© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/04 02. Juli 2004

Mühsamer Weg einer Bekehrung
von Rolf Stolz

Unsere Welt ist eine Welt der Unterschiede und zahlloser zeitweiliger Gegensätze. Wer allerdings nur die einzelnen Differenzen und Konflikte sieht, wer womöglich versucht, mit enzyklopädischer Sammelwut alles und jedes in den Blick zu bekommen, der wird schon bald von der Detailflut überrollt. Vor lauter Bäumen wird er den Wald nicht mehr sehen.

Aber in all den drittrangigen Einzelauseinandersetzungen zeigen sich, wenn man den Dunst der Tagesstreitigkeiten durchdringt, die Verwerfungslinien der weltgeschichtlichen Antagonismen, die - wenn überhaupt - nur in historischen Dimensionen ausgeglichen und aufgehoben werden können. Wenn selbst die Differenzen zwischen den drei großen christlichen Feldlagern - dem katholischen, dem protestantischen, dem orthodoxen - oder auch die innerhalb des Protestantismus zwischen Erweckungsfreikirchen und politisierend-modernistischen Amtskirchen allenfalls in papierenen Formelkompromissen überwunden werden können, so ist erst recht zwischen den großen Religionen, Kulturen, Zivilisationen die Geschiedenheit unauf-hebbar und der Konflikt unausweichlich.

Jede Kultur ist religiös fundamentiert, wobei in der Regel eine bestimmte Religion dominiert und eine oder mehrere andere sekundäre Einflüsse ausüben. Jede Religion ist in der gesellschaftlichen Realität, also da, wo sie gelebter Glaube und kirchlich-kollektiv organisierte Anbetung ist, untrennbar mit der von ihr geprägten Kultur verbunden: Insofern ist es wichtig, Religion und Kultur weder zu vermengen noch sie voneinander zu isolieren - und zu verabsolutieren.

Wer glaubt, wegen eines fiktiven gemeinsamen Stammvaters Abraham seien die angeblich "abrahamitischen" Religionen Judentum, Christentum und Islam heute schon in einer Art Ökumene verbunden und in Zukunft in eine gemeinsame "Weltreligion" zu überführen, verwechselt einzelne Ähnlichkeiten von Bezeichnungen mit einer Übereinstimmung in der Sache, in den Zielen und den Entwicklungsperspektiven.

In der Tat ähnelt der Islam in manchen Etiketten und Riten den beiden Vorgängerreligionen, von denen er am meisten übernommen hat. Aber das, was Mohammed aus anderen Religionen zusammentrug und zu einem weltanschaulichen Gemenge neu zusammenfügte, bildete von Anfang an ein Ganzes, das sich fundamental sowohl vom Christentum wie vom Judentum unterschied. Daher ist es erst dann sinnvoll, über den Spielraum für Koexistenz und Kompromisse nachzudenken, wenn an den entscheidenden Kriterien abzumessen ist, was uns trennt. An drei Kernfragen - der Beziehung des Islam zu den anderen Religionen, seinem Verhältnis zur Gewalt, seinem Respekt für Gedankenfreiheit - sollen die Konflikte verdeutlicht werden, um daraus Schlußfolgerungen für eine realistische, zugleich kampf- und friedensbereite europäische Politik zu entwickeln.

Betrachten wir die Anhängerschaft, so ist der heutige Islam im Weltmaßstab zu vierzig bis sechzig Prozent orthodox und zu zwanzig bis vierzig Prozent fundamentalistisch, das heißt, er ist überwiegend
totalitär gesinnt.

