© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/04 06. August 2004

Die Frage nach der Redlichkeit
SED-Unrecht: Um ausreisen zu dürfen, mußten viele DDR-Bürger ihre Häuser und Grundstücke weit Wert verkaufen
Ekkehard Schultz

Auch nahezu 15 Jahre nach dem Ende des kommunistischen Systems in Mitteldeutschland sind die Folgen der totalitären Herrschaft noch längst nicht überwunden. Nicht nur der daraus resultierende vollständige Zusammenbruch des Wirtschaftssystems, sondern auch viele ungeklärte Eigentumsverhältnisse behindern die Entwicklung der neuen Bundesländer weiterhin gravierend.

Bekannt ist, daß Oppositionelle und Antragsteller auf ständige Ausreise aus der DDR nicht nur mit "politisch-operativen Maßnahmen" durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gegen ihre eigene Person sowie gegen Familienangehörige rechnen mußten. Häufig war die "Resistenz" mit dem Verlust der nahezu kompletten materiellen Basis verknüpft: Besonders auf Eigenheime, Grundstücke und Sammlungen hatten es die staatlichen Organe abgesehen. Die Betroffenen befanden sich in einer denkbar ungünstigen Situation: In den meisten Fällen mußten sie ihre Häuser und Grundstücke weit unter Wert, teilweise sogar ohne jede reelle Entschädigung, verkaufen, um überhaupt eine Genehmigung zur Ausreise aus der DDR zu erhalten.

Nach der Vereinigung von West- und Mitteldeutschland und der Angleichung der Rechtssysteme versuchten viele ehemalige Besitzer Restitutionsansprüche durchzusetzen. Rechtliche Grundlage war in erster Linie das "Gesetz zur Regelung offener Vermögensansprüche". Obwohl die dortigen Ausführungen klar und deutlich formuliert zu sein schienen, offenbarten sich schnell entscheidende Lücken, die wiederum dazu führten, daß viele Urteile zuungunsten der Ex-Besitzer der Immobilien ausfielen.

Zentraler Punkt war die Frage, ob die Käufer "in redlicher Weise an dem Vermögenswert Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte erworben haben". Dieser Grundsatz, der häufig nur eine einfache gerichtliche Erklärung der Erwerber voraussetzte, war in vielen Fällen mühelos zu erfüllen.

Weitaus schwieriger war der zur Restitution von ehemaligen Eigentümern notwendige Gegenbeweis zu erbringen, daß die Erwerber "nicht in Einklang mit den zum Zeitpunkt des Erwerbs in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften" gehandelt hätten, "die Erwerber durch Korruption oder Ausnutzung einer persönlichen Machtstellung" Grundstücke erworben oder sich eine "selbst oder von dritter Seite herbeigeführten Zwangslage oder Täuschung des ehemaligen Eigentümers zunutze" gemacht hätten. Im Zweifelsfall neigten Richter oft dazu, den Einlassungen der Käufer zu glauben und damit den Antrag auf Restitution abzuweisen.

Daß sich jedoch auch in Fällen, in denen mehr als deutliche Belege für einen nicht "redlichen Erwerb" vorlagen, die ehemaligen Eigentümer keineswegs sicher sein konnten, ihren Antrag auf Rückübereignung durchzusetzen, unterstreicht das Beispiel der Familie Popp, die bis zum August 1989 in Weixdorf bei Dresden lebte. Die Popps hatten 1986 einen Ausreiseantrag gestellt. Im Frühjahr 1989 schien sich eine Möglichkeit der Beschleunigung der Ausreise durch einen Verkauf des Grundstückes zu bieten.

Obwohl der Wert des Hauses auf über 135.000 Mark geschätzt worden war und die Popps auf der Zahlung dieser Summe bestanden, wurde ihnen von den Käufern nur eine Summe von 120.000 Ost-Mark geboten, die jedoch insofern keinen Verhandlungsgegenstand darstellte, da das MfS den Popps die ultimative "Alternative" vor Augen führte, entweder zu diesem Preis zu verkaufen und ausreisen zu können oder in der DDR verbleiben zu müssen.

"Ein klassischer Fall von Machtmißbrauch"

In dem vom Notar Wünsche am 9. August 1989 aufgesetzten Vertrag wurde diese Differenz zum zunächst vereinbarten Preis mit der "baulichen Beschaffenheit" des Grundstückes begründet: eine offensichtliche Falschinformation, denn die Käufer - denen die Situation der Popps bekannt war - hatten bei der Weigerung, den höheren Betrag zu zahlen, niemals Baumängel oder ähnliches moniert. Damit lag eine offensichtliche Beurkundung falscher Tatsachen vor.

Nach der Wiedervereinigung stellten die Popps einen Antrag auf Restitution, dem zunächst gute Chancen eingeräumt wurden: 1991 bescheinigte das Landratsamt Dresden, in dem Verkauf im Jahre 1991 einen "geradezu klassischen Fall von Machtmißbrauch und Korruption" zu sehen, "der redlichen Erwerb im Sinne des Paragraph 4, Abs. 2 des Vermögensgesetzes ausschließt". 1992 wurde dem in offensichtlicher MfS-Auftragstätigkeit stehenden Notar Wünsche die Konzession entzogen.

Dennoch entschied am 2. März 1993 das Verwaltungsgericht Dresden, den Antrag auf Restitution zu verwerfen. Die Anträge auf ein Revisionsverfahren werden von mehreren Instanzen abgelehnt.

Das Verfahren gegen die Käufer des Grundstückes wegen falscher Angaben vor Gericht wird ebenso eingestellt wie gegen eine Beamtin der Abteilung Beurkundungen des Nachlaßgerichtes Dresden wegen einer fehlerhaften Erstellung einer "beglaubigten Kopie", die für den Nachweis eines unredlichen Erwerbs des Grundstückes dringend notwendig gewesen war.

Die Chancen der Popps, nach den bisherigen vergeblichen Anläufen doch noch recht zu erhalten, sind zwar durchaus vorhanden, jedoch im Laufe der letzten Jahre eher kleiner geworden. So ist seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 4. Februar 2000 die Feststellung der Nichtigkeit von Kaufverträgen in der ehemaligen DDR noch mehr zu einer Ermessensfrage geworden.

Laut BGH ist ein solcher Vertrag "sittenwidrig" und damit unwirksam, wenn "Grundstück und Kaufpreis in auffälligem Mißverhältnis zueinander stehen". Nähere Ausführungen, was ein "auffälliges Mißverhältnis" sein könnte, werden jedoch nicht gemacht, sondern ein Erwägen einzig der Beurteilung des zuständigen Gerichts überlassen.

Ein erheblicher Teil kommunistischen Unrechts wird zwangsläufig auch weiterhin nicht nur auf politischem, sondern auch auf wirtschaftlichem Gebiet unangetastet bleiben. Daß sich auf dieser Basis ein stärkeres Vertrauen in den Rechtsstaat gerade bei denjenigen entwickeln könnte, die gegenüber totalitären Versuchungen resistent geblieben sind beziehungsweise Widerstand geleistet haben, ist unwahrscheinlich.


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