© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/04 16. Juli 2004

Meldungen

Gefährliche Liaison: Ökonomie und Forschung

BONN. Auf die begrenzte Reichweite ökonomischer Gesetze weist ausgerechnet Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, im Themenschwerpunkt über die "Ökonomisierung der Wissenschaften" hin, mit dem das Organ des Hochschullehrerverbandes sich in aktuelle bildungspolitische Debatten einschaltet (Forschung & Lehre 7/04). Vor einer "Ökonomisierung aller Lebensbereiche" müsse man keine Angst haben, weil die "Spielregeln der Wirtschafts- und Sozialordnung" nicht von Ökonomen festgelegt würden. Vielmehr herrsche noch immer der Primat gesellschaftlich vorgegebener Wertvorstellungen, die nach Walters Auffassung selbst über sehr weit gefaßte Definitionen von "Nutzen" hinausgingen. Weniger optimistisch schätzt der Philosoph Klaus Fischer (Trier) die Autonomie dieser "Wertsphäre" ein. Fischer weist auf höchst negative Effekte hin, die bei der "Vermischung von Wirtschaft und Wissenschaft" entstehen. So zeigen jüngere Untersuchungen, daß nur fünf Prozent industriegesponserter Studien über Krebsmittel zu negativen Schlüssen kamen. Von der Pharmaindustrie unabhängige Institute wiesen hingegen zu 38 Prozent auf "Risiken und Nebenwirkungen" hin. Die gesellschaftlichen Subsysteme Wissenschaft und Wirtschaft gehen also im Zeichen der Ökonomisierung eine gefährliche Liaison ein, die für die Nutznießer "drastische Konsequenzen" haben könne.

 

Plädoyer für ein langes 20. Jahrhundert

GÖTTINGEN. Keine andere historische Teildisziplin hat im letzten Jahrzehnt eine ähnliche Konjunktur erlebt wie die Wissenschaftsgeschichte. Es war darum wohl an der Zeit, daß sich auch das Organ der an dieser Erfolgsgeschichte weitgehend unbeteiligten Bielefelder Historischen Sozialwissenschaft, Geschichte und Gesellschaft (2/04), des Themas annehmen mußte. Herausgekommen ist ein konzeptionslos wirkendes Themenheft, das einer Gemischtwarentheke gleicht. Halbwegs innovativ ist allein der Beitrag der Kölner Wissenschaftshistorikerin Margit Szöllösi-Janze, die ihre "Überlegungen zur Neubestimmung der deutschen Zeitgeschichte über Verwissenschaftlichungsprozesse" präsentiert. Demnach sollen Zeithistoriker ihre Periodisierungsbemühungen nicht länger auf die politischen Zäsuren 1917/18, 1933, 1945 oder 1989 erstrecken. Die "Verwissenschaftlichung des Sozialen", die mit Bismarcks Sozialgesetzgebung einsetzt, ebenso wie die Ausrufung des "naturwissenschaftlichen Zeitalters" bald nach der Reichsgründung erlaube es, den Beginn der "Zeitgeschichte" ins 19. Jahrhundert zu verlegen und so die Historie eines "langen 20. Jahrhunderts" zu schreiben. Orientiert an der epochenbestimmten Herausbildung der "Wissensgesellschaft" stelle sich dann die Frage nach historischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten über vermeintliche Einschnitte und "Systembrüche" wie 1933 oder 1945 hinweg.


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