Grundlegend für jede Religion (und ebenso für jede Kultur) ist die Beantwortung der Lebens- und Überlebensfrage, inwieweit sie sich öffnet für Veränderungen, inwieweit sie Außeneinflüsse zuläßt bzw. ein Assimilieren des Fremden aktiv fördert. Jedes von zwei möglichen Extremen ist hier tödlich: Die allzu offenen Kulturen gehen unter durch Überfremdung, die allzu abgeschlossenen stagnieren und sterben innerlich ab. In einem langwierig-schwierigen Entwicklungsgang hat die abendländische Kultur seit der Christianisierung Europas sowohl kulturelle Leistungen der griechisch-römischen Antike wie des Orients wie des zugewanderten Judentums integriert. Die mittelalterliche, in einem papistischen Pseudochristentum erstarrte Feudalkultur wurde seit der Reformation abgelöst von einem sich aufklärenden und sich erneuernden Christentum, das nach und nach durch Reformprozesse, aber auch durch Umbrüche und Umwälzungen, die Freiheit des Christenmenschen respektierte und einen demokratischen Pluralismus der Standpunkte zuließ.

Der Islam begann ungleich dogmatischer als das Christentum, da er nicht die Vielstimmigkeit der Verkünder und der Überlieferungen kennt, sondern von Mohammed und seinen Nachfolgern darauf festgelegt wurde, daß der Koran eine wortwörtlich hinzunehmende Offenbarung Allahs sei. Der von den Mutaziliten im achten und neunten Jahrhundert gewiesene Ausweg, den Koran als historisches Dokument zu betrachten, wurde bald schon mit brutaler Gewalt als ketzerische Abweichung unterdrückt. Niemals wieder hatte der Islam eine solche Chance, eine mit Aufklärung und Demokratie zu vereinbarende Anschauung zu werden, wie in jener Epoche, wo eine Generation lang die kritisch-rationalistische Sicht der Mutaziliten sogar zur Staatsdoktrin wurde. Kennzeichnend für die weitere Entwicklung des Islam ist, daß die nächste Welle einer Islamreform erst fast ein halbes Jahrtausend später auftrat, weniger politischen Einfluß und weniger Radikalität besaß als der erste Ansturm, und daß die dritte Reformepoche im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert noch einmal schwächer und zaghafter ausfiel als jene im hohen Mittelalter. Allerdings präsentierte sie sich immer noch ungleich stärker und mutiger als der heutige Reformislam, der weltweit (nicht nur in der Spielart des Euro-Islams) teils eine Sache intellektueller Randgruppen, teils eine Wunschbild-Chimäre ist.

Zwar existieren im Weltislam weiterhin relativ bedeutende Strömungen wie der synkretistische Volksislam und der mystische Sufi-Islam, aber diese werden teils vom dominierenden Bündnis zwischen orthodoxem und fundamentali-stischem Islam an die Wand gedrückt, teils von radikalen Islamisten unterwandert und instrumentalisiert. Betrachten wir die Anhängerschaft, so ist der heutige Islam im Weltmaßstab zu vierzig bis sechzig Prozent orthodox und zu zwanzig bis vierzig Prozent fundamentalistisch, das heißt er ist in seiner deutlichen Mehrheit reaktionär, dialogverweigernd, aufklärungsfeindlich. Die Verteilung der Standpunkte in den Führungsgruppen ist noch ungünstiger, und im Konkurrenzkampf zwischen Orthodoxen und Islamisten verschieben sich die Gewichte immer stärker zugunsten der letzteren.

In dieser Konstellation hat sich im Islam eine Sichtweise durchgesetzt, die sein Gründer unermüdlich predigte: Der Islam muß, weil er die absolute Wahrheit verkörpert, herrschen und nicht beherrscht werden. Deshalb hat das, was die Muslime als beste aller Gemeinschaften glauben, Gültigkeit zu gewinnen für alle Menschen. Daß dieses hehre Programm nur schritt- und stufenweise durchsetzbar ist, erkannte schon Mohammed. Daraus entwickelte er sein Konzept, das gegnerische Lager aufzuteilen und durch dieses "Teile und herrsche" zu paralysieren.

