© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/04 16. Juli 2004

Die totale Antidiskriminierung
von Roland Baader

Der Vertrag von Amsterdam hat der Europäischen Gemeinschaft weitreichende Kompetenzen übertragen. Man sollte ihn deshalb Ermächtigungsvertrag nennen. Art. 13 ermächtigt die EG zur "Bekämpfung von Diskriminierung". Dabei geht es nicht nur um rassistisch motivierte Diskriminierung, sondern auch um Ungleichbehandlung aus Gründen der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, des Geschlechts und der sexuellen Ausrichtung, sowie aufgrund von Behinderung. Zu diesem Behuf hat der Rat der Arbeits- und Sozialminister der EU drei Richtlinien erlassen:

- Richtlinie 2000/43/EG (vom Juli 2000) zum Verbot von Diskriminierung aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft in den Bereichen Beschäftigung, Bildung, soziale Sicherheit und Gesundheitsdienste, Zugang zu Gütern, Dienstleistungen und Wohnraum. Diese Richtlinie war bis 19.07.2003 in nationales Recht umzusetzen.

- Richtlinie 2000/78/EG (vom Nov. 2000) zum Verbot von Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, von Alter, Behinderung oder sexueller Ausrichtung im Bereich der Beschäftigung; umzusetzen in nationales Recht bis 2.12.2003.

- Richtlinie 2002/73/EG, umzusetzen bis 5.10.2005.

Im Zentrum steht wohlgemerkt die zivilrechtliche Umsetzung der Richtlinien. Das Bundesjustizministerium unter Hertha Däubler-Gmelin legte im Dezember 2001 einen Gesetzesentwurf vor, der weit über die Vorgaben der Richtlinie 2000/43/EG (Rasse und ethnische Herkunft) hinausging und auch die Merkmale Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität als zivilrechtliche Diskriminierungsmotive umfaßte. Außerdem sah der Entwurf eine Umkehr der Beweislast vor, d.h. nicht der Kläger soll seine Diskriminierung belegen - sondern der verdächtigte Diskriminierer soll seine Unschuld (fehlende Diskriminierungsabsicht) beweisen.

Aufgrund massiver Einwände wurde der Entwurf 2002 wieder zurückgezogen. Im März 2003 ließ Justizministerin Zypries verlauten, die Richtlinie nur noch "1 zu 1" (gemäß Mindestvorgabe der EU) umsetzen zu wollen. Im Dezember 2003 drohte die EU-Kommission mit einer Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof, weil beide Richtlinien noch nicht im nationalen Recht verankert waren. Zypries wollte bis zum 30. Juni 2004 einen Neuentwurf vorlegen. Diese Frist ist verstrichen. Die rot-grüne Regierung hat sich darauf geeinigt, die Umsetzung auf zwei Fachressorts aufzuteilen: a) Ein "Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierung im Arbeits- und Sozialrecht" (mit dem umfassenden Katalog aller möglichen Diskriminierungsmotive) soll in Zusammenarbeit von Familienministerium und Ministerium für Wirtschaft und Arbeit entworfen werden, und b) ein "Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierung im Zivilrecht" vom Justizministerium. Ersteres liegt offenbar zur Einführung bereit; um letzteres wird noch gestritten. Wir dürfen also noch kurze Zeit gespannt sein: Wird es in Deutschland nur dunkel - oder bockfinstere Nacht?

"Wieso finster?", fragt Otto Normalbürger. Gegen Diskriminierung zu sein, ist doch eine gute Sache.

