eine rege, durchaus unterhaltsame Streitkultur pflegte, in seiner Kolumne im Boulevardblatt Sunday Express über "die Araber" geschrieben hatte: "Meinen sie etwa, ... wir bewundern sie dafür, daß sie Selbstmordattentäter, Gliedmaßen-Amputierer, Frauen-Unterdrücker sind?"

Doch wer etwa hoffte, ähnlich kernige Sprüche demnächst aus Straßburg zu vernehmen, muß sich womöglich gedulden: Der frischgebackene Abgeordnete des Europa-Parlaments für die Region East Midlands will an dessen Sitzungen nur teilnehmen, "wenn es unbedingt nötig ist". Ob dies zugleich einen Verzicht auf die ihm zustehenden Diäten, Spesen und Pensionsansprüche bedeutet, sagte er nicht, schwor jedoch, sein Mandat für einen "Verwüstungsfeldzug" gegen die Europäische Union zu nutzen.

Ob diese kleine Revolution anhaltende Auswirkungen haben wird, muß sich noch zeigen. Eins ist jetzt schon sicher: Keine der großen britischen Parteien wird es sich in Zukunft leisten können, die zornigen Euroskeptiker zu ignorieren.

 

Derek Turner ist Chefredakteur der britischen Zeitschrift "Right Now!".

Foto: EU-Gegner Robert Kilroy-Silk im Wahlkampf: Grandioser 16-Prozent-Erfolg mit einem einzigen Thema


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