© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/04 13. August 2004

"Die Reform kippt"
Verlagsleiterin und Rechtschreibreformgegnerin Karin Pfeiffer-Stolz über den wachsenden Widerstand und die Offensive ihres Verlages
Moritz Schwarz

Frau Pfeiffer-Stolz, der Stolz Verlag ist nach den Zeitungsverlagen der "FAZ", des "Spiegel", der "Süddeutschen Zeitung" und der Springer-Blätter der erste Schulbuchverlag, der aus der Phalanx der willigen Rechtschreibvollstrecker ausschert und nun zur alten Rechtschreibung zurückkehrt.

Pfeiffer-Stolz: Wie die genannten Zeitungen haben auch wir zunächst versucht, die Rechtschreibreform umzusetzen. Von Fundamentalopposition wie bei einigen Rechtschreibreformgegnern kann also bei uns keine Rede sein. Wir sind vielmehr sozusagen durch Erfahrung klug geworden.

Fundamentalopposition gegen die Rechtschreibreform lehnen Sie ab?

Pfeiffer-Stolz: Man hätte sich auf den Unsinn gar nicht erst einlassen sollen. Wir hatten schon immer ein ungutes Gefühl mit den neuen Rechtschreibregeln, aber zunächst waren uns Charakter und Tragweite der Reform gar nicht richtig klar. Das ging wohl den meisten so. Wir wußten auch nicht, daß sich schon von Anfang an ein so breiter Widerstand gegen die Reform organisiert hatte. Die meisten Medien haben die Rechtschreibreformgegner - gelinde gesagt - etwas stiefmütterlich behandelt. Als uns die Absurdität der Rechtschreibreform mehr und mehr durch unsere praktische Arbeit klar wurde, reagierten wir zunächst mit der Entwicklung einer Hausorthographie, die allerdings immer noch an der neuen Rechtschreibung orientiert war. Als wir dann schließlich auf die organisierten Rechtschreibreformgegner stießen, wie die Zeitung Deutsche Sprachwelt, den Verein für Rechtschreibung und Sprachpflege (VRS) oder die Internetseite rechtschreibreform.com, und deren Argumente lasen, da gingen uns die Augen auf, weil wir endlich begriffen, daß unser Unbehagen an der sogenannten Rechtschreibreform durchaus konkrete Ursachen hatte.

Im Gegensatz zu "FAZ" und Co. ist der Stolz Verlag aber nur ein sehr kleines Haus.

Pfeiffer-Stolz: Das ist richtig. Im VdS Bildungsmedien, dem Interessenverband der deutschen Schulbuchverlage, sind etwa siebzig Verlage organisiert. Darunter gehören wir in der Tat zu den kleinen Häusern. Unser Umschwenken hat also nicht die Bedeutung, die der Kurswechsel von FAZ, Spiegel, Springer und Süddeutscher hat. Aber wir hoffen wenigstens ein Zeichen in unserer Branche gesetzt zu haben.

Die Schulen unterrichten allesamt die neue Rechtschreibung, ab 2005 soll sie gar völlig verbindlich werden. Fürchten Sie nicht, Ihre Produkte nicht mehr an den Mann bringen zu können?

Pfeiffer-Stolz: Das ist natürlich ein Risiko, aber wir hoffen darauf, daß unser Einsatz dazu beiträgt, den Weg zur Vernunft zu ebnen - und der heißt allein Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung. Wir verlegen sogenannte Lernhilfen, die bei den Behörden nicht genehmigungspflichtig sind. Natürlich haben auch wir das Lager voll mit Büchern in Hausorthographie - Reformschreibung light sozusagen. Die gröbsten Fehler und Unstimmigkeiten der Reform haben wir erst gar nicht mitgemacht, was vor allem der Lesefreundlichkeit dient. Einbußen wird es aber schon geben.

Deshalb erscheint Ihr Schritt gewagt, denn erst am Sonntag hat Fritz von Bernuth, Geschäftsführer von Cornelsen, einem der ganz großen deutschen Schulbuchverlage, in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen" klargemacht, daß man kein Interesse daran habe, Ihren Schritt nachzuvollziehen.

Pfeiffer-Stolz: Leider ja, die Mehrheit der deutschen Schulbuchverlage fürchtet das Kippen der Rechtschreibreform wie der Teufel das Weihwasser, der Kosten wegen. Den großen Verlagen geht es nur um die wirtschaftliche Seite, nicht um die Pflege unserer Sprache. Deshalb haben sie natürlich kein Interesse an einer Rückkehr zur alten Rechtschreibung. Der Kampf um die Rechtschreibung wird allerdings sowieso nicht durch die Schulen oder die Schulbuchverlage entschieden werden.