Wie bei so vielen Begriffen, wurde auch der Terminus Diskriminierung von der kulturrevolutionären Linken besetzt und mit falschem Inhalt gefüllt. Das lateinische discriminare heißt trennen, unterscheiden. In rechtlicher Hinsicht hat es die Bedeutung ungleich behandeln angenommen. Zu Recht verbietet der Grundgesetzartikel 3 jegliche Form der Benachteiligung oder Bevorzugung einer Person aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, Glaubens usw. Aber dieses Verbot richtet sich ausschließlich auf das Verhältnis Staat zu Bürger. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Grundpfeiler des Rechtsstaats. Der Staat darf sein potentiell gefährliches Gewaltmonopol niemals dazu mißbrauchen, seine "Untertanen" ungleich - und damit nach Belieben - zu behandeln. Die Bürger aber haben keinerlei Recht auf Ausübung von Gewalt, Zwang und Herrschaft. Ihre Interaktionen müssen friedlich verlaufen und sich auf freiwillig geschlossene Verträge beschränken. Im Privatleben hat das Gleichheitsprinzip deshalb nichts zu suchen, jedenfalls nicht als rechtsverbindliche Vorgabe.

Weil alle Menschen verschieden sind und unterschiedliche Vorlieben und Abneigungen haben, unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse, Ziele, Vorstellungen, Fähigkeiten etc. - sowie den verschiedenartigsten Gegebenheiten und Notwendigkeiten unterliegen, gehört es selbstverständlich zum Wesen und zum Leben einer jeden Person, daß sie Andere unterschiedlich bewertet und behandelt. Deshalb würde ein Gebot der wechselseitigen Gleichbehandlung der Menschen untereinander alles Leben ersticken und alle Freiheit zerstören. Wenn sie überhaupt überleben könnten, dann nur als ameisenhafte, ihres Menschseins beraubte Befehlsempfänger. Deshalb ist der Diskriminierungsbegriff oder das Gleichbehandlungsgebot im Privatrecht (wozu auch die berufliche und geschäftliche Sphäre gehören) ein Fremdkörper, ein eitriges Geschwür. Würde man hier jede Ungleichbehandlung als Diskriminierung bezeichnen, dann würde jeder Mann, der eine Frau heiratet, alle anderen Frauen diskriminieren, dann würde jede Person, die in ein Restaurant geht, alle anderen Wirte oder Köche diskriminieren, und jeder Mensch würde bei jedem Vertragsschluß mit irgend jemandem alle anderen Menschen als potentielle Vertragspartner diskriminieren. Ein abstruser Unsinn.

Auf ein derart pervertiertes Menschenbild und eine solche Auslöschung der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit (als dem Wesenskern aller Freiheit) zielen die Antidiskriminierungsgesetze der rot-grünen Koalition (und der EU). Die meisten Befürworter der Gesetze räumen sogar ein, daß es sich dabei um Eingriffe in die Privatautonomie handelt, behaupten aber, dies sei "notwendig", weil die "grenzenlose" Privatautonomie zum "Recht des Stärkeren" führe. Ob dem Einzelnen eine Ungleichbehandlung von Mitmenschen erlaubt oder untersagt werden soll, sei politisch zu entscheiden. Das bedeutet im Klartext: Parteikader, Bürokraten und Interessenverbandsfunktionäre basteln sich im Namen der "Moral" Entscheidungsinstanzen über die Privatbeziehungen aller Bürger. Damit wird das Individuum kollektiviert und der Rechtsstaat weicht dem totalitären Gesinnungsstaat. Ein Privatrecht ohne freie Wahl der Vertragspartner ist nur noch eine leere Worthülse.

Der Vertrag, das Recht zum freien Vertragsschluß, steht in unmittelbarer Verbindung zum Eigentum. Das Wesen des Privateigentums besteht im sogenannten Ausschlußrecht. Das heißt: Man kann nur dann von Eigentum sprechen - und Eigentum ist nur dann von Wert für den Einzelnen, wenn er bestimmte Andere davon in freier Entscheidung ausschließen kann. Wenn ich nicht mehr bestimmen kann, wer mit meinem Auto fahren darf und wer nicht - egal aus welchen Gründen und Motiven -, dann ist mein Eigentumsrecht am Auto schwerwiegend entwertet. Der Wesenskern der persönlichen Freiheit ist das Eigentum eines jeden Menschen. Die Zerstörung des Eigentums durch Kriminalisierung des Ausschlußrechts bedeutet zugleich Auslöschung der Person und ihrer Freiheit. (Das gilt natürlich auch für "nur" graduelle Minderungen des Eigentumsrechts).

