© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/04 16. Juli 2004

CD: Jan Degenhardt
Liederjan
Jens Knorr

Der Liedermacher, Schriftsteller und Rechtsanwalt Franz-Josef Degenhardt, "Väterchen Franz", hat einen Sohn. Das ist die gute Nachricht. Der Sohn heißt Jan Degenhardt und arbeitet als Rechtsanwalt in Greifswald. Das ist nicht unbedingt eine schlechte Nachricht. Jan Degenhardt singt einfach gern. Das ist die Nachricht, die uns angeht. Denn Jan Degenhardt singt nicht ausschließlich für sich, sondern auch für andere. Ihn suchen nämlich nicht nur Klienten auf, sondern auch Themen, die danach lechzen, ausgedrückt zu werden, künstlerisch-musikalisch, versteht sich.

Einmal hat Jan Degenhardt während eines juristischen Seminars aus dem Fenster auf den Berliner Marathon gesehen, und von der Straße her hat der Marathon hoch zu Jan hinterm Fenster gesehen. Er hat sehr traurig ausgesehen, der Marathon, weil er sich nicht hat aussuchen können, wer bei ihm so alles mitlaufen darf. Und so war nur wenig repräsentables, dafür umso zeitgeistigeres Personal für einen neuen anachronistischen Zug zusammengekommen. Da ist der Jan ganz kritisch geworden und hat den Marathon durch Samba-Rhythmen ausgedrückt. Immer weiter, immer schneller, immer blinder.

Einmal hat sich der Jan vorgestellt, wie einer fragt, ob ihn der andere noch liebe, und darauf keine Antwort bekommt. Und weil ja das Gemeine an der Liebe ist, daß man da nie eine Antwort bekommt, ist der Jan ganz sentimental geworden und seine Stimme ganz plärrig und hat all seine bangen Fragen durch südamerikanischen Jazz ausgedrückt. So hab' ich's nicht gemeint, oder hab' ich doch? Oder hab' ich doch? Hab' ich doch?

Einmal hat der Jan um Mitternacht eine E-Mail gekriegt, von Laura, die da gerade in Miami war und leer und alle Träume ausgeträumt hatte und ins Meer gehen wollte. Da hat ihr der Jan wütend zurückgeschrieben, daß er sie bräuchte und sie es sich doch noch einmal überlegen solle. Am Morgen schrieb die Laura, die es sich offensichtlich doch noch einmal überlegt hatte, daß ihr der Ozean einfach viel zu kalt gewesen sei. Da ist dem Jan aber ein Stein vom Herzen gepurzelt, und er hat seine nächtlichen Gefühle durch eine Melange aus Pop, Soul und Funk ausgedrückt.

Einmal hat dem Jan ein gutes Chanson von Jacques Brel, "Madeleine", besonders gut gefallen, da hat er es ins Deutsche übersetzt und gefällig arrangieren lassen. Nun heißt es "Maddeläähne" und klingt ein wenig nach kubanischem Dudelfunk, aber immer auch noch ein wenig nach Brel. Ein anderes Mal hat dem Jan ein nicht so gutes Chanson von Klaus Hoffmann, "Mein Hund ist schwul", besonders gut gefallen. Und weil er die Vorstellung ganz toll ausgedrückt fand, daß ein kleiner Kampfhund die anderen Kampfhunde nicht zerfleischt und tötet, sondern sich dafür entscheidet, sie zu lieben und zu begehren, da hat er das Lied gleich nachgesungen. Wer nun denkt, der Hund von Herrn Hoffmann wäre schwul oder der von dem Jan, der liegt ganz falsch. Das Lied wirbt nämlich nicht um Toleranz und Akzeptanz schwuler Hunde, sondern um Toleranz und Akzeptanz des schwulen Mitbürgers, dessen Art zu leben, sagen wir mal, ein Zahnarztehepaar aus Greifswald in dem schwulen Hund aus dem Lied wiedererkennen kann. Und vielleicht die eine Ehehälfte des Zahnarztehepaars auch die schwule Seite der anderen Hälfte. Die gäben dann eine interessante Klientel für Greifswalder Scheidungsanwälte ab.

Jan Degenhardts Debut-Album "Aufbruch" von 1999 (Pläne 88836) belegte den zweiten Platz beim "Deutschen Folk-Förderpreis 2000". Die neue CD "Stimmen hinter'm Spiegel" (ebenfall bei Pläne), von der hier fünf Titel vorgestellt wurden, erscheint vollständig im September. Und dann wird nichts mehr so sein, wie es war. Wenigstens für Kampfhunde.


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