© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/04 25. Juni 2004

Neue Türen zur Einreise aufgemacht
Zuwanderungsgesetz: Nachzug von Familienangehörigen bleibt ein Problem / Ausweisung krimineller Ausländer wird erleichtert / Rumoren in der CSU
Paul Rosen

An leeren Worten fehlt es nicht. SPD-Innenminister Otto Schily nannte den nach vier Jahren Streit gefundenen Kompromiß zur Zuwanderung eine "historische Veränderung" in der deutschen Gesetzgebung. endlich werde anerkannt, daß es Zuwanderung gebe.

Industriepräsident Michael Rogowski, dessen Klientel an preiswerten Arbeitskräften interessiert ist, sprach gar vom "gordischen Knoten", der durchschlagen worden sei. Und Bayerns Innenminister Günther Beckstein von der CSU jubelte, Deutschland öffne sich vorsichtig für Zuwanderer, die der deutschen Volkswirtschaft nutzen werden. Viele von Becksteins Parteifreunden sind jedoch auch nach dem "historischen Kompromiß" nicht sicher, ob es nicht zu viel Zuwanderung geben wird.

Am leichtesten fiel die Zustimmung offenbar den an den Schlußverhandlungen gar nicht mehr beteiligten Grünen. Für den kleinen Koalitionspartner stellte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt fest, sie rechnete nicht mit Gegenstimmen in der Bundestagsfraktion. Zu den wenigen Kritikern gehört der grüne Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, der davon sprach, die ursprüngliche rot-grüne Fassung sei "sehr, sehr stark gerupft" worden. Aber insgesamt einigten sich die Grünen auf eine Sprachregelung, die den Kompromiß als "ersten Schritt" hin zu weitergehenden Regelungen betrachtet.

Daran ändert auch nichts, daß mehrere Grünen-Landesverbände die Einberufung des Länderrates, wie bei den Grünen ein Kleiner Parteitag heißt, forderten, sich aber letztlich nicht durchsetzten. Die Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zogen ihre Anträge zurück. Zu sehr hat sich die einstige Protestpartei den Realitäten in der Koalition angepaßt und vor allem an die Annehmlichkeiten der Macht gewöhnt. Ein Ausstieg aus der Regierung, das wissen die meisten Grünen ganz genau, würde zu einer langjährigen Oppositionsphase führen. Deshalb richten sie sich bis 2006 in der Regierung ein. Eine Schmerzgrenze beim Akzeptieren von SPD-Alleingängern wie beim Zuwanderungsgesetz ist nicht mehr feststellbar.

Denn das Zuwanderungsgesetz ist, da hat Ministerpräsident Edmund Stoiber recht, in weiten Teilen zu einem Sicherheitsgesetz geworden. Die Ausweisung krimineller Ausländer wird erleichtert. So reicht künftig eine "tatsachengestützte Gefahrenprognose", um Ausländer auszuweisen zu können.

Das bedeutet, daß jemand, der sich in Ausbildungslagern von Terroristen befunden hat, ausgewiesen werden kann. Sogenannte Haßprediger, die "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht" (Entwurfstext) billigen, können ausgewiesen werden, was bisher nicht möglich war. Selbst Regelanfragen beim Verfassungsschutz vor Erteilung einer dauerhaften Niederlassungserlaubnis soll es geben. Das alles wären für die Grünen zu Oppositionszeiten Beweise für Orwells Überwachungsstaat gewesen. Nun, in der Regierung, sehen die Dinge offenbar anders aus.

Doch halten die Zuwanderungsregeln, was sie versprechen, nämlich eine Begrenzung der Einwanderung nach Deutschland? Auf dem Papier liest sich das Ergebnis gut. Nur Hochqualifizierte will man in Deutschland aufnehmen, der Anwerbestopp von Gering- und Niedrigqualifizierten soll beibehalten werden.

Aber es werden auch neue Türen zur Einreise aufgemacht: Ein Punkt ist die geschlechtsspezifische Verfolgung, die weit auslegbar sein dürfte. Beim Nachzug von Kindern scheint es viele Ausnahmeregelungen zu geben. Und auch das Asylrecht wird kaum eingeschränkt.

Letzte Bastion des Widerstandes war die CSU-Landesgruppe, in der zwar die schärfsten Sicherheitsmaßnahmen begrüßt wurden, aber die Fragen nach verstärkter Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme sehr eindringlich gestellt wurden. Zufriedenstellende Antworten von Beckstein soll es nicht gegeben haben.

Der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann wurde mit der Bemerkung zitiert, er fühlte sich "verarscht". Der stellvertretende CSU-Chef Horst Seehofer war sich nicht sicher, ob es nicht doch zu einer verstärkten Zuwanderung kommen würde. Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber mußte letzte Woche aus München anreisen, um seine Abgeordneten wieder auf Kurs zu bringen und eine offene Revolte in der Fraktion zu verhindern. Eines der Hauptprobleme scheint, das ließ jedenfalls CSU-Landesgruppenchef Michael Glos durchblicken, im Nachzug von Familienangehörigen zu liegen.

Ehe und Familie haben grundsätzlich einen sehr hohen Rang. Diese Schutzbestimmungen gelten auch für Ausländer, so daß dem Familiennachzug kaum mit der Änderung von Verwaltungsgesetzen beizukommen ist. Das Grundgesetz müßte geändert und der besondere Schutz der Ehe und Familie auf Deutsche beschränkt werden. Dafür wird es im Parlament keine Mehrheit geben. Nachziehende Familienangehörige werden jedoch in die Sozialversicherung integriert und verursachen Kosten. Das ist das Problem, auf das Seehofer hingewiesen hat.

Glos befürwortet den Kompromiß, weil die meisten Sicherheitsverschärfungen mit der FDP als Koalitionspartner nicht machbar gewesen wären. Sollte es jedoch zu einer verstärkten Zuwanderung in die Sozialsysteme kommen, will Glos nach der Regierungsübernahme der Union die Leistungsgesetze einschränken lassen. Wer so redet, gibt indirekt zu, daß an dem Kompromiß was faul ist und die Bürger möglicherweise wieder an der Nase herumgeführt werden. Daß ein Zuwanderungsgesetz eigentlich gar nicht notwendig ist, weil Deutschland keine Zuwanderung brauchen kann, machen Angaben des Münchener Ifo-Instituts deutlich. Dessen Chef Hans-Werner Sinn sagte, in die Bundesrepublik seien von 1970 bis 2002 netto 7,5 Millionen Ausländer eingewandert. 3,1 Millionen von ihnen hätten Arbeit gefunden. In der gleichen Zeit stieg jedoch die Arbeitslosigkeit in Deutschland um 3,2 Millionen.

Das bedeutet natürlich nicht, daß der Anstieg der Arbeitslosigkeit ausschließlich mit der Zuwanderung zu begründen ist. Aber die millionenfache Einwanderung dürfte einen Teil des Problems Arbeitslosigkeit ausmachen.

Foto: Peter Müller (CDU), Otto Schily (SPD), Günther Beckstein (CSU): Viele Ausnahmeregelungen


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