© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/04 13. August 2004

PRO&CONTRA
Montagsdemos: In der Tradition von 1989?
Georg Emmermann / Siegmar Faust

Der Begriff "Montagsdemonstration" steht für den ehemaligen DDR-Bürger in der Tradition der friedlichen Durchsetzung politischer Ziele. Jedem ehemaligen DDR-Bürger kommt es viel eher zu als Bundeswirtschaftsminister Clement, über die Tradition und die Angemessenheit des Begriffs der Montagsdemonstration im Zusammenhang mit den aktuellen Demonstrationen an Montagen zu befinden.

Unter undemokratischen Verhältnissen - in der DDR herrschte die Diktatur des Proletariats - haben es einige wenige geschafft, indem sie Zellen und Zirkel bildeten, mit einigen Hunderten, dann Tausenden, ein scheinbar fest gefügtes politisches System friedlich in die Knie zu zwingen. Die damals Regierenden haben die Signale der wachsenden politischen Unzufriedenheit nicht vernommen bzw. nicht vernehmen wollen. Es war nicht die primäre Absicht, die Regierung zu stürzen, sondern die politischen und die Lebensumstände zu verändern. Dies auf friedliche Weise zu tun, war das erklärte Ziel.

Der Inhalt von Hartz IV wurde den Menschen der ganzen Republik scheibchenweise offeriert. Unterschiedlichste Deutungen und Auslegungen kursierten, Unsicherheit machte sich breit. Viele ließen sich in Versammlungen über Hartz IV informieren und machten ihrem Unmut Luft. Gerade die ehemaligen DDR-Bürger haben ein Recht darauf, die Montagsdemos für ihre Willensbekundungen zu reklamieren, weil sie diese Form der demokratischen Willensäußerung ins Leben gerufen haben.

Nicht Geschichtsvergessenheit, sondern der Wille, gegenüber den politisch Verantwortlichen unverkennbare Zeichen zu setzen, hat zu den neuerlichen Montagsdemos geführt. Sie stehen damit in guter Tradition der friedlichen Willensbekundung gegenüber einer heute scheinbar abgehobenen Politikerklasse.

 

Georg Emmermann ist Arbeitslosenhilfebezieher. Er organisiert zur Zeit Montagsdemonstrationen in Perleberg und in der Prignitz.

 

 

Allein die Tatsache, daß das Neue Deutschland zusammen mit der PDS zu "Montagsdemonstrationen" aufrufen, deren schärfster Gegner beide vor genau 15 Jahren waren (man denke an die Jubelseiten über die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes in China), müßte jeden Bürgerrechtler von damals auf die Barrikaden steigen lassen.

Seite an Seite mit den Gewerkschaften marschieren die Genossen wieder für mehr Sozialismus und verwenden dabei fast die gleichen Parolen, für die sonst schnell die Populismuskeule herhalten müßte - immer wieder montags. Im Aufruf des "Berliner Bündnis Montagsdemo gegen die Agenda 2010 und weiteren Sozialkahlschlag" hieß es gar: "Ausgeschlossen von der Teilnahme sind nur Faschisten." Das hat eher eine komische Komponente. Die bevorstehenden Wahlkämpfe in den neuen Bundesländern rechtfertigen aber anscheinend eine Instrumentalisierung des einzigen gewaltfreien und erfolgreichen deutschen Volksaufstandes.

Wo halten denn die Verhältnisse von heute einen Vergleich mit dem DDR-System aus? Hat man als einfacher Demonstrationsteilnehmer rechtliche Folgen zu erwarten, wenn man Reisefreiheit einfordert? Schwebt über irgendeiner Demonstration die Ungewißheit, ob nicht gleich staatliche "bewaffnete Organe" die "Zusammenrottung" auflösen werden und die "Rowdies und Provokateure" festnehmen? Sicher gibt es soziale Probleme, die sich mit der Einführung von Hartz IV vehement verschärfen. Sicher gibt es genug Gründe, gegen Schröder, Rot-Grün oder auch andere Politiker und Funktionäre zu demonstrieren. Sicher können diese Veranstaltungen auch an einem Montag stattfinden. Genausogut wie an einem Dienstag oder an jedem anderen Wochentag. Aber in der Tradition der Montagsdemonstrationen des Revolutionsherbstes von 1989 stehen sie noch lange nicht.

 

Siegmar Faust, Schriftsteller, wurde in der DDR wegen "staatsfeindlicher Hetze" zweimal zu Gefängnisstrafen verurteilt und 1976 von der Bundesrepublik freigekauft.


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