© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/04 09. Juli 2004

Wer spart, ist dumm
Mit "Hartz IV" geht es nun der Stammklientel der Volksparteien an den Kragen
Kurt Zach

Scheiden tut weh. Besonders wenn man sich aus einer vergleichsweise komfortablen Herberge wie dem deutschen Sozialstaat verab-schieden muß. Der Palast war auf Pump gebaut, der Gerichtsvollzieher steht schon mit Pfändungsbeschluß und Räumungsklage vor der Tür. Es geht nicht mehr weiter wie bisher - das ist den meisten im Lande bitter bewußt. Aber wer will schon gern haften für etwas, das andere verbockt haben?

"Hartz IV" ist so ein Versuch, sich an den Pechvögeln schadlos zu halten, die sich nicht rechtzeitig davongemacht haben. "Hartz IV" - das ist zunächst mal das fröhlich-saloppe Werbesprech-Kürzel für eine Reform, die nicht nur nach Ansicht von DGB-Chef Michael Sommer "das Leben in dieser Republik nachhaltig verändern" wird: die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Zugrunde liegt eine unbestrittene Erkenntnis: Es gibt in diesem Lande zu viele, die sich lieber von der Allgemeinheit aushalten lassen, als ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich mit harter, möglicherweise unangenehmer Arbeit ihr Brot zu verdienen. Also will man Langzeitarbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger künftig mit derselben strengen Elle messen: Statt Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gibt es für diesen Personenkreis ab Januar 2005 "Arbeitslosengeld II", das sich nicht mehr am früheren Einkommen orientiert, sondern ausschließlich an der "Bedürftigkeit". Einkommen des Lebenspartners und eigenes Vermögen wird bis auf geringe Freibeträge einbezogen, jede legale Arbeit muß angenommen werden.

1,1 Millionen Arbeitslosenhilfe-Empfänger gibt es in den alten Bundesländern, fast ebenso viele in den neuen. Etwa die Hälfte dieser Transferempfänger wird künftig verringerte Leistungen erhalten, ein Viertel gar keine mehr. Dagegen stehen die rund eine Million erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger mit der neuen "Grundsicherung für Arbeitssuchende" (so heißt das "ALG II" korrekt) meist besser da: Sie bekommen nicht nur mehr Geld und reguläre Versicherungsleistungen, auch ihre Familien müssen nicht mehr einspringen.

Wen trifft es, und wem nützt es? Ohne große prophetische Gaben zu besitzen, kann man die Prognose wagen: Die Ehrlichen werden wieder mal die Dummen sein. Wer sein Leben lang gearbeitet und nicht schlecht verdient hat und im fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt krisenbedingt den Stuhl vor die Tür gesetzt bekommt, für den wird der soziale Abstieg beschleunigt: Was er sich erspart und aufgebaut hat, wird bis auf magere 200 Euro pro Lebensjahr - Höchstgrenze 13.000 Euro pro Person - und selbstgenutztes Wohneigentum "in angemessener Grenze" eingezogen. Den Traum, im Alter die magere staatliche Rente noch mit Lebensversicherung und Mieteinnahmen aufzubessern, kann er begraben.

Statt dessen darf er sich vielleicht mit einem Arbeitsamts-Agenturagenten mit Akademiker-Komplex herumschlagen, der ihm die miesesten Jobs zumutet, die er in seiner Kartei finden kann. Den bisherigen Sozialamtskunden aus überwiegend alteingesessenem oder neuzugewandertem Sozialhilfeadel, der die Stütze vom Amt ohnehin nur als Grundversorgung für sich und seine Familie betrachtet, um ungestört der Schwarzarbeit oder allerlei Gewerben und Geschäften nachzugehen, werden derlei Drohungen auch künftig nicht anfechten: Sein Vermögen hat er schon so geparkt, daß ihm keiner so ohne weiteres dahinterkommt.

Den Kommunen verspricht man durch den Wegfall von einer Million Sozialhilfeempfängern eine "Entlastung" in Milliardenhöhe. Wie das finanziert werden soll, liegt auf der Hand: durch den Zugriff auf das Vermögen von Menschen, die nach längerem Erwerbsleben in die Dauerarbeitslosigkeit abgerutscht sind.

Das funktioniert nach demselben Prinzip wie die einmalige Haushaltsentlastung mit dem Verkauf der Post- und Telekom-Aktien des Bundes, mit deren Erträgen ursprünglich ja einmal die Pensionslasten von Beamten der beiden Ex-Staatsunternehmen finanziert werden sollten: Was da ist, wird verpulvert, die Folgelasten - etwa durch spätere Ansprüche von Langzeitarbeitslosen im Rentenalter, die verarmt sind, weil sie dereinst gezwungen worden sind, ihre Altersrücklagen aufzulösen - sollen andere bewältigen. Wer spart, ist dumm - diese haushaltspolitische Weisheit wird künftig auch einstigen Leistungsträgern eingebleut werden.

Daß durch diese Maßnahmen tatsächliche Hunderttausende ins Erwerbsleben zurückfinden, wie von den Machern von "Hartz IV" versprochen, will man da kaum glauben. In den entindustrialisierten Wirtschaftswüsten Mitteldeutschlands, wo die Hälfte der bisherigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe zu finden ist, wird auch der kräftigste "Tritt in den Hintern" die Menschen nicht in Arbeitsstellen bewegen können, die schlicht nicht da sind. Diejenigen, die es von vornherein darauf angelegt haben, den Sozialstaat auszuplündern und die Behörden hinters Licht zu führen, werden sich hingegen eben andere Wege suchen, um ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Wohlgemerkt: "Hartz IV" ist nicht ungerecht, weil härtere Ansprüche an die Empfänger staatlicher Transferleistungen gestellt werden. Die Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist vielmehr ungerecht, weil sie nicht differenziert zwischen Empfängern, die vorher einen Beitrag zur Solidargemeinschaft geleistet haben, und den zahllosen Trittbrettfahrern und blinden Passagieren des heruntergewirtschafteten deutschen Wohlfahrtsstaates. Auch die Gewerkschaften nehmen diese Differenzierung nicht vor - das macht ihre Kritik an der Schröder-Agenda so unehrlich und unglaubwürdig. Muß sich der arbeitslos gewordene langjährige Beitragszahler tatsächlich mit Arbeitsscheuen, Schmarotzern und Sozialbetrügern - ja, auch die gibt es bei uns - auf eine Stufe stellen lassen? Hat die Solidargemeinschaft wirklich dieselben Pflichten gegenüber dem eingewanderten Dauer-Sozialfall wie gegenüber dem in Not geratenen eigenen Bürger?

Ändert "Hartz IV" oder irgendein anderes Reformvorhaben von Regierung oder Opposition etwas an der explodierenden Sozialhilfequote bestimmter Einwanderergruppen? Wer so fragt, begibt sich auf ein Minenfeld. Um dort nicht in die Luft zu fliegen, lassen die sogenannten Volksparteien lieber ihre eigene Stammklientel die Zeche zahlen und bedrohen die bisherigen Leistungsträger mit sozialer Deklassierung.

Die neue Linkskonkurrenz aus Gewerkschaften und enttäuschten Sozialdemokraten baut dagegen "die Reichen" als untaugliches Feindbild auf, an dem man sich ersatzweise schadlos halten könnte. Eine Opposition, die die richtigen Fragen stellt und beantwortet, wird in Deutschland noch verzweifelt gesucht.


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