Als nächstliegende Gegner bestimmte Mohammed angebliche oder tatsächliche Gottesleugner, vom Islam wieder abgefallene Ex-Glaubensgenossen und seine politischen bzw. privaten Feinde. In abgewandelter Form setzt der heutige Islam diese Strategie ebenso fort wie die Kriegszüge Mohammeds gegen die Polytheisten, die für ihn schlichtweg auszurottende Ungläubige waren. Dagegen gestand er den Gläubigen der Buchreligionen unter bestimmten Voraussetzungen den Status der Dhimmis, der Schutzbefohlenen, zu. Dieser Status kann aber nur erworben werden, wenn die Nicht-Rechtgläubigen als Kollektiv mit dem muslimischen Staat ungleiche, auf Unterwerfung basierende und auf Diskriminierung hinauslaufende Verträge abschließen.

Auch heute finden wir diese Zweiteilung - Islamisten aller Schattierungen sind bereit, diejenigen zu dulden, ja zeitweise sogar zu hofieren, die als Quasi-Dhimmis dem vordringenden Islam freie Bahn lassen oder ihm sogar als trojanische Esel und Dialogbejubler wertvolle Dienste leisten. Andererseits werden alle, die den Islam kritisch reflektieren und den Islamismus bekämpfen, als "Verleumder und Gottesfeinde" ausgegrenzt. Gegenüber denen, die sich geradezu danach drängen, beschwindelt zu werden, setzen die Islamisten auf die bewährte Taktik der Taqyia, die den eigenen Standpunkt so lange verschweigt und verharmlost, bis man die Macht erobert hat.

Im Islam ist die Existenz der anderen Glaubensgemeinschaften nur räumlich und zeitlich beschränkt vorgesehen. Räumlich werden bestimmte Gebiete, vor allem die arabische Halbinsel, als rein islamisches Reservat bestimmt. Daß der Islam in Rom, sozusagen in Sichtweite des Papstes, die größte Moschee Europas errichtet hat, wird ebenso geflissentlich ignoriert wie die Tatsache, daß das Christentum schon vor Mohammed auf der arabischen Halbinsel verbreitet war und daß in Saudi-Arabien heute Hunderttausende Arbeitskräfte und - im geheimen und unter Lebensgefahr - sogar eine ganze Reihe Einheimischer Christen sind.

Auf der Zeitachse ist für den Islam das Verschwinden der übrigen Religionen dadurch vorprogrammiert, daß Repressionen und Benachteiligungen Übertritte begünstigen sollen und bestimmte Regelungen (Verbot, daß eine Muslima einen Nicht-Muslim heiratet; Verbot, daß die Kinder in einer Mischehe nicht-islamisch erzogen werden) ein langsames Aussterben der Dhimmis begünstigen sollen. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, daß der orthodoxe wie der fundamentalistische Islam keinen Anlaß sehen, kulturelle Konzepte anderer Richtungen aufzunehmen und den eigenen Standpunkt auch nur ansatzweise in Frage stellen zu lassen.

Am Anfang der islamischen Herrschaftsgeschichte steht noch unter Mohammed der von ihm befohlene Massenmord am dritten der in Jathrib/Medina seit Jahrhunderten lebenden jüdischen Stämme, nachdem zuvor die beiden anderen von ihm terrorisiert und vertrieben worden waren. Diese blutig begonnene Spur zieht sich durch die Jahrhunderte. Die praktizierte Gewaltsamkeit spiegelt sich wider auf weltanschaulichem Gebiet, wo im Koran Allah bzw. seinem Erzengel zahlreiche Aufforderungen zur Gewalt gegen Un- und Andersgläubige in den Mund gelegt werden - vom Bekämpfen bis zum Erschlagen (vgl. Koran Sure 2,191; S 2, 216; S 4,89; S 8,60 usw.).

Islamisten aller Schattierungen sind bereit, diejenigen zu dulden, ja zeitweise sogar zu hofieren, die dem vordringenden Islam freie Bahn lassen und ihm sogar als trojanische Esel wertvolle Dienste leisten.

