© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/04 20. August 2004

Ein trojanisches Pferd?
Linkspartei: Die Sozialdemokraten brauchen eine neue linke Formation nicht zu fürchten / Mit ihr wäre 2006 trotz Protestwahl eine linke Mehrheit zu erreichen
Josef Hämmerling

Bei der SPD geht - angeblich - die Angst vor einer neuen Linkspartei um. Führende Sozialdemokraten äußern öffentlich die Angst, daß die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) im Falle einer Parteigründung eine ernste Gefahr für die SPD und damit gleichzeitig auch für die rot-grüne Bundesregierung werden könnte.

Doch ist diese Furcht wirklich berechtigt? Ist die WASG eine "neue" Linkspartei im eigentlichen Sinne des Wortes? Oder ist sie in Wirklichkeit nichts anderes als eine Art "trojanisches Pferd", um enttäuschte SPD-Wähler, die zur Union abwanderten, wieder zurück in ein Linksbündnis zu holen?

Bei genauer Analyse dieses Vereins, der sich die Gründung zur Partei ausdrücklich offenhält, muß man mehr und mehr zu der Ansicht gelangen, daß die Sozialdemokraten sogar Nutznießer einer derartigen neuen "Linkspartei" wären. Denn nach heutiger Sicht müssen die Genossen ernsthaft befürchten, 2006 abgewählt zu werden. Zwar sind es bis dahin noch zwei Jahre, doch nach einer Niederlage bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im Mai 2005 hätte die schwarz-gelbe Opposition im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit und könnte die Regierungsarbeit gänzlich blockieren. Selbst vorgezogene Neuwahlen könnten dann nicht mehr ausgeschlossen werden. Und alles andere als eine deutliche Mehrheit für CDU, CSU und FDP wäre in einem solchen Fall eine Riesenüberraschung.

Was also tun? Selbst eine Koalition mit der PDS - vorausgesetzt, diese schafft die Fünf-Prozent-Hürde - würde höchstwahrscheinlich nicht für eine Regierungsmehrheit für Rot-Grün-Dunkelrot ausreichen. Was liegt da näher, als sich die Regierungsmacht durch die Hintertür zu sichern?

Und hierfür gibt es sehr viele Hinweise. Immerhin haben die Initiatoren sowohl der Wahlalternative 2006 als auch der Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit, die sich Anfang Juli zur WASG zusammenschlossen, eine jahrzehntelange Laufbahn bei der SPD oder den Gewerkschaften hinter sich.

So ist WASG-Sprecher und geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied Thomas Händel seit 32 Jahren SPD-Mitglied und erster Bevollmächtigter der IG Metall-Verwaltungsstelle Fürth. Klaus Ernst, ebenfalls eines von vier geschäftsführenden Bundesvorstandsmitgliedern, gehört der SPD seit 30 Jahren an und ist erster Bevollmächtigter der IG Metall-Verwaltungsstelle Schweinfurt. Die beiden weiteren Mitglieder sind Axel Troost von der Gruppierung Alternative Wirtschaftspolitik und Sabine Lösing von Attac. Besonders interessant ist, daß führende Personen der Wahlalternative 2006 mit PDS-Parteibuch wie etwa Ralf Krämer und Uwe Hiksch nach Gründung der WASG nicht mehr der Bundesspitze angehören. Lediglich Joachim Bischoff hat es noch in den Bundesvorstand geschafft. Auch sonst spricht derzeit sehr viel dafür, daß sich die WASG eng an die SPD binden will. So hat sich Händel strikt gegen einen Anschluß der WASG an das Volksbegehren zur Abwahl des Berliner Senats ausgesprochen. Axel Troost lehnt jegliche Zusammenarbeit mit der PDS ab. Und Hans-Joachim Eugster, einer der führenden WASGler in Nordrhein-Westfalen, meinte: "Man darf nicht zu links sein." Bei einer Umfrage der taz antworteten viele Offizielle der Wahlalternative zur PDS: "Das ist für uns kein Thema!" Ein weiteres Indiz hierfür ist, daß nunmehr alle rund 3.000 Mitglieder als "Ausdruck einer Basisdemokratie" darüber abstimmen sollen, ob die WASG sich im Dezember als Partei gründen oder auch weiterhin auf Vereinsebene arbeiten soll. Ursprünglich war noch ein Bundesdelegiertentreffen im Herbst vorgesehen, das mit Zweidrittel-Mehrheit die Parteigründung beschließen sollte. Dieser Plan wurde aber offenbar deswegen aufgegeben, weil der Bundesvorstand eine Unterwanderung durch linksextreme Kräfte fürchtete.

Nicht vergessen werden darf auch die sechste öffentliche Erklärung der WASG, in der es heißt: "Im Vergleich zur PDS im Osten muß das Projekt zugleich linker und 'mittiger' im Sinne von auf die breiten ArbeitnehmerInnenschichten und gewerkschaftlich orientiert sein." Grundsätzlich will das Bündnis aber niemanden ausschließen (außer "Rechten"), ausdrücklich auch nicht Kommunisten und PDSler, aber auch Christen und "traditionelle VertreterInnen des Sozialstaats" seien willkommen. Auch die Unterstützung des früheren saarländischen Ministerpräsidenten, Bundesfinanzministers und SPD-Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine spricht eher für die These, daß die WASG ein "trojanisches Pferd" der SPD ist. Denn es darf als ausgeschlossen erscheinen, daß sich Lafontaine für ein Projekt engagiert, an dessen Ende eine schwarz-gelbe Bundesregierung steht.

Der derzeitige Stimmenaufschwung für Union und FDP ist nach Ansicht von Wahlforschern in erster Linie enttäuschten SPD-Wählern zu verdanken. Sie seien nur notgedrungen zu Schwarz-Gelb abgewandert, da die Grünen für sie keine Alternative seien und die PDS ihnen zu extrem sei. Als einzige Möglichkeit blieben dann für sie nur CDU, CSU oder FDP übrig. Und genau das haben auch die SPD-Strategen erkannt. Was liegt dann also näher, als eine Partei zu gründen, die genau auf die Ängste dieser enttäuschten bisherigen SPD-Wähler eingeht und sie durch eine starke Gewerkschaftsfraktion und zudem einen der konsequentesten Vertreter der Arbeitnehmerinteressen in Person von Lafontaine an sich bindet? Sicherlich dürfte die SPD durch diese neue Partei weitere Stimmenverluste erleiden, die Union allerdings auch.

Geht man von 15 bis 20 Prozent Wählerstimmen für die WASG aus, 20 bis 25 Prozent für die SPD und zehn Prozent für die Grünen, würde dies mit großer Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit für die Linke im nächsten Bundestag bedeuten, während gleichzeitig die extreme Linke in Gestalt der PDS bundesweit wahrscheinlich endgültig von der politischen Bühne verschwinden würde.

Foto: WASG-Leute Ernst, Schui, Heike,Händel,Vetter,Loboda und Schachner: Linker und mittiger zugleich


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