© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/04 02. Juli 2004

Rechter Motor einer Rebellion
Porträts des 20. Juli 1944 (X): Der preußische Beamte und NS-Parteigänger Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg war Impulsgeber des Attentates
Matthias Bäkermann

Ich möchte mit Deutschlands Not und Schicksal fest verwachsen, die Not der Deutschen als die eigene spüren, die Sehnsucht von Millionen unerlöster Deutscher im eigenen Herzen tragen und für sie arbeiten, als gelte es mein eigenes Schicksal." Dies schrieb der junge Regierungsassessor Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg im Juli 1929 seiner Brieffreundin Bärbel Borchmeyer. Daß er mit diesen pathetischen Zeilen etwas anderes meinte als das Weimarer System, dem Schulenburg als zukünftiger Beamter eidverpflichtet war, wird allein dadurch deutlich, daß mit der "Not" nicht unbedingt eine momentane wirtschaftliche und politische Instabilität gemeint sein konnte. Diese sollte nämlich erst wenige Monate später mit der beginnenden Weltwirtschaftskrise einsetzen und den Verfall bis 1933 einleiten.

Schulenburgs politisches Ideal wich von der ungeliebten Republik ab, inklusive ihrer Eliten, die "bis auf das Heer versagt" hätten. Alles für das Volk, nichts durch das Volk. Dieser Devise folgend sollte - ähnlich dem verklärten Preußenkönig Friedrich dem Großen - ein starker Mann gestützt von einer durch nichts anderes als Leistung legitimierten Beamtenkaste die Geschicke Deutschlands leiten. Dabei spielte die alte Elite, aus der der 1902 in London geborene Sohn des damaligen deutschen Militärattachés Friedrich Bernhard von der Schulenburg stammte, keine entscheidende Rolle mehr. Fritz-Dietlof, Vertreter der "Generation 1902" - dem ersten Jahrgang, der von Trommelfeuer und Grabenkampf verschont blieb -, sehnte sich nach einer Volksgemeinschaft mit einem vergrößerten "sozialen Gesichtskreis" als jenem seines feudalen Junkermilieus, zu dem sein preußisches Geschlecht sogar als eines der exponiertesten gezählt werden konnte. Diese Einstellung trug ihm während seiner Ausbildung sogar das Etikett des "roten Grafen" ein.

Preußentum und Sozialismus als Schulenburgs Ideal

Schulenburg sollte in Habitus und gesellschaftlichem Rang jedoch nie mit dieser Abstammung brechen. Das galt natürlich für Kindheit und Jugend, aber auch für die Jahre seines juristischen Studiums in Göttingen und Marburg, wo sein mensurbeflissenes Auftreten für das adlige Corps Saxonia lebenslang im Gesicht ablesbar sein sollte. Im Zeitalter des 100.000-Mann-Heeres verschlug es den fertigen Juristen in die Beamtenlaufbahn, zu der Schulenburg besondere Neigung vorwies und in der er auch Erfüllung fand. Sicherlich entdeckte der spätere Angehörige des höheren Dienstes nicht allein durch diese Tätigkeit Gefallen an den theoretischen Entwürfen Oswald Spenglers, dessen "Beamtenaristokratie" den Weg aus dem Jammertal von Weimar und Versailles weisen sollte. Spenglers 1920 erschienenes Werk "Preußentum und Sozialismus" sollte Schulenburg ähnlich beeinflussen wie Moeller van den Bruck oder Hans Grimm, die auch seiner Sehnsucht nach einem "Dritten Reich" Nahrung boten. "Eliteherrschaft als Pflichterfüllung und Dienst am Vaterland" lief für den wenig materialistischen Beamten "auf einen Paternalismus in völkischen Gewande hinaus", wie es sein Biograph Ulrich Heinemann später ausdrückte.