Derzeit sind aber alle Medien auf Pausenhöfen unterwegs, um dort die Stimmung unter den Schülern zu erkunden, so als ob nach dem Durchbruch im Bereich der Printmedien, die Entscheidung nun durchaus hier zu erwarten sei?

Pfeiffer-Stolz: Sind wir doch ehrlich - ich war lange genug selbst Lehrerin, um das beurteilen zu können -, Kinder sagen letztlich das, was die Erwachsenen ihnen zuvor eingetrichtert haben. Überlassen Sie mir eine Grundschulklasse für nur zehn Minuten, und ich "überzeuge" alle Schüler restlos von den Vorzügen der bewährten Rechtschreibung! Kinder zu befragen, ist eine Masche der Medien oder derer, die eine Rechtfertigung für ihre eigenen Absichten brauchen.

Was meinen Sie damit?

Pfeiffer-Stolz: Ich frage mich immer wieder, was der Beweggrund einer kleinen Gruppen von Personen sein kann, einer Sprachgemeinschaft von über 100 Million Menschen eine Sprachreform aufzuzwingen, die sie sich in ihrem exklusiven Zirkel ausgedacht hat. Warum machen die Leute das mit? Die Rechtschreibreform wurzelt bekanntlich in der sogenannten antiautoritären Bewegung der siebziger Jahre. Damals ging es darum, die Sprache als angebliches Herrschaftsinstrument zu entlarven und zu zerschlagen. Doch aus eigener Erfahrung weiß ich, daß vor allem die Vertreter antiautoritären Gedankengutes selbst sehr autoritär sind. Tatsächlich wollen sie nichts weiter, als ein Gesellschaftsmodell verwirklichen, in dem sie selbst den Ton angeben. Dazu mißbrauchen sie wehrlose, unmündige und abhängige Menschen. Das hat etwas Totalitäres. Man kann das überall dort beobachten, wo man offiziell nur das "Gute" für Kinder, Alte oder Ausländer und Randgruppen will. Wer so argumentiert, will aber in aller Regel das Gute nur für sich selbst. Das Schlimme ist, daß man gegen diese Taktik schlecht ankommt, denn wer widerspricht, steht schnell als Kinder-, Alten-, oder Ausländerfeind da. Mit dieser Taktik wird übrigens auch in der Politik operiert: Ob Euro, Zuwanderung, EU oder eben die Rechtschreibreform, nie durfte das Volk abstimmen, weil die Politik von vornherein festgelegt hat, was das "Gute" für das Volk ist. So läßt uns zum Beispiel Doris Ahnen, die derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, mit tantenhafter Herablassung wissen, daß wir, das Volk, gar nicht gefragt werden brauchen, weil wir andere Sorgen als die Rechtschreibreform hätten. Das zeugt von Unsensibilität für die Belange derer, in deren Namen man eigentlich zu sprechen vorgibt. Das nenne ich Arroganz der Macht.

Haben Sie selbst erlebt, daß Druck ausgeübt wurde?

Pfeiffer-Stolz: Die Verlautbarungen des VdS Bildungsmedien zum Beispiel enthalten ein gehöriges Maß an Polemik gegen die sachlichen Einwände aus den Reihen der Kritiker der Rechtschreibreform. Als ob das alles nur Querulanten wären! Das hat mich, die ich jahrelang zuvor gehorsam, wenn auch ohne Begeisterung, die Neuschreibung angewandt hatte, mißtrauisch gemacht. Da bin ich aufgewacht. Wir haben auch immer wieder mit Lehrern zu tun, die uns bestätigt haben, daß die neue Rechtschreibung sich im Unterricht nachteilig auswirke. An die Öffentlichkeit mochte man mit solchen Geständnissen aber nicht gehen. Die Befürworter der Rechtschreibreform dulden in der Regel keinen Widerspruch, sie verhalten sich autoritär: Jede Kritik wird niedergebügelt mit den Worten, man habe nun einmal diesen Weg eingeschlagen, nun gehen wir ihn auch weiter. Würde ein Bergführer, der seine Gruppe auf einen Abgrund zuführt, weitermarschieren, nur weil er den Weg einmal eingeschlagen hat? Nein, das ist ein Leerformel, welche gerade den Personen "einleuchtet", die nicht nur ihr selbständiges Denken, sondern auch jede Eigenverantwortlichkeit beim "Bergführer" abgegeben haben. Sind wir denn Lemminge?