Mit einem solchen Antidiskriminie-rungsgesetz (oder -gesetzen) wird der Abschluß, die Veränderung oder Beendigung von Verträgen zum unkalkulier-baren Risiko. Wenn ein Vermieter mit 10 Bewerbern für eine Wohnung spricht und mit dem 11. Bewerber abschließt, muß er damit rechnen, von den übrigen 10 verklagt zu werden und zehn Prozesse führen zu müssen. Ein Blick auf die Abmahnvereine in Sachen "Vergleichende Werbung" zeigt, daß sich für solche Horrorszenarien rasch Anwälte und Ver-bandsfunktionäre als professionelle Dauer- und Massenkläger einfinden werden. Bewerbungs- und Einstellungsgespräche von Unternehmern oder Personalchefs werden zum gefährlichen Eiertanz mit staatsanwaltlicher Begleitmusik. Sicherster Ausweg: Überhaupt niemanden mehr einstellen. Die christlichen Kirchen können ebenfalls einpacken. Wer als Priester den Islam als Weg zu Gott verneint oder Homosexuellen die kirchliche Trauung verweigert, kann den Talar gleich ausziehen. Das kommt dabei heraus, wenn Kirchen das fast 1000seitige Sozialgesetzbuch mit der göttlichen Offenbarung gleichsetzen und den irdischen Samtpfotensozialismus mit dem Himmelreich verwechseln. Am Ende des Irrwegs wird eine neue weltweite Christenverfolgung stehen.

Nicht nur die Freiheitsverluste des Antidiskriminierungswahns werden ungeheuerlich sein, sondern auch die finanziellen Kosten für die Bürger. Allein die den Versicherungsgesellschaften aufgezwungenen "Unisextarife", mit denen der Zusammenhang zwischen Prämien und individuellen Risiken zerrissen wird, werden Milliardensummen verschlingen.

Die nationalen Antidiskriminie-rungsgesetze sind aber wohlgemerkt nur der Punkt auf dem i. Die Fallen sind längst gelegt. Die Soft-Sozialisten in allen Regierungen Europas haben längst den Staats- und Gesellschaftsbegriff ausgetauscht: Weg von der Rechtsge-meinschaft und hin zur "Wertegemein-schaft". Da die Erziehung eines "neuen Menschen" unter allen Formen und Systemen des Sozialismus gescheitert ist, versucht man es jetzt (leider erfolgreich) auf dem Umweg "Antirassismus", indem man diesen Begriff so weit auslegt, daß in Europa jeder Konservative, jeder Patriot und jeder Gegner einer uferlosen Einwanderung, eines schrankenlosen Multikulturalismus und eines unbeschränkten Sozialstaats - kurz: jeder Nicht-Linker - als "Rassist" und "Dis-kriminierer" bezeichnet werden kann, dessen Äußerungen unter Strafe zu stellen sind.

Wie einst bei den roten Sozialisten des Ostens und den braunen Sozialisten Deutschlands werden die "Gemein-schaftswerte" über die Freiheitsrechte der Person gestellt. Grundwerte statt Grundrechte. Die Neutralität des Staates gegenüber den Werthaltungen der Gesell-schaftsmitglieder wird aufgegeben. Schon die Grundrechtscharta der EU mit ihren 15 Diskriminierungsverboten und ihrer Einschränkungsermächtigung für Grundrechte und Freiheiten (wie der Meinungsfreiheit) "falls notwendig" (Art. 52) ist eine Proklamation des latenten Totalitarismus.

Der Katalog der Grundrechte ist von einem Schutzschild der Bürger gegen den Staat zu einer Waffe des Staates gegen die Bürger geworden - und zum Blasebalg für die Feuer des strafrechtlich bewehrten Gesinnungskrieges der Bürger gegeneinander.