Dieses vermeintliche Ideal einer friderizianischen Staatsidee mit völkischen Blut- und Boden-Romantik sah der von Recklinghausen nach Ostpreußen versetzte Staatsdiener Anfang der dreißiger Jahre in der nationalsozialistischen Bewegung am überzeugendsten artikuliert. Obwohl er besonderes Mißtrauen gegen "die vielen Süddeutschen" hegte, die die Partei dominierten, und er auch viel "ekles Gewürm" in der NSDAP beobachtete, trat Schulenburg am 1. Februar 1932 als 948.412. Mitglied der Partei bei. Wertschätzung genossen zu dieser Zeit der ostpreußische Gauleiter Erich Koch und besonders Gregor Strasser, von dem Schulenburg seiner jungen Braut als "neuen Typ des Führers" vorschwärmte. Bis 1934 fand die "nationalsozialistische Revolution" im neuen Parteigenossen einen eifrigen Verfechter. In ihr erkannte er die "neue Form des Preußentums".

Die ersten Brüche erlebte diese Sympathie allerdings schon bald: Für viele seiner preußischen Standesgenossen - so auch seinen Vater - waren die Morde im Zusammenhang des "Röhmputsches" wie die "Befreiung eines Alpdruckes". Diese Haltung teilte Fritz-Dietlof bei der Liquidierung der SA-Führung, die er auch als Quittung für deren als maßlos empfundene Machtansprüche ansah. Die Ermordung des verehrten Strasser allerdings ließ seinen Glauben an die Idee erschüttern. Während seiner Tätigkeit als Landrat im ostpreußischen Fischhausen kam es dazu verstärkt zu Spannungen mit der Gauführung, bei der er die Ämterpatronage und den besonders beim Emporkömmling Koch beobachteten Byzantinismus beklagte. Das hemmungslose Auskosten ihrer Privilegien bei der Parteielite widerte den auf preußische Bescheidenheit drängenden Landrat an.

1937 verließ der Karrierebeamte Ostpreußen und trat seinen Dienst als Polizeivizepräsident von Berlin an. Die ein Jahr später von der Gestapo lancierte Affäre gegen die Heeresführung um den bei der Wehrmacht hochangesehenen General Werner von Fritsch vertiefte den Graben zum Regime. Die immer mehr als Unrechtsbewegung zutage tretende Parteimacht, die sich den Staat zum Untertan machte, statt ihm zu dienen, zerstörte sein Vertrauen. Erstmals artikulierte Schulenburg umstürzlerische Gedanken. Die Zeit sei reif für "die Auseinandersetzung mit SS und Bonzokratie". Mit dem Leipziger Bürgermeister Carl Goerdeler fand er gegen diese "politische Parteiwillkür" einen geistigen Nachbarn. Im August 1939 sollte er als frischbeförderter stellvertretender Oberpräsident von Schlesien Gelegenheit erhalten, den "Grabenkrieg gegen Braun und Schwarz" zumindest auf Verwaltungsebene aufzunehmen.

Immer erbitterter geriet der 1940 als Leutnant der Reserve einberufene Schulenburg in Gegnerschaft zu seinen "technokratischen Parteigenossen". Bereits am 20. Juli 1940, zur abgesagten Siegesparade des Frankreichfeldzuges, hätten Pläne bestanden, gegen Hitler zu putschen und diesen "dabei notfalls zu töten", so der Historiker Peter Hoffmann 1985. Doch so konkret dürfte der Entschluß in diesen Tagen allerhöchstens theoretisch formuliert sein, denn den Sieg gegen Frankreich empfindet der Reserveoffizier mit unverhohlener Euphorie. Auch der Krieg gegen die Sowjetunion mitsamt seines "Feindbildes Bolschewismus", des "Traumes von der Allmacht der Technik" findet bei dem immer religiöser werdenden Christen grundsätzliche Zustimmung. Insgesamt läßt sich mit der zunehmenden Distanzierung zum Regime und der sittlichen Empörung über die auch immer mehr ins Bewußtsein tretende Judenverfolgung ebenso stark der Glauben als zentraler Bezugspunkt seines Lebens und Handelns erkennen.

