© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/04 02. Juli 2004

"Vorurteile, Ressentiments, Xenophobie!"
Integration: In Kiel entsteht demnächst trotz leerer Kassen eine Zigeuner-Wohnsiedlung / CDU-Widerstand brach nach kurzer Zeit in sich zusammen
Jochen Arp

Seitdem vor eineinhalb Jahren in der seit Jahrzehnten von der SPD dominierten schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel zu aller Überraschung die CDU mit über 44 Prozent der abgegebenen Stimmen stärkste Partei wurde, wohingegen die SPD mit nicht einmal 33 Prozent erheblich abfiel, glaubten die Bürgerlichen, nunmehr in der Stadt an der Förde das politische Sagen zu haben. Die Hoffnung wurde bestärkt, als sie sich mit den auf 14 Prozent gekommenen Grünen über eine Zusammenarbeit einigen konnten.

Tatsächlich klappte das Zusammenwirken verhältnismäßig reibungslos, bis soeben die Ratsversammlung über die Gewährung eines Kommunaldarlehens in Höhe von 100.00 Euro beschließen sollte. Die Vorlage stammte von der Verwaltung. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, daß der Zuschuß der finanziell ruinierten Stadt für den Bau einer Zigeunersiedlung im Stadtteil Gaarden verwendet werden sollte.

Die CDU fiel aus allen Wolken. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, wer überhaupt das Projekt angeschoben hatte. Der Rat jedenfalls hatte der Verwaltung keinen Auftrag erteilt, eine derartige Planung vorzunehmen.

Es stellte sich heraus, daß daran schon seit zwei Jahren gearbeitet worden war, der Start also gegeben wurde, bevor die Kommunalwahl die Mehrheitsverhältnisse änderte. Der Initiator war nicht klar auszumachen.

In dieser Siedlung sollten Wohnungen auf Erbpachtbasis für zwölf Sinti- und Roma-Familien geschaffen werden, die insgesamt 50 Menschen umfassen. Sie wollten in dieser abgeschlossenen Siedlung ihre Kultur leben. "Maro Temm" sollte sie heißen, der Romanes-Begriff für "Unser Land".

Der zuständige Ortsbeirat Gaarden hatte noch nie davon gehört; vor allem seine CDU-Mitglieder fühlten sich überfallen. Der Kieler Stadtratsfraktion ging es nicht anders. Doch nun war keine Zeit für Erörterungen mehr, denn die für den Bau vorgesehene Eigenheimzulage sollte bald auslaufen.

Nach einer kurzen Pause der Sprachlosigkeit meldete die CDU Bedenken an: Gaarden ist der Kieler Stadtteil mit dem höchsten Ausländeranteil und den meisten sozialen Problemen. Und dazu sollte nun noch eine abgeschlossene Zigeuner-Siedlung kommen, die als Ghetto bezeichnet werden könnte. "Wer sich mit offenen Augen in Gaarden umschaut", so Ortsvorsitzender Fedor M. Mrozek in einer Pressemitteilung, "der muß z. B. im Hinblick auf die Schulen des Stadtteils erkennen, daß die Grenzen der Integrationskraft längst erreicht sind."

Der CDU warf man "Stammtischdenken" vor

Auch die Kieler Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz äußerte zunächst erhebliche Bedenken, so daß die CDU-Stadtratsfraktion aus dem Mund der Stadtverordneten Michaela Pries erklärte, die CDU lehne das Projekt ab. SPD und Grüne waren empört. Pries und ihre Familie wurden massiv bedroht. Rassismus wurde ihr vorgeworfen.

Sprecher der Zigeuner-Familien, die in diese Häuser einziehen sollten, machten geltend, sie hätten zugesagt, 200.000 Euro der Baukosten durch Eigenleistung aufzubringen. Es stellte sich allerdings heraus, daß alle Familien heute von Sozialhilfe leben und zum größten Teil aus Kindern bestehen, so daß man sich fragt, wie der Eigenanteil aufgebracht werden kann.

Das interessierte SPD und Grüne nicht. Die CDU sah sich einer Front der beiden linken Parteien gegenüber, so daß die mühsam zusammengebastelte Koalition von CDU und Grünen in Gefahr war zu platzen. Auch die Lokalzeitung Kieler Nachrichten schlug sich, ohne Kritik zu beachten, auf die Seite der Linken. "Stammtischdenken" warf sie den Christdemokraten vor, "Vorurteile, Ressentiments, Xenophobie". Der Ruf der Stadt Kiel werde leiden, wenn die CDU weiter die Siedlung ablehne.

Daraufhin kippte die CDU um. Bevor im Sozialausschuß über die Gewährung des 100.000-Euro-Kommunaldarlehens beschlossen werden sollte, brach in der Fraktion ein heftiger Streit aus, in dem dann die Umfaller eine Mehrheit, wenn auch eine hauchdünne, erzielten.

Damit erreichte im Sozialausschuß der Antrag die Mehrheit, so daß Kiel 100.000 Euro aus der sowieso bis auf den Grund gelehrten Stadtkasse für die zwölf Familien aufbringen muß.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß, wie Szenekenner mutmaßen, hinter dem Projekt die Landesregierung unter Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) steht, unterstützt vom Landespräsidenten Heinz-Werner Arens. Sie hat sich, als die Ablehnung durch die CDU drohte, massiv für das Ghetto stark gemacht.

Schleswig-Holstein beherbergt in seinen Grenzen noch zwei weitere Minderheiten, nämlich die Friesen und die Dänen. Es wäre nur logisch, wenn diese unter Hinweis auf das Beispiel der Zigeuner nun ebenfalls großzügig bedient werden wollen. Argumente für eine Ablehnung dürften dann schwer zu finden sein.

Die Sozialdemokraten haben gemeinsam mit den Grünen ihr Programm für eine Multikulti-Gesellschaft an einem praktischen Beispiel durchgesetzt. Die CDU ist mit ihrem Ziel, Minderheiten zu integrieren, in Kiel gescheitert.


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