Von all dem aber erfahren die Bürger kaum etwas. Die Massenmedien "enthüllen" zwar alles (mit Vorliebe private Dinge, die niemanden etwas angehen), nur nicht die elementaren Grundsätze von Recht und Freiheit; ebensowenig die raffinierten Mechanismen des gesellschaftlichen Umsturzes in eine Meinungsdiktatur mit vollständiger Politisierung des privaten Lebens. Nur wenige mutige Stimmen klären darüber auf, wie der Robespierresche Tugendterror geboren wird, wenn der Staat die Moral politisiert und die Regeln der privaten Ethik in strafrechtlich verbindliche Rechtsnormen umgießt. Ernst-Joachim Mestmä-cker, ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut, schrieb im Handelsblatt vom 31.10.2001: "Eine Wertegemein-schaft unterscheidet sich... grundlegend von einer Gemeinschaft des Rechts... Es mag von einer Mehrheit der Gesellschaft für tugendhaft gehalten werden, bestimmte Werte zu achten und sie zu verwirklichen, aber in einer freien Gesellschaft sind sie im Gegensatz zu den Rechtspflichten nicht erzwingbar... Wo das richtige Bewußtsein, das Wertebewußtsein zumal, zur Pflicht erklärt wird, bleibt dem Untertan nur die Wahl zwischen Bekenntnis und Emigration."

Noch grundsätzlicher hat der Schweizer Sozialphilosoph Robert Nef die für die offene Gesellschaft so überlebens-wichtige Unterscheidung zwischen Ethik und Recht dargelegt. "Die Ethik", schreibt Nef, "lebt von der Freiwilligkeit, sie besteht aus Pflichten, die [von den meisten Bürgern] aus freien Stücken ohne äußeren Zwang übernommen werden. Das Recht ist seinem Wesen nach mit... Zwang verbunden. Es ist das gemeinsam verbindlich zu erklärende ethische Minimum. Es ist eine irrige Auffassung, daß man ein Maximum an ethischen Normen als rechtsverbindlich in Gesetze einbringen sollte. Das Recht regelt das äußere Verhalten - ohne sich um Gesinnung zu kümmern. Es verlangt [in einem Rechtsstaat] das ethische Minimum." (Reflexion vom Januar 2001)

Die Soft-Sozialisten Europas haben sich lange Zeit darauf konzentriert, die Regeln der ("bürgerlichen") Moral zu zerstören. Dieses Werk ist vollbracht. Jetzt gehen sie daran, einen "Moralkodex" für das zu entwerfen, was geschrieben und gesagt werden darf. Bald werden auch Zeitungsartikel wie der vorstehende nicht mehr möglich sein. Der Jura-Professor Johann Braun (Uni Passau) hat es auf den kurzen Nenner gebracht: "Deutschland wird wieder totalitär." Und ich ergänze: Die Farbenlehre zeigt, daß aus Rot und Grün bei bestimmter Mischung leicht Braun werden kann. Wo ist in diesem Land die Opposition, die der Bevölkerung klar macht, was wirklich geschieht, wenn mit den Antidiskriminierungsgesetzen das Eigentums- und Vertragsrecht stranguliert wird. Der Stick dazu ist bereits gedreht. Demnächst wird in Berlin noch ein wenig darüber geschwätzt werden. "Uneinigkeit zwischen Regierung und Opposition herrscht noch bezüglich der Punkte x und y", wird dann vermeldet werden. Doch was der Bürger für eine politische Bühne hält, ist sein Schafott.

 

Roland Baader ist Diplomvolkswirt und Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihm "Totgedacht. Warum Intellektuelle unsere Welt zerstören", Resch-Verlag, Gräfelfing 2002.

Bild: Umbo (Otto Umbehr), Kinder 1928/29: Erst wenn alle sich völlig gleichen, ist die Gefahr der Diskriminierung hundertprozentig ausgeschlossen.


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