© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/04 20. August 2004

Kulturanalyse aufgekocht
Nachdruck Müller-Armacks
Werner Olles

Als 1948 Alfred Müller-Armacks brillante soziologische Kulturanalyse "Das Jahrhundert ohne Gott" drei Jahre nach Kriegsende und damit noch vor Beginn der Rekonstruktionsperiode erstmalig erschien, löste das Buch des späteren Mitstreiters Ludwig Erhards (Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium) und Ordinarius für Volkswirtschaftspolitik bereits eine große Debatte aus. Verdienstvollerweise legt ein kleinerer Verlag das Werk nun als unveränderten Nachdruck vor, und es bleibt zu hoffen, daß es auch diesmal zahlreiche Leser finden und für interessanten Diskussionsstoff sorgen wird.

"Zur Kultursoziologie unserer Zeit" lautet der Untertitel, und in der Tat versucht der Autor in einer Gesamtschau die europäische Geistesgeschichte, für deren Verständnis der religiöse Hintergrund zunehmend an Bedeutung gewinnt, aus ihrer geistig-religiösen Gesamtlage heraus begreifbar zu machen. Das mag gewagt erscheinen, vor allem in einer Zeit, die sich, wie Müller-Armack schreibt, "mit aller Kraft gegen solche Auslegung gesträubt hat". Unter diesen Umständen erscheint es gar als Wagnis, und bedenkt man den dichten Nebel, der heute auf einer Gesellschaft lastet, in der nicht Gott, sondern der Mensch herrscht, mag mancher vielleicht sogar endgültig den Mut verlieren.

Folgt man jedoch dem Blickwechsel Müller-Armacks und sieht das letzte Jahrhundert auch im Zeichen seiner transzendenten Haltung, vollzieht sich eine "Selbstbefreiung von der Zaubermacht der gefährlichen Idole, mit denen das Jahrhundert seine Menschen anfangs lockte, um sie am Ende in ihren Zeichen zu quälen und zu martern". Dennoch ist das Buch ausdrücklich nicht theologisch oder metaphysisch-spekulativ, sondern fachwissenschaftlich und empirisch gemeint.

Aus konkreten nationalökonomischen und soziologischen Erhebungen und Erfahrungen gewachsen vollzieht es eine Wendung zur Anerkennung geistiger und nicht zuletzt religiöser Kräfte, ohne dabei jedoch den Gefahren zu verfallen, denen alle transzendenten Betrachtungen allzu leicht erliegen.

Afred Müller-Amack: Das Jahrhundert ohne Gott. Zur Kultursoziologie unserer Zeit. Franz Schmitt Verlag, Siegburg 2004,191 Seiten, broschiert, 12 Euro


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