© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/04 16. Juli 2004

Ein Schlag ins Gesicht
Opfergedenken: In Sachsenhausen und Buchenwald wird weiterhin versucht, Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft die Gleichberechtigung zu versagen
Ekkehard Schultz

Der Konflikt um die Form der Bewertung von Opfern des nationalsozialistischen und des kommunistischen Terrors hält unvermindert an. Von den Anhängern der Klassifizierungstheorie wird weiterhin nicht nur das neue sächsische Gedenkstättengesetz (die JF berichtete) in Frage gestellt.

Auch an den lokalen Brennpunkten wie Buchenwald oder Sachsenhausen gibt es unvermindert Versuche, den Verfolgten des kommunistischen Terrors die Gleichberechtigung zu versagen. Noch vor einem Jahr hatte der Gedenkstättenleiter und Direktor der Gedenkstätten Brandenburg, Ravensbrück und Sachsenhausen, Günter Morsch, angemahnt, zur "nüchternen" und "sachlichen" Ebene zurückzukehren. Morsch selbst fuhr allerdings ebenfalls 2003 schwere Geschütze gegen die "Arbeitsgemeinschaft Sachenhausen 1945-1950 e.V." auf, indem er gegen die Wiedergabe eines versehentlich leicht entstellten Zitats vor Gericht klagte, wodurch das Verhältnis der Organisationen bis heute angespannt ist.

Der aktuelle Streitpunkt ist ein Antrag der Arbeitsgemeinschaft auf Genehmigung einer individuellen Gedenkstätte für die Opfer kommunistischen Terrors auf dem Lagergelände. Bereits Anfang dieses Jahres ließ Morsch dem Verband mitteilen, er wolle damit nur einmal die Reaktion der Gedenkstättenleitung nachprüfen, der Antrag sei "nicht ernst" gemeint. Auf Nachfrage eines Mitgliedes der Arbeitsgemeinschaft legt der Gedenkstättenleiter in einem aktuellen Schreiben nun noch einmal nach: Morsch wertet es als Beleidigung für die NS-Opfer, sollte es zur Errichtung einer solchen individuellen Gedenkstätte für die Opfer des sowjetischen Speziallagers kommen: "Es ist (... ) weder den Opferverbänden der Konzentrationslager noch offiziellen Repräsentanten (...) zuzumuten, dort einen Kranz niederzulegen, wo namentlich solchen Personen gedacht werden soll, die verbrecherischen NS-Organisationen angehörten." Zudem fragt der Vorsitzende der Gedenkstätte: "Halten Sie es wirklich für angemessen und zumutbar, die Überlebenden der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück, die unter den KZ-Wachmannschaften sehr gelitten haben, nicht nur zur Versöhnung, sondern zum ehrenden Gedenken von Männern und Frauen zu zwingen, die entweder an den Massenmorden in den Lagern persönlich mitwirkten oder sich an ihnen zumindest beteiligten?"

Rehabilitierung hat nichts mit Unschuld zu tun

Aus historischer Sicht ist allerdings leicht nachweisbar, daß nur ein Bruchteil aller Gefangenen der sowjetischen Speziallager derartige Verbrechen begangen haben kann. So war nach den Richtlinien der sowjetischen Besatzungsmacht bereits im Sommer 1945 festgelegt worden, ehemalige Angehörige von NS-Wachmannschaften unverzüglich aus den Lagern zu entfernen und anderen "Verwahrungsmöglichkeiten" zuzuführen.

Zudem gehörten keineswegs alle Häftlinge der NS-Konzentrationslager zu den Gruppen der politisch oder rassisch Verfolgten. Gerade in den Anfangsjahren gab es einen verhältnismäßig hohen Anteil von Gewohnheitskriminellen, denen auch nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zahlreiche Verbrechen zur Last gelegt werden konnten. Dies ändert freilich nichts an der Tatsache, daß die Einweisung in Konzentrationslager während der Haftstrafe oder darüber hinaus keineswegs zu rechtfertigen ist. Doch auch nach eindeutigen Indizien verurteilte Kriminelle dieser Jahre, die in KZs einsaßen, genießen heute den Status des NS-Opfers - ohne Differenzierung. In den letzten Jahren sind von seiten der zuständigen russischen Stellen eine Reihe von Rehabilitierungen für ehemalige Lagerinsassen erfolgt, die im Zuge von stalinistischen Schauprozessen zum Tode oder zu langjährigen Haftstrafen - in den meisten Fällen verbunden mit Verschleppung und Zwangsarbeit innerhalb des Territoriums der ehemaligen Sowjetunion - verurteilt worden waren. Morsch gibt nun jedoch an, daß die Rehabilitierungen lediglich auf der Basis des Charakters der Prozesse erfolgten, jedoch keineswegs aufgrund der Unschuld von Angeklagten: "Doch das impliziert nicht die Unschuld der Angeklagten im Hinblick auf die ihnen vorgeworfenen Verbrechen. Alle im Prozeß Angeklagten hatten zweifellos in verschiedener Form und in unterschiedlicher Intensität schwere strafrechtlich faßbare Verbrechen begangen." Eine solche Verallgemeinerung sind solche Äußerungen nur ein weiterer "Schlag ins Gesicht", so die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Gisela Gneist.


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