Wenn die Entscheidung in der Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform also nicht "in den Klassenzimmern" fällt, wo dann?

Pfeiffer-Stolz: Entscheidend wird meines Erachtens sein, welchen Weg die Presse einschlägt. Ich halte es für einen großen Fortschritt, daß in einigen Zeitungsredaktionen das Urheberrecht der Leserbriefschreiber wieder geachtet wird und man die Leserbriefe in der Rechtschreibung abdruckt, die der Schreiber wünscht. Bislang verfuhren die meisten Zeitungen genau umgekehrt: Gegen den ausdrücklichen Wunsch der Schreiber wurden die Leserbriefe in Neudeutsch übersetzt, oft mit sinnentstellenden Folgen. Das ist kein Ruhmesblatt für die Presse, denn es verletzt sowohl das Urheber- als auch das Persönlichkeitsrecht. Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein Zeitungsredakteur einem Leserbriefschreiber mitteilte, man werde seinen Text nur in Reformschreibung abdrucken. Wenn er damit nicht einverstanden sei, könne er nicht mit einer Veröffentlichung rechnen. Das ist ein bedenklicher Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung. Man sollte nach den Erfahrungen im letzten Jahrhundert gegen solche Vorgänge mehr Empfindlichkeit entwickeln.

Was ist mit der Politik? Anfang Oktober tagt die Ministerpräsidentenkonferenz, dort soll erneut über das Thema beraten werden.

Pfeiffer-Stolz: Die Politik operiert in dieser Sache am Rande des demokratisch Legitimen. Die Kultusministerkonferenz, die bisher mit der Rechtschreibreform befaßt war, halte ich für weder kompetent noch politisch legitimiert, in einer Angelegenheit zu entscheiden, die das Intimste betrifft, was ein Volk besitzt: die Muttersprache. In einem anderen Land wäre ein solcher Vorgang undenkbar. Das paßt eher in eine Diktatur als in eine Demokratie. Immer mehr Politiker erkennen, daß wir einen falschen Weg eingeschlagen haben, den man durchaus wieder zurückgehen kann, ja muß. Entscheidend aber ist, daß der Rechtschreibreform früher oder später die Akzeptanz ganz wegbrechen wird, wenn der Widerstand gegen sie unbeirrt fortgesetzt wird, wovon ich ausgehe. Dann wird der Politik nichts anderes übrig bleiben, als nachzuziehen.

Wieso sind Sie so sicher, daß die Rechtschreibreform wirklich vollständig scheitern wird?

Pfeiffer-Stolz: Weil sie falsch konstruiert ist, am Reißbrett entworfen, ein technokratisches Konstrukt und daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich hoffe, daß dies bald der Fall ist. Und dann benötigen wir eine längere Übergangsphase, nicht diese Hauruck-Lösung wie 1996, als die Reform durch die Einpeitscher, allen voran die GEW, sofort umgesetzt werden sollte. So eilig haben wir es mit der Rückkehr nicht, denn die wirtschaftlichen Belange der Verlage sollte man doch nicht ganz außer acht lassen. Wir werden noch eine Weile mit zwei Orthographien leben müssen, dann aber mit der Zeit wieder zu der gewünschten Einheitlichkeit zurückkehren, wie wir sie vor 1996 hatten.

Ist denn nun nicht mit einer "Gegenoffensive" der Rechtschreibreformbefürworter zu rechnen? "Stern", "Frankfurter Rundschau" und andere geben sich inzwischen kämpferisch.

Pfeiffer-Stolz: Die Rechtschreibreform ist so unbeliebt, daß sie Verfechter einer verlorenen Sache sind. Ich glaube nicht, daß die Befürworter das Problem sind, sondern die Masse der Mitläufer, die keine eigene Überzeugung in der Sache haben und nur aus Trägheit an der Reform festhalten.

Was ist also konkret zu unternehmen?