So wie die außenpolitische Revision von Versailles und eine expansive Außenpolitik von Schulenburg geteilt wurde, fand die Besatzungspolitik einen energischen Kritiker. Den Unrechtscharakter der Herrschaft seines ehemaligen Vertrauten Koch in der Ukraine beklagte er als "kurzsichtige Politik der Unterwerfung und Ausbeutung", anstatt "die beherrschten Völker für die Führung des Reiches zu gewinnen". Der in verschiedenen Wehrmachtsstäben Tätige entwickelte ab 1942 Konzepte einer Ordnung nach Hitler, in der das Reich aber die meisten der seit 1937 dazugewonnenen Gebiete behalten sollte. Innenpolitisch erinnerte der von ihm bevorzugte autoritäre Ständestaat wieder an Theorien aus seiner Zeit vor 1930.

Spätestens ab dieser Zeit wurde Schulenburg zum Motor der Verschwörung. Er hielt Kontakt zu Hans Oster, Henning von Tresckow und vor allem zu Goerdeler, seine Stabstätigkeit machte ihn in ganz Europa beweglich. Um kein "Dolchstoß"-Motiv zu bieten, drängte er auf rasches Handeln - und das hieß für ihn schon zu dieser Zeit die Beseitigung Hitlers. Sein umtriebiges Engagement von Paris bis Berlin verminderte sich auch nicht, als er 1943 in den Fokus der Gestapo geriet, aus dem er sich aber durch seine guten Kontakte im Innenministerium befreien konnte. Problematisch gestalteten sich die Kontakte zum Kreisauer Kreis um Helmuth von Moltke, mit dem er politisch zu wenig übereinstimmte und dessen Hadern zu konkreten Attentatsplänen der Praktiker Schulenburg nicht teilen mochte.

In seinem Herzen "schlug die Glocke von Potsdam"

Nachdem 1943 Hans Oster festgenommen wurde, wuchs dem Widerstandskreis mit dem schwerverwundet aus Nordafrika kommenden Claus Schenk Graf von Stauffenberg endlich ein Akteur zu, der wie sein älterer Freund "Fritzi" in der Beseitigung Hitlers den einzigen Ausweg sah. Bis zum 20. Juli gelang es ihnen, den Kreis der Verschwörer weit in die Wehrmacht auszudehnen. Die weltanschaulichen Unterschiede bei den Gesprächspartnern wußte Schulenburg geschickt zu vermitteln, soweit nur "in ihren Herzen die Glocke von Potsdam" schlug. Selbst SS-Generäle wie Paul Hausser und Felix Steiner versuchte er mit einzubeziehen. Diese verschlossen sich aber dem Werben ihres alten Regimentskameraden.

Den Tag des Attentates erlebte der durch den Kriegsverlauf zunehmend Desillusionierte in Berlin. Als sich das Scheitern abzeichnete, riet er zum Standhalten: "Wir müssen diesen Kelch zur Neige leeren. Wir müssen uns opfern." Genauso trat er auch vor dem Volksgerichtshof auf. Er hielt den nationalsozialistischen Richter den Spiegel vor indem er sie des Verrats an den so oft von ihnen gepriesenen preußischen Werten überführte. In diesem Bewußtsein formulierte er auch die Abschiedsworte an seine Frau vor der Hinrichtung in Berlin-Plötzensee am 10. August 1944: "Was wir getan haben, war unzulänglich. Aber am Ende wird uns die Geschichte richten und uns freisprechen. Du weißt, daß mich auch die Liebe zum Vaterland trieb."

 

Literatur zum Thema:

Ulrich Heinemann: Ein konservativer Rebell. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und der 20. Juli. Siedler Verlag, Berlin 1990, 353 Seiten, gebunden, Abbildungen, 24 Euro

Albert Krebs: Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. Zwischen Staatsräson und Hochverrat. Leibniz Verlag, Hamburg 1964, vergriffen

Bisher wurden hier Eduard Wagner, Karl-Friedrich Goerdeler, Ulrich von Hassell, Helmuth James Graf von Moltke, Carl-Heinrich Stülpnagel, Julius Leber, Dietrich Bonhoeffer, Albrecht Haushofer und Alfred Delp porträtiert.

Foto: Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg als Leutnant der Reserve im Februar 1940: Er hielt den Nationalsozialisten den Spiegel vor und überführte sie des Verrats an den preußischen Werten


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