© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/04 23. Juli / 30. Juli 2004

Kein Huckepack mehr
Verkehrspolitik: Ende der "Rollenden Landstraße" belastet Anwohner und Umwelt im Erzgebirge / Autobahnbau verzögert sich
Paul Leonhard

In Dresden sind die Schilder schon fast alle abmontiert. Sie wiesen zehn Jahre lang die Fahrer internationaler Speditionen zum Friedrichstädter Güterbahnhof, zum Huckepacktransport der Lastwagen auf der Schiene von der sächsischen Landeshauptstadt ins böhmische Lobositz (Lovosice). Die "Rollende Landstraße" (Rola), ein prestigeträchtiges Projekt der CDU-Staatsregierung, wird damit beerdigt. Ohne ihr Ziel erreicht zu haben. Im Gegenteil.

Die nur 150 Kilometer lange Autobahn 17 von Dresden nach Prag ist immer noch nicht fertig - sie hat alle Chancen, zumindest von der Bauzeit her die längste der Welt zu werden. Und mit der EU-Erweiterung sind auch alle Verkehrsprognosen eingetroffen. So sind zwar die kilometerlangen Lkw-Staus an den deutsch-polnischen Autobahngrenzen verschwunden, dafür stöhnen die Einwohner des Osterzgebirges wieder unter der Belastung durch den Transitverkehr. Seit Mai ist hier das Verkehrsaufkommen rapide angestiegen.

Täglich quälen sich Hunderte Brummis die schmale Bundesstraße durch das Gebirge hinauf zum deutsch-tschechischen Grenzübergang Zinnwald. 700 Höhenmeter mit Steigungen von sechs bis zehn Prozent, zahlreichen engen Kurven und Ortsdurchfahrten, die teilweise lediglich fünf Meter breit sind. Dazu kommen die Witterungsbedingungen im Winter und der schlechte technische Zustand vieler osteuropäischer Lkw. Erst Mitte Juni war ein mit Klebstoff beladener tschechischer Sattelschlepper in Kippsdorf umgekippt und hatte zu einer Vollsperrung der Straße geführt.

Vor allem ist es die schnelle Abfertigung an den modernen Grenzanlagen, die den Schwerlastverkehr magisch anzieht. Auch die Zahl der Gefahrguttransporte ist angestiegen. Seit die Tschechei in der EU ist, sind die Möglichkeiten entfallen, mit der die sächsische Regierung die Lastwagen auf die Schiene lockte. Dafür kocht auf beiden Seiten des Gebirgskammes die Volksseele in den Dörfern und Städten entlang der Transitstraße. In der ersten Mai-Dekade registrierte das Bundesgrenzschutzamt Chemnitz am Übergang Altenberg 15.230 Lastwaren, täglich etwa 1.500.

Dazu kommen fast 31.000 Personenwagen. Landrat Bernd Greif (CDU) zählte gar an einem Tag Mitte Mai 2.900 Lkw in Altenberg. Das Prager Magazin Respekt meldete einen Anstieg des Schwerlastverkehrs im sächsisch-böhmischen Gebiet nach dem EU-Beitritt von 33 Prozent. Am 19. Juni fuhr der letzte Zug auf der "Rollenden Landstraße". Trotz zunehmend leerer Kassen pflegte zunächst auch Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) das Projekt seines Vorgängers Kajo Schommer (CDU) - in seltener Rückendeckung von allen Parteien. Und das obwohl der Huckepack den sächsischen Steuerzahler jährlich fünf Millionen Euro kostete.

Die EU-Erweiterung war paradoxerweise der Todesstoß: die Auslastung sank auf unter zehn Prozent. Die Rola drohte trotz tschechischer Zuschüsse von 2,5 Millionen Euro zum Faß ohne Boden zu werden. Der Unmut der Anwohner wächst nun wieder - wie vor fast zehn Jahren. Der erste Zug rollte am 25. September 1994. Die Spediteure wurden mit viel Geduld, Raffinesse, sanftem Druck und nicht zuletzt finanziellen Anreizen auf die Schiene gelockt.

Daß mit sächsischen Steuermitteln sogar ein "Container-Puff" in Lobositz eingerichtet wurde, weil die osteuropäischen Zuhälter entlang der "Straße der Schande" (E55), die um ihre Einnahmen fürchteten, sonst mit "Unfällen" drohten, wird allerdings auch heute noch offiziell dementiert. Die Transportunternehmen konnten vor allem mit kalkulierbaren Transportzeiten und einem relativ einfachen Prüfverfahrens beim Überschreiten der EU-Außengrenze gelockt werden. Immerhin betrugen die Wartezeiten im sächsisch-böhmischen Grenzort Zinnwald für Schwerlastverkehr nach Deutschland durchschnittlich 18 und in die Gegenrichtung elf Stunden. So stieg die Auslastung des Huckepacktransports von Jahr zu Jahr. Im Jahr 2000 rollten mehr als 103.000 Lastwagen auf der Rola über die Grenze. Der gemessene Schadstoffausstoß und die Unfallzahl im Erzgebirge reduzierten sich erheblich.

Die gestreßten Einwohner atmeten auf. Doch um profitabel zu sein, war die 118 Kilometer lange Bahnstrecke viel zu kurz und die eingesetzte Technik zu veraltet. Der Bahntransport des gesamten Lasters samt Fahrer verursacht wesentlich höhere Kosten als die Verfrachtung der Waren im Container. Überdies ist die Anschaffung der Rola-Spezialwagen zehnmal teuerer als ein Güterwaggon. Zur geforderten Weiterentwicklung der Rola zum kombinierten Ladungsverkehr per Container und vor allem ohne Fahrer ist es aber nie gekommen. Private Pläne einer Verlängerung der Rola scheiterten ebenso.

Es blieb trotz Preiserhöhungen für die einfache Fahrt von 60 Euro (2000) auf 78 Euro (2003) ein Zuschußgeschäft. Die größte Achillesferse des Schienentransportes war die Dauer des Verladens. Dazu kamen die vielen Baustellen und die geringe Geschwindigkeit auf der 150 Jahre alten Bahnstrecke nach Prag. Auch das Jahrhunderthochwasser des Sommers 2002, das die Transitstraße B170 so stark beschädigte, daß sie für den Schwerverkehr monatelang gesperrt blieb, "half" der Rola.

Auch jetzt fordern die Anlieger eine Sperrung der Transitstraße und ein sofortiges Nachtfahrverbot. Die sächsische Opposition unterstützt das Anliegen, obwohl SPD-Landeschefin Constanze Krehl als EU-Parlamentarierin genau weiß, daß die Umsetzung dieser Forderung nicht rechtens wäre und Schadensersatzansprüche der Spediteure gegen den Freistaat zur Folge hätte. Auch Sitzblockaden von Kommunalpolitikern und absichtliches Langsamfahren von Bürgerinitiativen können die Lkw-Lawine nicht zum Stoppen bringen.

Auch sogenannte Trailerzüge, bei denen Sattelauflieger in fünf Minuten vom Lkw direkt auf Eisenbahndrehgestelle geschoben werden, sind Zukunftsmusik. Deren kostenintensive Anschaffung scheuen die Spediteure. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) will diese Situation entschärfen, indem der Verkehr auf mehrere Grenzübergänge wie Reitzenhain bei Chemnitz verteilt wird. Eine Lösung ist das nicht. Es bleibt die Hoffnung, daß die A17 nach Prag möglichst schnell fertig wird. Bisher haben das deutsche und tschechische Umweltinitiativen erfolgreich verhindert. Zur Zeit rechnet man mit einer kompletten Fertigstellung der A17 nicht vor 2007.


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