© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/04 06. August 2004

Frisch gepresst

Stromlinienseelen. Obwohl Springer-Journalisten, die angeblich arbeitsvertraglich zu wohlwollender Beurteilung der USA und Israels verpflichtet sind, lieber nicht mit Fingern auf den Opportunismus toter Berufskollegen zeigen sollten, war Sven Felix Kellerhoff, der Zeithistoriker der Welt, vor einigen Wochen als erster zur Stelle, als es galt, die noch druckfrische Biographie Christian Härtels über den NS-Journalisten Wilfrid Bade zu rezensieren. Vielleicht war es also doch ein wahlverwandtes Gefühl, das Kellerhoff trieb, seinen Lesern zu empfehlen, sie möchten bitte einmal mit dieser prototypischen "Stromlinienseele" Bekanntschaft schließen. Bade, Jahrgang 1906, Autor einer frühen Goebbels-Biographie, Referent in des "kleinen Doktors" Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, zeitweise Vertreter des Reichspressechefs im Führerhauptquartier, war ein Mann eher aus der zweiten, "technokratischen" Reihe der NS-Elite. Für Härtel eine willkommene Gelegenheit, um jüngere Erklärungsmuster zu erproben, die Bades Jahrgangsgenossen im Sicherheitsdienst der SS weniger durch Ideologie als durch "Sachlichkeit" geprägt sehen. Schon Herbert Marcuse, in Diensten des US-Geheimdienstes, glaubte 1942 von der jungen NS-Funktionselite, sie werde von "zynischer Sachlichkeit" geleitet, und Härtel entwickelt aus dieser Behauptung den roten Faden seiner Darstellung. Erstaunlich ist dabei, wie viele Quellen Härtel über diesen 1945 verschollenen, 1950 für tot erklärten Kulturfunktionär seit 1999 noch erschließen, wie viele Zeitzeugen, unter ihnen Elisabeth Noelle-Neumann, er noch zum Sprechen bringen konnte. Entstanden ist ein mit detektivischem Gespür zusammengesetztes Lebenspuzzle, das den NS-Makrokosmos im Mikrokosmos einer keineswegs NS-spezifischen Opportunistenkarriere widerspiegelt (Stromlinien. Wilfrid Bade - Eine Karriere im Dritten Reich, be.bra Verlag, Berlin 2004, 287 Seiten, Abb., 24,90 Euro).

Selbstbekenntnis. Bücher über die Gefahren des Islamismus haben derzeit Hochkonjunktur. Die Gebrüder Yavuz und Gürhan Özoguz bezichtigen sich selbst des "Fundamentalismus" - und provozieren dadurch. Dabei wird das alles längst nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Schnell wird klar, daß die beiden praktizierenden Schiiten türkischer Herkunft mit deutschem Paß damit eine andere Perspektive meinen. Die sehr persönlich gehaltenen Ausführungen der beiden bekennenden Möllemann-Fans zeigen die Reibungspunkte auf, die Mus-limen begegnen, die sich zwar beruflich und sprachlich voll in Deutschland integrieren, aber die westliche "Spaßgesellschaft" ablehnen. Es wirkt nur zuweilen befremdlich, wenn die Autoren erklären, weshalb sie Frauen (außer den eigenen Ehefrauen) nicht die Hand geben oder Veranstaltungen meiden, auf denen Alkohol getrunken wird (Wir sind "fundamentalistische Islamisten" in Deutschland, Betzel Verlag, Nienburg 2003, 301 Seiten, 15 Euro).


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