Pfeiffer-Stolz: Jeder einzelne kann dazu beitragen, die Rechtschreibreform zu überwinden. Zeitungsleser können Leserbriefe an ihre Zeitung schreiben, Lehrer können ihre Schüler parallel auch mit der bewährten Rechtschreibung vertraut machen. Wem etwas an seinen Schülern liegt, der tut ihnen diesen Gefallen! Im Privaten kann jeder seine Korrespondenz wieder nach der bewährten Rechtschreibung verfassen, wenn möglich auch die geschäftliche Post so erledigen. Kramen Sie Ihren alten Duden wieder heraus, oder lesen Sie einfach - falls Sie den alten nicht mehr haben - den neuen gegen den Strich! Richtig ist dann alles, was nicht rot gedruckt ist. Ansonsten kann ich auch das Wörterbuch des Erlanger Germanistik-Professors und prominenten Rechtschreibreformkritikers Theodor Ickler empfehlen, "Das Rechtschreibwörterbuch. Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung" (Leibniz-Verlag, 2000) Eine gute Alternative zum Duden, vor allem seitdem der sich im Zuge der Rechtschreibreform nicht als Sachwalter unserer Schriftsprache, sondern als Büttel der Politik erwiesen hat. Ich kaufe jedenfalls keinen Duden mehr.

Aber 2005 soll die neue Rechtschreibung endgültig verbindlich werden. Ist es dann noch möglich, eine private Resistenz-Haltung durchzuhalten?

Pfeiffer-Stolz: Da möchte ich nun doch einmal Prophet spielen: Soweit wird es nicht kommen. Und wenn, dann ist die Reformschreibung nur für Schulen und Ämter verbindlich. Presse, Verlage, Firmen, Privatpersonen etc. können weiterhin schreiben, wie sie wollen. Es gibt und wird kein Rechtschreibungs-Gesetz geben. Sogar das Bundesverfassungsgericht hat 1998 diese Freiheit der Bürger bestätigt. Und wir sollten von dieser Freiheit Gebrauch machen, denn die Rechtschreibreform wird meiner Ansicht nach auch ungeahnte Folgen in bisher kaum beachteten Bereichen haben: Wer denkt schon darüber nach, daß immer noch über neunzig Prozent der Bücher in Haushalten und Bibliotheken nach wie vor in der bewährten Rechtschreibung gedruckt sind? Wenn 2005 die neue Rechtschreibung verbindlich wird, dann wird auf einen Schlag fast der gesamte Buchbestand der Nation zu Makulatur. Eine Entwertung eines Kulturguts mit finanziellen und ideellen Verlusten von ungeheurem Ausmaß! Außerdem würde sich die Rechtschreibreform spätestens in der nächsten oder übernächsten Generation als ein gewaltiger Kulturbruch erweisen, weil die von den Eltern ererbten Buchbestände für die junge Generation "antiquiert" wirken und nicht zum Lesen verlocken. Hier wird ein Keil zwischen die Generationen getrieben, ein unerhörter, einmaliger Vorgang, ein gesellschaftspolitischer Eklat. Sprache, die uns alle eint, wird zur Barriere. Den Jungen wird der Weg versperrt zu ihren eigenen Wurzeln, zu den Wurzeln der Eltern, eine Abkehr von Tradition und den durch sie vermittelten Werten. Das in solchen Debatten oft gehörte "Davon geht doch das Abendland nicht unter!"-Gerede halte ich für hochmütig und kurzsichtig. Man sollte solche Warnungen ernst nehmen, denn der Zustand einer Gesellschaft läßt sich ablesen daraus, wie sie mit ihren Kindern, ihren Alten und ihrer Sprache umgeht.

 

Karin Pfeiffer-Stolz ist Leiterin des Stolz-Schulbuchverlages in Düren, der als erster der Branche die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung erklärt hat. Die Autorin und Lektorin wurde 1948 in Salzburg geboren, arbeitete zunächst zwölf Jahre als Deutschlehrerin und dann im Verlagswesen. Seit 1998 leitet sie gemeinsam mit ihrem Mann den Stolz-Verlag.

 

Stolz Verlag GmbH: Der Verlag publiziert sogenannte Schüler-Lernhilfen, Übungshefte zu zahlreichen Schulfächern - von Deutsch über Mathematik, bis hin zu Sport - sowie Lektüren und Fachbücher für die Klassen eins bis neun aller Schulformen. Diese Übungsmittel können ohne Genehmigung der Schulbehörden verwandt werden. Aufmerksamkeit erregte der Verlag durch seine Ankündigung, künftig seine Lernmittel wieder in der alten deutschen Rechtschreibung zu verlegen, womit er sich gegen die offizielle Position des Verbandes der deutschen Schulbuchverlage stellt.

Kontakt & Verlagsprogramm: Stolz Verlag, Schneidhausener Weg 52, 52355 Düren, Fax: 0 24 21 / 95 98 09, Internet: www.stolzverlag.de 

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