© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/04 03. September 2004

Steffen Heitmann
Der letzte Mann
von Thorsten Hinz

Im Herbst 1993 wurde die "Lindenstraßen"-Republik von einem ihrer periodischen Fieberanfälle ergriffen. Steffen Heitmann, sächsischer Justizminister und von Kanzler Kohl für die Nachfolge Richard von Weizsäckers im Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen, hatte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kein Hehl aus seiner Skepsis gegenüber einem europäischen Bundesstaat, der multikulturellen Gesellschaft und der Tabuisierung der Ausländerproblematik gemacht. Er betonte die Bedeutung der Mutterschaft und verwarf insbesondere den manischen Bezug auf die NS-Zeit, denn "die deutsche Nachkriegssonderrolle war ja in gewisser Weise eine Fortsetzung der angemaßten Sonderrolle der NS-Zeit. Das ist zu Ende." Solche Töne hatte schon lange kein deutscher Spitzenpolitiker mehr gewagt. Als besonders skandalös wurde empfunden, daß sie nicht einmal politischem Kalkül entsprangen, sondern natürliche Reflexe eines Mannes waren, der sich nach einer vierzigjährigen Diktatur nicht schon wieder einen ideologischen Überbau aufzwingen lassen wollte. Für einen Augenblick blitzte die geistig-moralische Chance auf, die in der deutschen Wiedervereinigung lag.

In den Medien brach ein wahrer Hexensabbat los, und hinter den Gardinen soufflierte Richard von Weizsäcker das Wort vom "konturenarmen Nischenossi". Doch konturenarm war Heitmann gerade nicht, wie der unvermeidliche Friedbert Pflüger in einem alarmistischen Zeit-Artikel hervorhob. Mit Heitmann drohten die Thesen Ernst Noltes die Villa Hammerschmidt zu erobern! Die Rufmordkampagne, die nun abrollte, zielte neben der politischen Ausschaltung Heitmanns auf seine moralische Vernichtung. Im November 1993 verzichtete er auf die Kandidatur. Danach räumte der Zeit-Redakteur Gunter Hofmann ein, man habe ihn "gelegentlich sehr unfair" behandelt und auf seinem Rücken einen "Stellvertreterkrieg" ausgetragen, aber wenigstens funktioniere die liberale Öffentlichkeit.

Die Tücke, die da offenbar wurde, hat Heitmann in seinem skeptischen Menschenbild bestätigt. Die Skepsis gehört zu den Eigenschaften, die ihn als klassischen Konservativen ausweisen - ein in Deutschland selten gewordenes Exemplar. Der gebürtige Sachse absolvierte an der Leipziger Universität zunächst ein Studium der Theologie und der Altphilologie und arbeitete als Studentenpfarrer. Nach Studium der Rechtswissenschaft wurde er Oberkirchenrat - ein Bildungsbürger, der sich in die politische Pflicht nehmen ließ. 1989/90 war er Berater der "Gruppe der 20", die in Dresden den Sturz der SED einleitete. Von 1990 - seit 1991 in der CDU - bis 2000 amtierte er als Justizminister im Dresdener Kabinett. Wie jeder echte Konservative war er seiner Zeit voraus. Erst heute wird sichtbar, in welchem Maße die Sabotage seiner Präsidentschaft ein Schlag gegen die Zukunft des Landes war. Am 8. September wird Steffen Heitmann 60 Jahre alt.


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