Während im traditionellen Islam zumindest in der Ideologie den religiösen Anstrengungen (dem "großen Dschihad") ein höherer moralischer Rang zukommt als dem militärischen Kampf (dem "kleinen Dschihad"), hat der moderne Fundamentalismus auch in der Theorie dem bewaffneten Kampf eine dominierende Präferenz eingeräumt. Die Selbstmordattentate, der al-Qaida-Feldzug, die Mordaufruf-Fatwas gegen Reformer und Freidenker, das Festhalten an den grausamen Körperstrafen der Scharia kommen aus der Mitte des Islam und finden bei der Mehrheit seiner Anhänger zumindest stillschweigende Billigung. Verantwortlich dafür sind die Wurzeln des Islam, nicht irgendwelche historischen Ausprägungen - entsprechend dem scharfsinnigen Urteil Blaise Pascals: "Jesus ließ sich ermorden; Mohammed ließ morden." In den anderen Religionen und Kulturkreisen finden wir Vergleichbares allenfalls in sektiererischen Randbereichen oder in Konstellationen blutrünstiger Diktaturen, die sich wie der Faschismus und der Stalinismus nach (Bürger)Kriegen völlig von den Maßstäben jener Gesellschaft abspalteten, aus der sie hervorgegangen waren.

Schon im 12. Jahrhundert erkannte der islamische Gelehrte Averroes, wie verheerend sich die Mißachtung und Unterdrückung der Frauen in den muslimischen Ländern auswirkt, die bereits Mohammed gefordert hatte (sexuelle Verfügbarkeit, Prügel durch den Ehemann bei "Ungehorsam", vgl. Koran S 2,233; S 4,15; S 4,34). All das vertreten höchste Repräsentanten des orthodoxen Islams in Deutschland wie der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Nadeem Elyas, mit dem sich Horst Köhler noch vor seiner Inthronisation zum Hinterzimmer-Gespräch traf, ungebrochen weiter.

Die weltweit niedrigste Beschäfti-gungsquote für Frauen in den muslimischen Ländern ist nicht allein Ausdruck und Ursache wirtschaftlicher Defizite, sondern steht zugleich für eine Weltanschauung, die strukturell freiheitsfeindlich ist und notwendig eine Gesellschaft der Ungleichheit anstrebt. Daher ist es weder ein Zufall noch ein Ergebnis westlichimperialistischer Interventionen, wenn bislang in keinem eindeutig muslimischen Land eine Demokratie entstanden ist, oder wenn die muslimischen Länder bei der Zahl von Studenten naturwissenschaftlicher Fächer oder bei der Anmeldung von Patenten die Schlußlicht-Laterne okkupieren. Nicht ein einziger naturwissenschaftlicher Nobelpreisträger ist aus einer arabischen Universität hervorgegangen.

Niemand ist daran gehindert, geschichtliche Prozesse moralisch zu betrachten und zu beklagen, wenn der Gerechte unterliegt. Aber auch der radikalste Moralapostel sollte nicht vergessen, daß die Geschichte sich selten bis nie danach richtet, was edel, hilfreich und gut wäre. So ist es sehr erforderlich, gegen eine Welt von Feinden die eigenen Werte zu verteidigen - weder setzen diese sich von selbst durch, noch sind hier irgendwelche Erfolgsgarantien zu erhalten. Daher ist es unerläßlich, im eigenen Lande und in der internationalen Politik argumentativ und emotional für die abendländischen Maßstäbe und Ziele einzutreten: Selbstbestimmung in geistigen Fragen ("Freiheit des Christenmenschen", offene Gesellschaft im Prozeß der Selbstaufklärung), rechtliche Gleichstellung aller Staatsbürger, unveräußerliche Menschenrechte, Gewaltmonopol des Staates in der Innenpolitik und Friedensorientierung in der Außenpolitik, Solidarität und Brüderlichkeit. An der Verwirklichung dieser Ziele ist zu messen, was ein Staat, eine Regierung, eine Politik wert sind.

 

Rolf Stolz, Jahrgang 1949, Publizist, veröffentlichte unter anderem "Kommt der Islam?", erschienen im Herbig-Verlag, München 1998

 

Foto: Afghanische Mädchen lernen in einer französisch unterstützten Schule in Lolaguzer Lesen und Schreiben: Je gebildeter Frauen sind, desto schwerer lassen sie sich in das islamische Rollenverhalten pressen


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